Die nächste Terrorzelle

Erstveröffentlicht: 
03.03.2017

Justiz In Freital verübte eine Neonazi-Gruppe Anschläge auf Asylbewerber und Linke. Der Prozess gegen sie soll ein Zeichen setzen

 

Als im Frühjahr 2015 der Plan bekannt wurde, rund 300 Bürgerkriegsflüchtlinge in einem leerstehenden Hotel im sächsischen Freital unterzubringen, erhob sich in der 40.000 Einwohner zählenden Kreisstadt südwestlich von Dresden wütender Protest. Ein rechter Mob gründete eine „Bürgerwehr Freital“, die Kundgebungen und Fackelmärsche organisierte. Sächsische Politiker, die in Bürgergesprächen die Lage in Freital beruhigen wollten, wurden begeifert und beleidigt. An Häuserwänden in der Stadt fanden sich Sprüche wie „Kein Heim. Sonst brennt es“.

 

Eine rechte Terrorgruppe, die ihre Mitglieder unter radikalen Kräften der Bürgerwehr rekrutierte, ließ den Worten Taten folgen. Die sogenannte „Gruppe Freital“ beging zwischen Ende Juli und Anfang November 2015 insgesamt fünf Terroranschläge, darunter Sprengstoffattentate auf Asylunterkünfte und Linken-Politiker. Die Attacken forderten mehrere Verletzte, wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben. Kommende Woche, am 7. März, beginnt vor dem Oberlandesgericht in Dresden der Prozess gegen die „Gruppe Freital“. Die Bundesanwaltschaft wirft den acht Angeklagten unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie mehrfachen Mordversuch vor. Nach dem Münchner NSU-Verfahren wird dies der zweitgrößte Prozess gegen mutmaßliche Rechtsterroristen seit mehr als drei Jahrzehnten in der Bundesrepublik sein.

 

Ein Prozess, den es so beinahe gar nicht gegeben hätte. Denn eigentlich wollte die sächsische Justiz das Verfahren mit möglichst wenig Aufsehen über die Bühne bringen. Vor einem Amtsgericht nur sollte fünf der jetzt acht Angeklagten der Prozess wegen mehrerer Sprengstoffverbrechen gemacht werden. Drei Jahre Haft etwa wären dabei drin gewesen für die Freital-Nazis, schätzen Dresdner Juristen ein.

 

Nun aber dürfte bei einer Verurteilung das Strafmaß für die Angeklagten deutlich darüber hinausgehen. Grund dafür ist, dass Bundesanwalt Peter Frank am 11. April 2016 die in Sachsen bereits laufenden Ermittlungen gegen die „Gruppe Freital“ überraschend an sich zog. Es war ein erstes deutliches Zeichen des damals 47-jährigen Juristen, der ein halbes Jahr zuvor das Amt von seinem Vorgänger Harald Range übernommen hatte. Mit dem Durchgreifen gegen die Freitaler Nazi-Gruppe wollte die Bundesanwaltschaft deutlich machen, dass der Staat auf die zunehmende Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylunterkünfte hart reagieren will. Darüber hinaus war es aber auch ein Schuss vor den Bug der sächsischen Justiz, die in der „Gruppe Freital“ keine kriminelle oder terroristische Vereinigung zu erkennen meinte und sich deshalb einmal mehr den Vorwurf gefallen lassen muss, wie schon beim NSU eine Terrorzelle im eigenen Freistaat übersehen zu haben.

 

Die acht Angeklagten aus Freital – sieben Männer und eine Frau im Alter zwischen 19 und 39 Jahren – waren als Rechtsextremisten bis dahin nicht aufgefallen. Nur einer von ihnen war zum Zeitpunkt der Festnahme im April letzten Jahres vorbestraft, allerdings nicht wegen rechter Delikte.

 

Bei Pegida ausgelebt


Sie repräsentieren damit den Typ „besorgter Bürger“, der zwar eine rechte Ideologie und rassistische Ansichten vertritt, aber seine Einstellung vorerst nur auf Pegida-Kundgebungen und in Anwohnergruppen wie der Freitaler „Nein zum Heim“-Initiative auslebt. Eine Entwicklung, die bundesweit zu beobachten ist, wie Ulli Jentsch vom Berliner Antifa-Archiv „apabiz“ kürzlich auf einer Terrorismus-Tagung sagte. „In Teilen der Bevölkerung, selbst dort, wo wir es nicht mit dem harten Kern der Neonazis zu tun haben, sehen wir den Widerhall einer Rassenkriegsideologie“, sagt er. Diese Menschen wähnten sich in einer Situation, in der die Merkel-Regierung „Volksverrat“ begangen habe, weshalb sie sich als berechtigt ansehen, „das Volk“ zu verteidigen. „Sie fühlen sich einer Art nationalem Widerstand verpflichtet“, so Jentsch. In der Folge entstehe die Gefahr, dass sich unterhalb dessen , was bislang als Rechtsterrorismus gilt, lokale Strukturen entwickeln, die politischen Terror ausüben. „Personenkreise, die an sich schon nach rechts offen und deutlich rassistisch, aber nur in Teilen neonazistisch organisiert sind, machen sich auf, ,Volkswillen‘ zu exekutieren. Dazu bewaffnen sie sich, dazu führen sie Anschläge durch, die eine Tötung von Betroffenen bewusst in Kauf nehmen“, so Jentsch.

 

Das Dresdner Verfahren gegen die „Gruppe Freital“ ist vorerst bis September terminiert. Ein so zähes Unterfangen wie der Münchner NSU-Prozess dürfte es nicht werden, mehrere Angeklagte sind geständig. Sie räumen die fünf gemeinschaftlich begangenen Taten weitgehend ein: den Sprengstoffanschlag auf das Auto eines Freitaler Linken-Stadtrats im Juli 2016; die Anschläge mit selbstgebauten Sprengkörpern auf zwei Asylbewerberheime im September und November 2015, bei denen Bewohner verletzt oder sogar getötet werden sollten; den gemeinsam mit Neonazis der „Freien Kameradschaft Dresden“ geplanten und im Oktober 2015 durchgeführten Überfall auf ein linksalternatives Wohnprojekt in Dresden-Übigau, bei dem es mehrere Verletzte gab; und den nächtlichen Sprengstoffanschlag auf ein Parteibüro der Linken einen Monat zuvor.

 

Die der Bundesanwaltschaft vorliegenden Protokolle konspirativer Online-Chats, überwachter SMS und abgehörter Telefongespräche von Mitgliedern der „Gruppe Freital“ dürften nicht nur für die Angeklagten zum Problem werden. Auch die sächsischen Sicherheitsbehörden müssen erklären, warum sie nicht früher eingriffen, obwohl ihnen Hinweise auf bevorstehende Aktionen der Terrorgruppe vorlagen. So erfuhr die Polizei durch ein Telefonat zweier Angeklagter vorab vom geplanten Überfall auf das linke Wohnprojekt – und blieb tatenlos. Auch danach wurden die Verdächtigen nicht festgenommen, so dass sie zwei Wochen später einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim verüben konnten, bei dem es mehrere Verletzte gab.

 

Noch unklar ist zudem die Rolle eines Informanten aus der „Gruppe Freital“, der vor dem letzten Anschlag Kontakt zum sächsischen Verfassungsschutz aufgenommen hatte. Diese Tat wird in der Anklage als vierfacher Mordversuch gewertet. Der Verfassungsschutz behauptet bislang, über den geplanten Sprengstoffanschlag nicht vorab informiert gewesen zu sein.