Prozess gegen Terrorgruppe „Waren doch nur ein paar Böller“

Erstveröffentlicht: 
06.03.2017

Immer wieder kommt es in Sachsen zu rechtsextremen Übergriffen. In Dresden beginnt nun der Prozess gegen acht Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe aus Freital. Nicht alle Bewohner des Ortes finden das gut.

 

Als im vergangenen Frühjahr die Spezialeinheit GSG 9 mit 200 Beamten in Freital anrückte, Häuser durchsuchte und fünf Verdächtige festnahm, führte das zu Furore in der Kleinstadt südlich von Dresden. Ein solch entschiedenes Vorgehen des Staates war man hier nicht gewohnt. Anschläge auf Flüchtlinge und deren Unterstützer hat es seitdem immerhin nicht mehr gegeben. „Es ist ruhiger geworden“, sagt auch Steffi Brachtel. Die zierliche Frau zählt zu den Freitalern, die in Flüchtlingen nicht den Untergang des Abendlandes sehen, sondern anpacken und ihnen bei der Eingewöhnung, Behördengängen und Kinderbetreuung helfen.

 

„Die Fremdenfeindlichkeit ist mit den Festnahmen aber nicht verschwunden“, sagt die 41 Jahre alte Frau, die als Kellnerin in Dresden arbeitet. „Das Schlimme ist, dass das hier bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist.“ Bis heute hielten manche Freitaler den GSG-9-Einsatz für maßlos übertrieben. Sätze wie „Waren doch nur ein paar Böller“ oder „Wegen der paar Dumme-Jungen-Streiche“ kennt Brachtel zur Genüge. Nach den Festnahmen habe sie im Bus zwei adrett gekleideten Mittsiebzigerinnen gegenübergesessen, welche die Vorwürfe abgetan, die Medien für den miesen Ruf Freitals verantwortlich gemacht und sich über „sexuell unausgelastete Flüchtlinge“ echauffiert hätten.

 

Doch was für die einen lediglich Streiche sein mögen, sieht der Generalbundesanwalt völlig anders. Er hat gegen die mutmaßlichen Urheber – sieben Männer und eine Frau – Anklage erhoben, weil sie eine „rechtsterroristische Vereinigung“ gegründet haben und Sprengstoffanschläge verübt haben sollen. Von diesem Dienstag an müssen sich die 19 bis 39 Jahre alten Angeklagten deshalb unter anderem wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen sowie Sachbeschädigung vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. 

 

„Klima der Angst und Repression“


Den Ermittlern zufolge haben sich die Beschuldigten spätestens ab Juli 2015 mit Gleichgesinnten zu einer rechtsterroristischen Gruppe zusammengeschlossen und das Ziel verfolgt, Sprengstoffanschläge auf Unterkünfte von Asylbewerbern sowie auf Wohnungen, Büros und Fahrzeuge von Flüchtlingshelfern und politisch Andersdenkenden zu begehen. „Dadurch wollten die Angeklagten ein Klima der Angst und Repression erzeugen“, heißt es in der Anklageschrift. Als Rädelsführer werden darin zwei Männer genannt, der 28 Jahre alte Timo S. und der 25 Jahre alte Patrick F.

 

S. stammt aus Hamburg und zog erst vor drei Jahren nach Freital zu seiner Freundin. Der Zeitschrift „Stern“ zufolge hatte ihm zuvor sein Arbeitgeber, ein Busunternehmen in der Hansestadt, gekündigt, unter anderem wegen Hasskommentaren gegen Flüchtlinge auf Facebook. In Freital fand S. schnell wieder einen Job als Busfahrer sowie einen Gleichgesinnten unter Kollegen, der nun ebenfalls auf der Anklagebank sitzt. Und er bekam Kontakt zu Patrick F., der allein lebt, als Lagerist in Dresden arbeitete, im Nebenjob Pizza auslieferte, zu Pegida ging und gegen Linke und Flüchtlinge hetzte. 

 

Normalbürger radikalisieren sich


Beide aber lebten, ebenso wie ihre Mitangeklagten, bis dahin eher unauffällig, Sie alle sind auch keine Größen in der rechtsextremen Szene, im Gegenteil: Fast alle haben Berufe, arbeiteten als Gleisbauer, Altenpfleger, Mechaniker oder Paketzusteller, einige haben Familie. Vor allem aber sind sie, bis auf einen, nicht vorbestraft und damit wie ein Beleg für eine Entwicklung, die das Operative Abwehrzentrum, Sachsens Polizeieinheit gegen Extremismus, seit gut zwei Jahren feststellt: Mehr als drei Viertel der Täter bei Angriffen auf Flüchtlinge sowie deren Unterkünfte oder Unterstützer sind zuvor noch nie polizeilich in Erscheinung getreten.

 

Es sind Normalbürger, die sich radikalisieren. Die Anfänge der „Gruppe Freital“, wie die Gruppe der Angeklagten auch genannt wird, fallen ziemlich genau in den Herbst 2014, als die Hetze gegen Asylbewerber zunächst via Facebook und dann auch auf der Straße, etwa bei Pegida, zunimmt. Mehrere der Angeklagten sind in einschlägigen Facebook-Gruppen und bei Pegida-Kundgebungen aktiv, und als Anfang 2015 bekannt wird, dass in Freital in ein leerstehendes Hotel Asylbewerber einziehen sollen, gründen sich in der Stadt Initiativen wie „Freital wehrt sich“, „Frigida“ und „Bürgerwehr FTL/360“. Letztere ist nach einer lokalen Buslinie benannt, die auch Timo S. fährt. 

 

Angeklagte wollten Taten sehen


Nach einem Vorfall, bei dem zwei Marokkaner im Bus Schülerinnen belästigt haben sollen, patrouillierten Bürgerwehrmitglieder regelmäßig auf der Strecke. Sie waren zudem bei den tagelangen Protesten vor dem einstigen Hotel dabei und machten in der Stadt Stimmung gegen Flüchtlinge. Das alles aber reichte den Angeklagten bald nicht mehr, sie wollten Taten sehen, zu denen sie sich auch in verschlüsselten Foren und nichtöffentlichen Chat-Diensten verabredeten. Von ihrer ersten Tat kündeten in der Nacht zum 27. Juli 2015 ein lauter Knall und eine Rauchwolke, danach ist das Auto des Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Freitaler Stadtrat Schrott, auch nebenan parkende Fahrzeuge wurden schwer beschädigt. Den verheerenden Mix aus Schwarzpulver, gewonnen aus sogenannten Tschechenböllern und Kieselsteinen, sollen Timo S. und Patrick F. entwickelt haben.

 

Nach dieser „Generalprobe“ geht es weiter, die Anklage listet insgesamt fünf schwere Straftaten auf, welche die Angeklagten im Sommer und Herbst 2015 begangen haben sollen. Im September befestigten sie einen Sprengsatz am Küchenfenster einer Freitaler Flüchtlingsunterkunft, die Explosion zerriss das Fenster, Scherben und Splitter schlugen in der gegenüberliegenden Wand ein und flogen bis in den Flur der Wohnung. Nur weil die acht Bewohner schon im hinteren Teil des Hauses schliefen, wurde niemand verletzt. Einen Tag später explodierte ein Sprengsatz am Büro der Linkspartei in Freital, im Monat darauf überfielen die Angeklagten mit Gleichgesinnten ein alternatives Wohnprojekt in Dresden und warfen Pflastersteine, Buttersäure und Sprengsätze in die Räume. Anfang November zündeten sie nochmals mehrere Sprengkörper an einer Asylbewerberwohnung in Freital. Den Ermittlern zufolge hatten sie sich zuvor davon überzeugt, dass die Bewohner auch zu Hause waren. Diese bemerkten, dass draußen etwas vor sich ging, und brachten sich im Flur in Sicherheit, dennoch wurde ein junger Mann durch umherfliegende Splitter im Gesicht und am Auge verletzt. 

 

Verhandlung gegen terroristische Vereinigung


Als kurz darauf Sachsens Polizei die Rädelsführer festnimmt, hören die Anschläge auf, und als sich im Frühjahr die Hinweise auf Terrorismus verdichten, übernimmt der Generalbundesanwalt den Fall. Erstmals wird nun in Sachsen gegen eine terroristische Vereinigung verhandelt. Weil die Räume des Oberlandesgerichts dafür nicht ausreichen, hat der Freistaat im Norden Dresdens einen neuen Verhandlungssaal errichten lassen, und das ausgerechnet in einer künftigen Flüchtlingsunterkunft, die derzeit leer steht. Für fünf Millionen Euro wurde die dortige Kantine umgebaut, das Gelände ist mit Betonblöcken gegen Anschläge gesichert, es gelten strengste Sicherheitsregeln. Sachsens Justiz, die im vergangenen Jahr schwer in die Kritik geraten war, will sich auf keinen Fall abermalige Pannen leisten.

 

Für den Prozess sind bis September zunächst 60 Verhandlungstage angesetzt. Am Auftakt wird auch Steffi Brachtel als Zuschauerin teilnehmen. „Ich will den Tätern endlich ins Gesicht sehen können“, sagt sie. „Die wussten anscheinend vieles über mich, aber ich wusste nicht, wer sie sind.“ Dass im Sommer 2015 ihr Briefkasten in die Luft geflogen und sie auch mal auf dem Nachhauseweg verfolgt worden war, hat sie inzwischen überwunden. Als sie aber im Zuge der Ermittlungen in den geheimen Chatprotokollen der Gruppe ihren Namen mit dem Hinweis „Muss getötet werden“ fand, sei ihr sehr mulmig geworden, sagt sie. „Das war wie ein Schlag in die Magengrube.“

 

Steffi Brachtel erhofft sich von dem Prozess neben Konsequenzen für die Täter auch eine abschreckende Wirkung. Vor Gericht stehe nur der harte Kern, sagt sie. In der Stadt gebe es noch gut zwei Dutzend Leute, die zu Ähnlichem fähig seien. Freilich seien nicht alle in der Stadt fremdenfeindlich, aber der Ruf als braunes Nest rühre eben auch daher, dass die große Mehrheit zu den Vorfällen schweige. „Ich wünschte mir, dass mehr Leute aufstehen und sagen: So was wollen wir nicht“, sagt Brachtel. Sie will nicht aus Freital wegziehen. Und sich auch künftig für ein gutes Miteinander engagieren.