»Werk 8« als Symbol

Erstveröffentlicht: 
12.05.2010

Beschäftigte des Stuttgarter Autozulieferers Behr kämpfen gegen Werksschließung. Große Solidarität in von Krise gebeutelter Region


Von Herbert Wulff

 

Die Industrieregion Stuttgart steht vor einem dramatischen Einbruch. Hier ist mehr als überall sonst in Deutschland der gebeutelte Automobil- und Maschinenbau konzentriert. Zum Symbol für den Niedergang – und für den Widerstand dagegen – könnte die Fabrik des Autozulieferers Behr in Stuttgart-Feuerbach werden. Die Produktionsstätte soll geschlossen werden, die rund 240 Arbeiter stehen vor der Entlassung. Nach mehreren teils spektakulären Protestaktionen wird an diesem Mittwoch ein Solidaritätskomitee gegründet, das die verschiedenen, von Arbeitsplatzvernichtung betroffenen Belegschaften zusammenbringen will.

Im November hat das Behr-Management angekündigt, das Produktionswerk (Werk 8) in Stuttgart-Feuerbach zu schließen. Die 240 Beschäftigten sollen Ende Juni ihre Kündigung erhalten. »Das ist eine rein politische Entscheidung, die eher strategische als wirtschaftliche Gründe hat«, kritisierte Wolfgang Zeleny, Leiter des IG-Metall-Vertrauenskörpers, am Dienstag gegenüber junge Welt. Seit 20 Jahren sei nicht mehr richtig in die Fabrik investiert worden. »Das Werk ist inzwischen völlig veraltet«, gibt der Gewerkschafter zu und betont: »Man hat den Standort ganz bewußt heruntergewirtschaftet.« Zum Teil soll die Produktion nach Mühlacker im Nordwesten Baden-Württembergs verlagert werden. Andere Aufträge fallen wegen der Übernahme der Sparte Behr Industry durch den Kolbenhersteller Mahle weg.

Die Beschäftigtenvertreter von Mahle und Behr sehen sich indes nicht als Konkurrenten. Im Gegenteil: Mit der Gründung des Solidaritätskomitees wollen sie sich gegenseitig unterstützen. »Ziel ist es, gemeinsame Aktionen auf die Beine zu stellen und den Behr-Kollegen den Rücken zu stärken«, erklärte Matthias Fritz, Vertrauenskörperleiter der IG Metall bei Mahle in Stuttgart. »Die Belegschaften dürfen nicht länger allein stehen. Alle sind betroffen, also müssen sich auch alle gemeinsam wehren. Ein Erfolg bei Behr würde auch uns sehr helfen.« Denn auch im Mahle-Konzern, der seinen Sitz ebenso wie Behr in der baden-württembergischen Landeshauptstadt hat, sollen hierzulande 800 Arbeitsplätze gestrichen werden.

»Das Werk 8 ist ein Symbol, das für die traditionelle Kampfkraft der Stuttgarter Metaller steht«, so Fritz im jW-Gespräch. In der Vergangenheit haben die Behr-Arbeiter in vielen Auseinandersetzungen, zum Beispiel beim Kampf um die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren, eine bedeutende Rolle gespielt. Auch in den vergangenen Monaten hat die Belegschaft ihre Bereitschaft zum Widerstand dokumentiert. So demonstrierten sie im Dezember zweimal kurzzeitig auf der sechsspurigen Bundesstraße 10. Zuletzt beteiligten sich am vergangenen Mittwoch rund 1700 Beschäftigte an einer gemeinsamen Demonstration mit den gleichsam von Entlassung bedrohten Kollegen der benachbarten Fabrik des Druckmaschinenbauers KBA MetalPrint.

Mit dabei waren auch Delegationen von Bosch, Mahle, Coperion, Porsche, Daimler, Alcatel, Werner&Pfleiderer sowie des Schleifmaschinenherstellers Schaudt in Stuttgart-Hedelfingen, der ebenfalls vor dem Aus steht. Der Kampf bei Behr könnte also durchaus zum Vorbild und Kristallisationspunkt des gewerkschaftlichen Widerstands in der Region werden, wie Fritz betonte. Und sie ist eine Nagelprobe für die IG Metall, die mit der Parole »Keine Entlassungen in der Krise« angetreten ist.

»Wir sind sehr auf die Unterstützung anderer Belegschaften angewiesen«, erklärte Zeleny die von Vertrauensleuten bei Behr und Mahle vorangetriebene Gründung des Solidaritätskomitees. »Feuerbach war früher eine Hochburg industrieller Produktion. Jetzt wird diese immer weiter abgebaut und nach Osteuropa und anderswohin verlagert.« Bei Behr stünden längerfristig sämtliche Produktionsarbeitsplätze in Deutschland zur Disposition – nicht nur wegen der geringen Lohnkosten, sondern zum Teil auch auf direkten Druck der großen Endhersteller.

»Die Kollegen sind bereit, alles zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu tun«, betonte Zeleny. Zum Streik will die IG Metall dennoch nicht aufrufen. Angesichts der sehr geringen Auslastung könne durch Arbeitsniederlegungen kaum wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden, erklärte der IG-Metall-Funktionär. »Wenn wir es schaffen, daß niemandem betriebsbedingt gekündigt wird, hätten wir schon sehr viel erreicht.«

Gründung des Solidaritätskomitees: 12.5., 17 Uhr, Kellerschenke im DGB-Haus Stuttgart, Bleicherstraße