35 Vorfälle seit Oktober - Neukölln erlebt neue Welle rechtsextremer Gewalt

Erstveröffentlicht: 
18.02.2017

Brandanschläge, Steinwürfe, Angriffe auf Menschen: Gewalt von Rechtsextremisten hat es in Berlin-Neukölln immer mal wieder gegeben. Nach einer Phase der Ruhe scheint es jetzt wieder loszugehen. Seit Oktober wurden 35 derartige Vorfälle bekannt. Von Jo Goll und Torsten Mandalka

 

Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kirchenmenschen, ganz normale Buchhändler - als Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten kann das, was zur Zeit in Berlin-Neukölln passiert, nicht mehr abgetan werden.

Scheiben von Einrichtungen und Privatwohnungen wurden mit Steinen eingeworfen. Das Banner, das die Rudower Kirchengemeinde gegen Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz aufgehängt hatte, wurde zerschnitten, die Reifen am Auto einer Pfarrerin zerstochen. 

 

"Die Bedrohungslage jetzt ist noch mal eine ganz andere"


Der alte Mercedes des Gewerkschafters Detlef Fendt ging gleich ganz in Flammen auf. "Früher haben Bücher gebrannt als erstes, jetzt brennen Autos!", das war der erste Gedanke von Detlef Fendt, als Nachbarn ihn in einer Januar-Nacht alarmierten und er sein Auto zerstört vorfand. Die Täter hatten Grillanzünder auf den Vorderreifen gestellt und angezündet. Versichert war das Auto nicht, auf dem Schaden von mehr als 6.000 Euro bleibt Fendt jetzt sitzen. Seinen Großvater hatten die Nazis im KZ interniert – daran fühlt Fendt sich jetzt erinnert: "Das hat mich schon sehr mitgenommen an dem Punkt."

 

Zum wiederholten Mal betroffen ist auch Mirjam Blumenthal, eine Neuköllner Sozialdemokratin und Gewerkschafterin. Lange Jahre hat sie die Neuköllner Falken repräsentiert - ein besonderes Feindbild für Rechtsextreme. Als ihr Auto brannte, hätten die Flammen auch leicht aufs Wohnhaus übergreifen können. "Die Bedrohungslage jetzt ist noch mal eine ganz andere", sagt sie, "sie ist gefährlicher. Es wird in Kauf genommen, dass Menschen ums Leben kommen. Und das heißt im Endeffekt auch: die eigenen Kinder sind bedroht." 

 

Angriffe auf einen ganz normalen Buchhändler


Eine neue Qualität hat auch der Angriff auf den Buchhändler Heinz Ostermann. Erst zerstörten die Täter die Scheiben seiner Buchhandlung "Leporello" in Rudow. Einige Kilometer entfernt, an seiner Privatwohnung brannte schließlich auch sein Auto. Daraus kann Ostermann nur einen Schluss ziehen: "Ich bin bis nach Hause verfolgt worden, man hat mich ausspioniert. Das hat mich noch mal zusätzlich schockiert."

Der Anlass für die Attentate auf ihn ist offenbar eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel "Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus". Die hatte der Buchhändler im "Leporello" ausgerichtet, um im Kiez ins Gespräch zu kommen über den Rechtsruck in der Gesellschaft. Dass er jetzt im Fokus steht, interpretiert Heinz Ostermann so, dass die Rechtsextremen die klare Positionierung einer ganz normalen Buchhandlung offenbar als noch gefährlicher für ihre Interessen ansehen, als wenn das ein exotischer linker Laden tut. 

 

Polizei richtet spezielle Ermittlungsgruppen ein


Die Polizei hat das alles registriert. Vor Ort ist eine spezielle Ermittlungsgruppe eingerichtet worden, im Landeskriminalamt arbeitet inzwischen die Abteilung RESIN (Rechtsextreme Straftaten in Neukölln). Das Zielspektrum der Anschläge lässt kaum Zweifel am politischen Hintergrund der Täter, sagt Kriminaloberrat Winfried Wenzel. Darüber hinaus sei deutlich zu erkennen, dass es den Tätern darum geht, Angst zu schüren und eine Bedrohungskulisse aufzubauen. "Das kann im Rechtsstaat nicht Mittel der Auseinandersetzung sein", sagt der Polizeisprecher, und sieht darin einen weiteren Aspekt, der für den politisch motivierten Hintergrund der Taten spreche. Die Polizei ist aber optimistisch, bald Fahndungserfolge vorweisen zu können.

 

Und Detlef Fendt, der Gewerkschafter, hat zwar sein Auto verloren, nicht aber seinen Sinn für Humor: Anlässlich des gescheiterten NPD-Verbots hätten die Täter wohl ein Freudenfeuer mit seinem alten Mercedes gemacht. "Vielleicht haben sie sogar den Kohlenanzünder noch aus den staatlichen Mitteln bezahlt, die sie bekommen haben."