Hartz IV - Arbeit, die arm macht: Allein erziehende Mutter sucht Boden unter den Füßen

Erstveröffentlicht: 
05.03.2017

Durch Arbeit verschuldet: Stephanie B. sucht nach Wegen aus dem Tal finanzieller Bedrängnis. Das ist die 30-Jährige ihrer Tochter schuldig. Vom kommunalen Jobcenter des Landkreises Leipzig sieht sie sich nicht in der nötigen Weise unterstützt.

 

Geithain/Niedergräfenhain. Das Kindergeld abheben, sobald es auf dem Konto ist, um ein paar Lebensmittel für die sechsjährige Tochter und sich selbst zu kaufen: Stephanie B. muss anderen Lastschriften zuvorkommen, sonst wird die Not noch größer. Mit den Außenständen, die sie nicht begleichen kann, wächst der Druck. Immer schwerer wird es für die dreißigjährige Niedergräfenhainerin, den Boden unter den Füßen zu behalten. Oder gar Land zu gewinnen, eine gesicherte wirtschaftliche und berufliche Perspektive jenseits Hartz IV.

 

Ein 450-Euro-Job im Landratsamt in Borna, den sich Stephanie B. eigenständig suchte und im letzten Sommer antrat, war dieser Ausweg nicht. Nicht einmal der Anfang desselben, weil ungeeignet für eine Alleinerziehende, die zwei Dutzend Kilometer entfernt wohnt. Allein die Kosten für den Arbeitsweg halbierten beinahe den Verdienst, der zudem auf die Sozialleistungen angerechnet wurde. Ihr bitteres Fazit: „Ich habe mich quasi durch Arbeit verschuldet.“ Inzwischen hat sie eine Geithainer Anwältin beauftragt, sie gegenüber der Behörde in mehreren strittigen Rechtsfragen zu vertreten.

 

Ein Zeckenbiss war der Beginn einer schwierigen Zeit. Die dadurch verursachte Borreliose-Erkrankung machte sie seit Oktober arbeitsunfähig. Inzwischen ist sie aus dem Billig-Job ausgeschieden – ihre Hartz-IV-Leistungen müssten neu berechnet werden. Eine Nachzahlung würde manches Loch stopfen, das sich durch den Job in Borna erst auftat. Doch das Amt, sagt B., lehnte ab, halte sie seit Monaten hin. Auf ihr drängendes Nachfragen folgte der Hinweis, dass sie möglicherweise sogar mit weiteren Abzügen zu rechnen habe, da ihre Tochter tageweise beim Kindesvater sei: „Sie nimmt ihr Umgangsrecht mit ihm wahr, doch die Behörde betrachtet das als temporäre Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist der Kindsvater gar kein Bezieher von Arbeitslosengeld.“

 

Für Stephanie B. ein weiterer Schlag. „Alleinerziehende haben es ohnehin sehr schwer, ganz egal, warum man in dieser Situation ist“, sagt sie. Leidtragende seien vor allem die Kinder. Im Sommer kommt ihre Tochter in die Schule. Für das Mädchen beginnt dann ein neuer Lebensabschnitt. Auf den der Schatten Hartz IV unweigerlich fällt, wenn es der Mutter nicht gelingt den Teufelskreis zu verlassen. „Ich möchte das Geld für unseren Lebensunterhalt selbst verdienen, möchte mich nicht abfinden, mich nicht einrichten mit Hartz IV“, bleibt sie kämpferisch. Wer auf Jahre Sozialleistungen beziehe, sei abgestempelt, ausgesperrt vom Leben der anderen. Dabei könne jeder plötzlich in diese Situation geraten.

 

Für eine Stelle, die der kleinen Familie ein Auskommen sichern könnte, würde Stephanie B. gern einen Berufsabschluss machen oder sich qualifizieren. Heilerziehungspfleger oder Bürofachfrau könnte sie sich vorstellen. Das (notgedrungen ruhende) Hobby der Fotografie zum Beruf machen zu können, wäre schon Luxus. Doch Ausbildung kostet Geld. Das, gibt sie zu, habe sie nicht und könne es auch nicht erwirtschaften im bürokratischen Kampf um das tägliche Überleben. Die Sorgen von der Tochter möglichst fernhalten ist B.s hehrer Wunsch: „Unter dem Druck, der mir mitunter wie Willkür vorkommt, leidet wirklich alles: soziale Kontakte, die Gesundheit.“

 

Dabei weiß die junge Frau, die in Frankfurt am Main aufwuchs und mit 13 das Elternhaus verließ, durchaus, was arbeiten ist. Putzen und Kellnern ging sie, um Geld zu verdienen, begann zwei Ausbildungen, wurde innerhalb der Probezeit wegen eines Autounfalls gekündigt. Versuchter Neustart: Rückkehr zu den Eltern, Beziehung, Ehe, Kind, Trennung. Sie jobbte in der Altenpflege, betreute und begleitete ihre demenzkranke Oma bis zum Schluss. Sie half in einem ambulanten Pflegedienst, in einer Gärtnerei.

 

Als Stephanie B.s Vater nach Obergräfenhain zog, schloss sich die inzwischen geschiedene Frau mit der Tochter an, fand im Geithainer Ortsteil Niedergräfenhain eine kleine Mietwohnung unterm Dach. „Die Vermieterin hat mich offen aufgenommen, hat die Zimmer frisch gemalert“, sagt sie. Ein Ort, um zur Ruhe zu kommen, die Verhältnisse zu ordnen. Doch schon als es um die Gewährung der Mietkaution ging, gab es einen Konflikt mit dem Jobcenter: „Eine Erstausstattung der Wohnung wurde mir gewährt, ein Kautionsdarlehen nicht.“

 

Erst die Anwältin erreichte die Zahlung. Im November hatten sich aufgrund des 450-Euro-Jobs – realer Verdienst 382 Euro – die Außenstände beim Strom summiert. Die Abschaltung konnte sie im letzten Augenblick verhindern, indem sie sich Geld lieh. Sehenden Auges geriet sie im Januar und Februar erneut in Verzug. Jetzt hofft sie, dass der Soziale Dienst des Gesundheitsamtes ihr zur Seite steht im immer verzweifelteren Bemühen, die Verhältnisse zu ordnen und eine Weg in die finanzielle Unabhängigkeit zu ebnen. Und dass sie mit dem Jobcenter auf einen Nenner kommt: „Ich habe nichts verbrochen, aber werde brüskiert, belächelt, vertröstet, verdächtigt. Ich habe Existenzangst. Ich möchte, dass meine Tochter anders leben kann. Aber es wird einem so schwer gemacht.“

 

Von Ekkehard Schulreich