Blankoscheck über 37 Millionen Euro

Erstveröffentlicht: 
25.02.2017

Sächsische Politiker streiten über ein geplantes Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was steckt dahinter?

Von Karin Schlottmann

 

Der Geldsegen aus Berlin kommt unverhofft, und er stiftet Verwirrung in Sachsens Landespolitik. 37 Millionen Euro will der Bund ausgeben, um ein „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ im Freistaat zu installieren. Kurz vor Ende der Haushaltsberatungen im Bundestag stimmten die Abgeordneten dieser enormen Investition in die geisteswissenschaftliche Forschung zu.

 

Doch statt ungeteilter Freude sorgte die Entscheidung für viele ratlose Gesichter, vor allem im Wissenschaftsministerium von Eva-Maria Stange (SPD). Denn für dieses neue Institut gibt es weder in Berlin noch in Dresden einen Plan. In einer Anmerkung zum Beschluss des Haushaltsausschusses heißt es, Ziel sei die Erforschung der Einwanderungs- und Integrationspolitik an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, zivilgesellschaftlichem Engagement und Praxis. An Ehrgeiz mangelt es nicht: 80 bis 90 Stellen können mit der geplanten Summe finanziert werden. Zum Vergleich: Am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden forschen 13 wissenschaftliche Mitarbeiter.

 

Das Bundesministerium für Bildung in Berlin arbeite an einer Konzeption, heißt es in einer knappen Antwort des sächsischen Wissenschaftsministeriums an die Grünen-Landtagsfraktion. Kritiker wie die Grünen-Abgeordnete Claudia Maicher vermuten, das Geld sei womöglich für ein ähnliches Projekt der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung bestimmt. Die Stiftung hatte im vorigen Sommer den Verein „Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration“ gegründet, in dem auch der konservative Politikwissenschaftler Werner Patzelt mitarbeitet. Patzelt will sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu dem Thema überhaupt nicht äußern. Da sei noch gar nichts spruchreif, sagte er auf Anfrage.

 

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer findet die Debatte in Sachsen ärgerlich, wie er sagt. Kretschmer hat den Anstoß für die Entscheidung gegeben, das Institut zu gründen. Es sei doch Tatsache, dass sich durch Digitalisierung und Globalisierung der Zusammenhalt der Gesellschaft auflöse, argumentiert er. Das Institut solle herausfinden, wie sich diese gefährliche Entwicklung aufhalten lässt.

 

Den Bundestagsabgeordneten sei das Thema wichtig und es sei üblich, dass nach Haushaltsbeschlüssen im Parlament die Details solcher Forschungsvorhaben erst später erarbeitet würden. Fest stehe, dass eine Universität in Sachsen zum Zuge kommt und, so seine Hoffnung, mit ihrer Arbeit weit über die Grenzen des Landes hinaus Wirkung entfaltet.

 

Das Bundesbildungsministerium will sich angesichts der Aufregung keinesfalls unter Druck setzen lassen. Ob die Forschungsmillionen überhaupt nach Sachsen fließen, sei offen, sagte eine Sprecherin am Freitag. „Der Standort des Instituts steht noch nicht fest.“ Denkbar sei eine Ausschreibung, aber auch darüber sei noch nicht entschieden worden.

 

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Simone Raatz, die wie Kretschmer dem Wissenschaftsausschuss des Bundestages angehört, sagte, an dem geplanten Standort Sachsen komme der Bund nicht mehr vorbei. Spätestens Anfang April werde es ein Fachgespräch in Berlin geben, bei dem die nächsten Schritte besprochen werden.

 

Angesichts der Größe dürfte das geplante Institut für alle drei sächsischen Universitäten eine Herausforderung werden. Hoffnung machen sie sich trotzdem. Bereits im Sommer haben Wissenschaftler in Dresden, Leipzig und Chemnitz einen Verbund gegründet, in dem Forschungsarbeiten zu den Themenfeldern Migration, Integration, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gebündelt werden. Oliver Decker, einer der Initiatoren, würde es gern sehen, dass der Bund auf das bestehende Netzwerk zurückgreift. Alles andere, sagte er, wäre nicht nachvollziehbar.