Anschlag am S-Bahnhof Wehrhahn Demonstranten glauben nicht, dass Ralf S. allein handelte

Erstveröffentlicht: 
04.02.2017

Düsseldorf. Mit Taschenlampen und Laternen forderten am Freitagabend knapp 100 Demonstranten am S-Bahnhof Wehrhahn, "Licht ins Dunkel" zu bringen. Sie glauben nicht, dass der verhaftete Ralf S. ein Einzeltäter gewesen sei und erinnerten an die im Jahr 2000 sehr aktive rechte Szene. Von Stefani Geilhausen

 

Mit der vom Bündnis "Düsseldorf stellt sich quer" initiierten Demo taten sie ihre Zweifel am vorläufigen Ermittlungsergebnis zum Wehrhahn-Anschlag kund.

Tatsächlich war im Juli 2000 die "Freie Kameradschaft" Düsseldorfer Neonazis in "Bombenstimmung". Unter diesem Motto wollten die Kameraden nur wenige Tage nach dem Anschlag am S-Bahnhof Wehrhahn dagegen protestieren, dass Rechtsextreme als Täter vermutet wurden. Die Demo wurde verboten und erst im Oktober lud die Kameradschaftspostille "Düsseldorfer Beobachter" und die Bandansage des Nationalen Infotelefon erneut zum Aufmarsch ein.

 

Debatte um NPD-Verbot


Bis zu dem Anschlag waren die vielschichtigen Aktivitäten der Neonazi-Szene in Düsseldorf von der breiten Öffentlichkeit eher unbeachtet geblieben. Umso schneller waren danach Politiker wie Otto Schily und der damalige NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) mit der Forderung nach konsequentem Vorgehen gegen Rechtsextremisten bei der Hand. In der Folge wurden deutlich mehr rechtsextreme Straftaten angezeigt. Auch in Düsseldorf wollten Bürger Hakenkreuzschmierereien und Hetzaufkleber an Laternenpfählen nicht länger dulden. In Berlin nahm die Debatte um ein NPD-Verbot an Fahrt auf.

 

Als am 2. Oktober 2000 ein Brandsatz gegen die Tür der Synagoge an der Zietenstraße flog, schaltete sich sogar der Kanzler ein. Gerhard Schröder forderte an der Seite des damaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden, Paul Spiegel, den "Aufstand der Anständigen". Der folgte drei Wochen später: Bei der bis heute größten Demonstration in der Geschichte Düsseldorfs gingen Tausende auf die Straße, um sich gegen die am Rhein marschierenden Neonazis zu positionieren.

 

Die Jüdische Gemeinde erhöhte ihre ohnehin hohen Sicherheitsvorkehrungen noch einmal. Und der Düsseldorfer Appell, 1991 in Folge einer ersten Welle fremdenfeindlicher Brandanschläge gegründet, initiierte das Netzwerk "Respekt und Mut", das auch heute noch gegen rechtsextreme Bestrebungen antritt - etwa bei den Aufmärschen der rechtsextremen "Dügida".

 

Anschlag auf Synagoge ist geklärt


Der Anschlag auf die Synagoge wurde im Dezember 2000 geklärt: Ein Deutsch-Marokkaner und ein aus Jordanien stammende Palästinenser gestanden, sie hätten mit ihrem selbstgebastelten Molotowcocktail Rache für einen in Gaza getöteten Jungen nehmen wollen.

 

Auch beim Wehrhahn-Anschlag schien den Ermittlern - und vielen Beobachtern des Verfahrens - die Theorie vom rechtsextremistischen Hintergrund immer unwahrscheinlicher. Vor allem, weil sich niemand dazu bekannt hatte, was für politisch motivierte Straftäter untypisch ist. Neben der Neonazi-Hypothese verfolgten die Ermittler zwei weitere: Ein Zusammenhang mit der Russenmafia wurde - nach weiteren Angriffen auf Russlanddeutsche in Berlin und Hamburg - ebenso wenig ausgeschlossen wie die Tat eines waffenverrückten Sprengstoff-Narren.

 

Ein solcher tötete sich Anfang 2001 an der Scheurenstraße mit einer selbstgebauten Minibombe. Die Ermittler fanden heraus, dass er am Tattag in Tatortnähe war - allerdings war er damals als Psychiatriepatient von Pflegern ausgeführt worden.

 

Das fehlende Bekennerschreiben spielte keine Rolle mehr, als im Herbst 2011 die DVD auftauchte, mit der die Neonazi-Mörder des NSU nach ihrem Selbstmord in Erinnerung bleiben wollten. Die Wehrhahn-Akte wurde nach möglichen Verbindungen durchforstet – ohne Ergebnis.