Bundestagswahlkampf - AfD in Grimma: Extremismus in Sachsen und die Märchenerzähler aus dem Morgenland

Erstveröffentlicht: 
05.03.2017

Die Landtagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) tourt derzeit mit der Veranstaltung „Extremismus in Sachsen – ein Land im Fadenkreuz“. Am Mittwochabend warnten die Populisten im Grimmaer Ratssaal vor einer Radikalisierung des Landes durch den Islam.

 

Grimma. Eine Mittsechzigerin steht nach der anderthalbstündigen Podiumsdiskussion im Grimmaer Ratssaal bei Schnittchen und Mineralwasser medium am AfD-Merchandising-Tisch und blättert zufrieden in einer blauen Broschüre. „Siehst du, die machen das richtig. Die nehmen für ihr Wahlprogramm eine Schriftgröße, die man auch lesen kann“, zischt sie ihrem Begleiter zu und steckt das Heftchen in den blauen AfD-Stoffbeutel. Dazu noch einen Kugelschreiber. Oder auch zwei. Die Broschüre ist nicht das Wahlprogramm. „Islam – Religion, Ideologie – oder was?“ heißt die 65-seitige DIN-A5-Abhandlung der sächsischen Landtagsfraktion über den „zunehmenden Einfluss einer der am meisten expandierenden Weltreligionen“. Es geht um die (zumeist) kritische Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit von Islamismus und den deutschen Verfassungsgrundsätzen. Immer im Kontext zu Radikalisierung und Terror. Und: „Das Thema Islam ist [...] vom Thema Einwanderung nicht zu trennen.“

 

Die etwa 70 Gäste im Grimmaer Ratssaal hören und klatschen am Mittwochabend drei Herren und einer Frau zu. Die AfD-Landtagsabgeordneten Uwe Wurlitzer und Kirsten Muster, Moderator Andreas Lombardi und der nach eigener Darstellung „bis auf die Knochen unabhängige“ TV-Journalist Hans-Hermann Gockel (Sat1, N24) referieren und diskutieren zum Thema des Abends: „Extremismus in Sachsen – Ein Land im Fadenkreuz“. Eigentlich prangern sie mehr an, als dass sie tatsächlich diskutieren. Eine „seit Sommer 2015 analog zu Zu- und Einwanderung steigende Gewaltbereitschaft“ (Lombardi), „unaufgeklärte Attacken von Linksextremen auf AfD-Büros“ und Veranstaltungen in Sachsen (Wurlitzer), die Stimmungslage innerhalb der sächsischen Polizei oder auch die „Märchenerzähler aus dem Morgenland“ – Gockel glaubt zu wissen, dass jeder nicht registrierte Flüchtling („Reisende in eigener Mission“) ein Gefährder ist. „Und davon gibt es in Deutschland nicht 570, wie uns die Statistiken weismachen wollen, sondern 570000“, rechnet Buchautor Gockel („Finale Deutschland“, HHG-Verlag) vor.

 

In seinem Vortrag benennt Gockel die „vier Formen des Extremismus in Deutschland“, an denen sich auch die AfD abarbeitet: rechter, linker und religiöser Extremismus. Und: „Der Extremismus der Mitte, der durch eine Demokratie mit extremistischen Mitteln durch die Staatsregierung betrieben wird“, schießt Gockel gegen Merkel und das sächsische Innenministerium. Dass der Freistaat Sachsen 29 Millionen Euro Landeszuschüsse für integrative Bündnisse und Projekte bereitstellt, nennt der 63-jährige Fernsehmoderator („Jeder gegen Jeden“, Sat1) „einen Skandal“. Weil man „solche Späßchen, wie Tanzen für den Weltfrieden dann finanzieren kann, wenn man eine Gelddruckmaschine im Keller stehen hat. Aber nicht, wenn zigtausend Deutsche auf Sozialhilfe angewiesen sind oder nicht wissen, wie sie mit ihrer spärlichen Rente über die Runde kommen sollen. Der deutsche Staat bekämpft seine Freunde und finanziert seine Feinde“ – die Verkaufsexemplare seines neuesten Buches stehen gleich neben dem Sprechpult.

 

Zu den anderen drei Arten des Extremismus liefert vor allem Lombardi Zahlen und (unbelegte) Fakten. Das heißt, eigentlich nur zu religiös und links orientierten Straftaten. Nicht zum Rechtsextremismus. Dem müsse aber „wie allen Formen des Extremismus die rote Karte gezeigt werden, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen“, stimmt der Leipziger AfD-Politiker Wurlitzer in eine Gockel-Losung ein. Dafür tue die AfD im sächsischen Landtag „sehr viel. Auch wenn davon das Wenigste zu sehen ist, weil wir als kleine Partei in der Opposition keine Chance haben, eigene Anträge durchzubringen“, so Wurlitzer. Aber man sei aus der Tiefe heraus erfolgreich.

 

Könne mit seinen Argumenten in den Ausschüssen auch Kollegen der Regierungsparteien überzeugen und damit ein Umdenken bewirken. „Die würden das zwar nie zugeben, aber es gibt mehrere Beispiele dafür, dass CDU, SPD und Co. AfD-Anträge erst abgelehnt und später als eigene Idee zur Abstimmung gebracht haben. Wenn wir mit unseren Überzeugungen auf diese Weise zum Erfolg kommen, soll mir das Recht sein“, freut sich Wurlitzer über seine Beobachtungen und Erfahrungen in Dresden. Fraktionskollegin Kirsten Muster (Wahlkreis Meißen) bestätigt das am Beispiel zweier Anträge, die zuerst von der AfD in den Landtag eingebracht, dann abgelehnt und schließlich (zumindest in Teilen) über einen neuen Antrag anderer beschlossen wurden seien – das Verbot von Kinder-Ehen in Deutschland und das der Vollverschleierung. „Wenn die von uns abschreiben, adelt uns das. Und das macht uns sehr sehr stolz“, sagt Muster und strahlt. Dass das gute Arbeiten in Dresden etwas mit dem Schmusekurs der AfD mit der CDU zu tun haben könnte, wie ein Zuhörer im Grimmaer Ratssaal vermutet, weisen Muster und Wurlitzer von sich: „Das ist ganz sicher nicht so.“

 

Nun. Es ist Bundestagswahlkampf. Den möchte die sächsische Alternative für Deutschland „zweistellig in Berlin und mit 25 bis 30 Prozent aus Sachsen“ beenden, hofft Wurlitzer.

 

Seit 2014 sitzt die AfD im Landtag. Es sei nicht immer ein Vergnügen. Aber in Dresden herrsche noch ein besseres Miteinander als bei den Kollegen in Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Wurlitzer: „Wir können in den Ausschüssen viel bewegen und mit unseren Argumenten auch überzeugen. Das ist in anderen Landtagen anders.“ In Sachsen wollen die 14 AfD-Abgeordneten um Fraktionschefin Frauke Petry „weiter Druck machen“. Für verstärkte Grenzkontrollen, die konsequente Abschiebung straffällig gewordener Ausländer und die konsequente Registrierung aller Flüchtlinge – „es kann nicht sein, dass da jeder ins Sozialamt spaziert, der keinen Ausweis hat und sich das Steuergeld der Deutschen abholt“, holt der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion gegen das rechtsstaatliche Modell der demokratischen Grundordnung aus.

 

Andreas Lombardi – als Journalist, Autor und Verleger ein Kollege von Hans-Hermann Gockel (schreibt unter anderem gegen die Homo-Ehe und die Sterbehilfe an) – macht schließlich noch Werbung für Gockels 300-seitiger Abrechnung mit der deutschen Politik. Der „bis auf die Knochen unabhängige und nie einer Partei angehörende“ Gast bedankt sich mit einer Wahlempfehlung: „Das Motto der AfD ,Mut zur Wahrheit’ ist Programm. Dieser Partei zolle ich meinen Respekt. Weil sie Wahrheiten ans Licht bringt, die für dieses Land und seine Zukunft unerträglich sind.“

 

Von Thomas Lieb