Terrorprozess gegen "Gruppe Freital" - "Das stimmt alles nicht, was Sie sagen!"

Erstveröffentlicht: 
07.03.2017

Ein falscher Sprengstoffalarm und der Auftritt eines Anwalts prägten den Auftakt des Prozesses gegen die "Gruppe Freital". Der Verteidiger warf den Richtern vor, sich instrumentalisieren zu lassen. Wie das Verfahren weitergeht, ist nun unklar.

 

Selbst die Antifa wirkt an diesem Morgen besser organisiert als die sächsische Justiz. Um kurz vor acht entrollen die Aktivisten ihr erstes Banner vor dem Prozessgebäude des Dresdner Oberlandesgerichts, wo wenig später das Verfahren gegen die laut Anklage rechtsextreme "Gruppe Freital" beginnen soll.

 

Im Inneren des Gebäude geht es zu diesem Zeitpunkt hektisch zu: Frühmorgens hatten Sprengstoffhunde in einer Toilette direkt neben dem Sitzungssaal angeschlagen. Ein Anschlagsversuch gegen den Terrorprozess? Erst nach einer Weile gibt es Entwarnung: Die angeblich gefährlichen Chemikalien entpuppen sich als Reste eines Gummipflegemittels.

 

Erstmals in der sächsischen Justizgeschichte hat nun ein Prozess gegen eine mutmaßliche Terrorzelle begonnen. Vor dem Oberlandesgericht Dresden sind sieben junge Männer und eine Frau angeklagt, sie sollen für eine Handvoll Anschläge auf Flüchtlinge, Aktivisten und Politiker im Jahr 2015 in Freital bei Dresden verantwortlich sein (mehr über die Gruppe lesen Sie hier).

 

Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem fünf Gewalttaten vor: die Sprengung des VW Golf eines Freitaler Stadtrats, Anschläge auf zwei Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe auf das örtliche Linken-Büro und das alternative Dresdner Wohnprojekt "Mangelwirtschaft" - mit Pflastersteinen, Buttersäure-Sprengsätzen, gefährlicher Pyrotechnik.

 

Schon der erste Verhandlungstag macht jedoch klar, dass es in dem Staatsschutzverfahren zunächst wohl weniger um Motive und Vorgehensweisen bei den Übergriffen gehen wird. Sondern um sehr grundsätzliche Fragen.

 

Zentrale Figur dabei ist der Dresdner Rechtsanwalt Endrik Wilhelm, ein bärtiger Jurist mit beachtlichem Sendungsbewusstsein und einer Honorarprofessur in Chemnitz. Wilhelm, der die 28 Jahre alte Maria K. vertritt, legt sich nach wenigen Minuten mit dem Vorsitzenden Richter Thomas Fresemann an: Mehrere der insgesamt 16 Verteidiger lehnen die Besetzung des Gerichts ab und wollen Befangenheitsanträge stellen - doch Fresemann lässt zunächst die Anklage verlesen.

 

Wilhelm: "Das ist offensichtlich gegen das Gesetz, und das vorsätzlich!"

 

Fresemann: "Wenn das neu für Sie ist, kann ich auch nichts dafür."

 

Wilhelm: "Das stimmt alles nicht, was Sie sagen!"

 

Von nun an sind die Fronten geklärt: der Staatsschutzsenat um Thomas Fresemann gegen ein gutes Dutzend Rechtsanwälte. Sieben der acht Angeklagten weigern sich daraufhin, auch nur den eigenen Namen oder Geburtstort zu nennen.

 

"Das ist ein verbotenes Ausnahmegericht"


Wenig später erteilt Richter Fresemann schließlich Wilhelm das Wort - und der holt zu einem einstündigen Rundumschlag aus: Der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts, sagt er, sei durch "manipulatives Eingreifen" zustande gekommen. Eigens für dieses Verfahren habe die Justizverwaltung offenbar Juristen wie Fresemann ausgesucht, die im Sinne der Bundesanwaltschaft den Prozess leiten sollen.

 

Wilhelms Argumentation fußt darauf, dass es den 4. Strafschutzsenat erst seit dem vergangenen Jahr gibt und der Freistaat Sachsen 5,5 Millionen "verbrannte", um ein geeignetes Prozessgebäude mit Hochsicherheitsgerichtssaal einzurichten. All das sei Beleg für eine Vorverurteilung und den Versuch, in Sachsen ein Exempel zu statuieren. Vor allem aber seien die Richter widerrechtlich für diesen Prozess handverlesen worden: "Der Senat ist demnach das, was unsere Verfassung mit einem verbotenen Ausnahmegericht meint."

 

Zwischendurch verliert sich Wilhelm in Gerüchten und kuriosen Vergleichen. Mit Blick auf das teure Gerichtsgebäude spricht er etwa über die Entrauchungsanlage des Berliner Hauptstadtflughafens; außerdem will er gehört haben, der unerfahrene Senat habe einen juristischen "Notfallkoffer" erhalten - und ein Richter habe sich in der Hoffnung auf einen Karrieresprung sogar regelrecht um das Verfahren beworben. Wilhelms Fazit: "Sämtliche Richter lassen sich instrumentalisieren."

 

Vergleiche mit NSU und RAF


Abgesehen davon geht Wilhelms Argumentation so: Seine Mandantin hätte zwar Straftaten begangen, sei aber keineswegs Mitglied einer terroristische Vereinigung gewesen. "Es ist an den Haaren herbeigezogen, die Angeklagten mit der Roten Armee Fraktion oder dem NSU zu vergleichen", sagt der Rechtswissenschaftler. Die Opfer der "Gruppe Freital" hätten sich nur leichte Verletzungen zugezogen, der Sachschaden belaufe sich insgesamt auf kaum 15.000 Euro. "Das war beim NSU und der RAF irgendwie anders."

 

Seine Mandantin bereue ihre Vergehen und werde sich bei allen Betroffenen entschuldigen, so Wilhelm. "Sie weiß, dass sie Straftaten begangen hat, für die es keine vernünftige Begründung gibt" - eine Terroristin sei sie deshalb aber noch lange nicht. "Es mag sein," sagt Wilhelm, "dass das Bestrafungsbedürfnis der Gesellschaft damit nicht befriedigt ist. Aber mit diesem Verfahren schießt der Senat weit übers Ziel hinaus."

 

Die Anwälte der Opfer zeigen sich empört. Wilhelms Argumentation sei eine "unglaubliche Bagatellisierung", "eine Verhöhnung der Nebenkläger" - und der Versuch, "das Verfahren propagandistisch zu delegitimieren".

 

Tatsächlich ist Wilhelms Auftreten reichlich provokant, seine Stellungnahmen trägt er mitunter fröhlich wie eine Büttenrede vor. Dabei wirft der Strafrechtler aber auch eine der zentralen Fragen dieses Verfahrens auf: Sitzen da wirklich acht Terroristen im Hochsicherheitsgerichtssaal neben der Justizvollzugsanstalt im Dresdner Norden - oder geht es eigentlich um eine Reihe glimpflich ausgegangener Versuche, Andersdenkende mit Gewalt einzuschüchtern?

 

Wo verläuft die Grenze zum Terrorismus?


Die Bundesanwaltschaft ist sich sicher: Die "Gruppe Freital" habe ein "Klima der Repression" erzeugen wollen und dafür den Tod von Menschen in Kauf genommen, sagt Bundesanwalt Jörn Hauschildt bei der Verlesung der Anklageschrift. Die Terrorzelle wollte demnach mithilfe von sogenannten Kugelbomben und "Blitz-Knall-Ladungen" Flüchtlinge vertreiben.

 

Der Prozess wird am Dienstag kommender Woche fortgesetzt. Womöglich kommen dann nicht nur Richter und Anwälte zu Wort - sondern auch die mutmaßlichen Täter und ihre Opfer.