Am kommenden Dienstag beginnt in Dresden der Prozess gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“. Laut Anklage haben sich die Beschuldigten im Juli 2015 zu einer rechtsextremen Vereinigung zusammengeschlossen. Fünf Anschläge auf Asylbewerber werden den Angeklagten zur Last gelegt.
Dresden. Im Sommer 2015 machen fremdenfeindliche Krawalle rund um eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Freital bundesweit Schlagzeilen. Auf dem Hoch der Flüchtlingskrise ganz vorne mit dabei: die Bürgerwehr „FTL/360“. Schon Wochen zuvor gegründet, ist es ihr ursprünglich selbst erklärtes Ziel, „Frauen und Kinder“ in der Busline 360 vom nahe gelegenen Dresden nach Freital (Autokennzeichen FTL) vor „kriminellen Asylbewerbern“ zu schützen.
Zu der Gruppe gehört auch Busfahrer Timo S.. Zusammen mit Patrick F. wird er laut Bundesanwaltschaft spätestens im Juli 2015 zum Rädelsführer der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“, der in Dresden nun vor dem Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird.
Neben Timo S. und Patrick F. werden sechs weitere Beschuldigte im Alter zwischen 19 und 38 Jahren auf der Anklagebank Platz nehmen. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Außerdem geht es um versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung, das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen und Sachbeschädigung.
Den sieben Männern und einer Frau werden insgesamt fünf Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder politische Gegner zur Last gelegt, zu denen sie in unterschiedlicher Zusammensetzung und Beteiligung beigetragen haben sollen. Durch ihre Taten, bei den zwei Menschen verletzt wurden, „wollten die Angeschuldigten ein Klima der Angst und Repression erzeugen“, heißt es in der Anklage.
Dem Prozess sind monatelange Ermittlungen vorausgegangen: Erst hatte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen Timo S. und sechs weitere Verdächtige ermittelt und im Februar vergangenen Jahres auch bereits Anklage erhoben. Timo S., Patrick F. und ein weiterer Beschuldigter saßen da schon seit drei Monaten in Untersuchungshaft. Vorgeworfen wurde ihnen ein Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt von Flüchtlingsunterstützern in Dresden und ein Sprengstoffanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im Freital.
Anders als die höchste Anklagebehörde in Sachsen sah der Generalbundesanwalt in Karlsruhe jedoch einen hinreichenden Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung und zog den Fall im April 2016 an sich. Kurze Zeit später kam die Spezialeinheit GSG 9 in Freital zum Einsatz: Fünf weitere Beschuldigte wurden festgenommen.
Neben den schon von den sächsischen Behörden erhobenen Anschuldigungen wurde der Tatvorwurf erweitert und mit anderen Fällen zusammengefasst: Hinzu kamen Sprengstoffanschläge auf das Auto eines Freitaler Linken-Stadtrats im Juli 2015, auf ein Linken-Parteibüro im September sowie auf eine weitere Freitaler Flüchtlingsunterkunft im Herbst 2015.
Da das im historischen Ständehaus in der Dresdner Altstadt residierende Oberlandesgericht nicht über die benötigten Räumlichkeiten verfügt, wurde für den Prozess ein externes Gebäude zum Hochsicherheitskomplex ausgebaut. 5,5 Millionen Euro steckte der Freistaat in die Herrichtung eines Gebäudes, das einmal der Speisesaal einer noch im Aufbau befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge werden soll.
Ab Dienstag kommender Woche wird dort nun sächsische Rechtsgeschichte geschrieben: Der Terrorprozess gegen die „Gruppe Freital“ ist das erste Staatsschutzverfahren vor dem Oberlandesgericht.
Eine Chronologie der Ereignisse
27. JULI 2015 - Mit der Sprengung des Autos eines Freitaler Linke-Stadtrats beginnt die vom Generalbundesanwalt angeklagte Anschlagsserie. Verletzt wird niemand, am Wagen des Stadtrats und zwei daneben abgestellten Fahrzeugen entsteht erheblicher Schaden.
19. SEPTEMBER 2015 - In der Nacht explodiert ein an einem Küchenfenster einer Flüchtlingsunterkunft in Freital angebrachter Sprengkörper. Es entsteht Sachschaden, die acht Bewohner der Unterkunft bleiben nur deshalb unverletzt, weil sich zum Tatzeitpunkt niemand in der Küche aufhielt.
20. SEPTEMBER 2015 - Erneut ein nächtlicher Sprengstoffanschlag. Diesmal ist ein Parteibüro der Linken in Freital das Ziel. Wieder entsteht erheblicher Sachschaden, als Pyrotechnik an einer Fensterscheibe des Büros gezündet wird.
19. OKTOBER 2015 - Mitglieder der Gruppe werfen laut Anklage Pflastersteine und teils mit Buttersäure präparierte Sprengkörper auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden. Ein Bewohner der „Mangelwirtschaft“ wird verletzt.
1. NOVEMBER 2015 - Erneut ist eine Flüchtlingsunterkunft in Freital Ziel eines Anschlags. An drei Fenstern einer von Asylbewerbern genutzten Wohnung explodieren Sprengkörper. Ein Syrer wird von Glasscherben im Gesicht getroffen und verletzt.
5. NOVEMBER 2015 - Bei einer Razzia von Polizei und Staatsanwaltschaft werden in Dresden und Freital neun Wohnungen durchsucht. Timo S., Patrick F., Philipp W. und Maria K. werden verhaftet, der Haftbefehl gegen K. aber wieder außer Vollzug gesetzt. Insgesamt wird gegen sieben Verdächtige ermittelt. Bei den Durchsuchungen werden neben Pyrotechnik auch Nazi-Devotionalien gefunden. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie versuchte oder vollendete gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vor.
FEBRUAR 2016 - Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden erhebt Anklage gegen Timo S., Patrick F., Philipp W., Justin S. und Maria K. wegen der Angriffe auf die „Mangelwirtschaft“ und eine Flüchtlingsunterkunft in Freital.
1. APRIL 2016 - Der Generalbundesanwalt bestätigt, die Übernahme der Ermittlungen wegen Terrorsverdachts zu prüfen. Nach Anforderungen der Akten durch Karlsruhe zieht die Generalstaatsanwaltschaft ihre Anklagen zurück.
11. APRIL 2016 - Der Generalbundesanwalt zieht das Verfahren an sich. Es wird wegen Terrorverdacht ermittelt.
19. APRIL 2016 - Bei einer weiteren Razzia - an der im Auftrag des Generalbundesanwalts nun auch die Spezialeinheit GSG 9 beteiligt ist - werden Justin S., Rico K., Sebastian W., Mike S. und Maria K. festgenommen. Seither sitzen alle acht Beschuldigten in U-Haft.
2. NOVEMBER 2016 - Die Bundesanwaltschaft erhebt vor dem Oberlandesgericht Dresden Anklage. Neben der Bildung einer terroristischen Vereinigung sollen sich die Beschuldigten unter anderem auch wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen verantworten.
17. JANUAR 2017 - Das Oberlandesgericht lässt die Anklage der Bundesanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu. Damit kann das erste Terrorverfahren in der Geschichte des Freistaates beginnen. Bis Ende September werden mehr als 60 Verhandlungstage angesetzt.
7. MÄRZ 2017 - Beginn des Prozesses in einem eigens dafür eingerichteten Hochsicherheitsgebäude.