Der gute Bandit, der den schlechten Reichen nimmt und den leidenden Armen gibt. Nur eine Comic-Figur? Nur ein verklärter Romanheld? Nur ein Abziehbild aus dem Poesiealbum? Nicht ganz.
Man muss nach ihm fahnden, das ist richtig. Aber man trifft ihn (noch) in den Knästen dieser Republik: den Sozial-Banditen.
Verbrechen mit sozialem Ethos
Der kommunistische Dramatiker Bertholt Brecht stellte die berechtigte Frage: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" Er fragte damit, auf welcher Seite das Verbrechen denn eigentlich zu finden sei? Die Frage darf gerne individuell beantwortet werden...
Räubergestalten sind Legenden. Ein „Schinderhannes" etwa, der romantisierte und über das gleichnamige Schauspiel von Carl Zuckmayer bekannt gewordene Inbegriff des Räuberhauptmanns.
Oder die „bayerischen Sozialrebellen" Michael Heigl und Matthias Klostermayr sowie der „Voralpen-Robin-Hood" Mathias Kneißl. Aber auch ein Karl Plättner, der im Industriebezirk Halle-Merseburg Anfang der 1920er Jahre mit seinem Trupp umherschweifte.
Sein hoch emotionaler Aufruf, den „Roten Schrecken", den „organisierten Bandenkampf" zu proben, ging in die Chronik der Protestgeschichte ein.
Ein Langzeitgefangener aus Baden-Württemberg, mit dem ich während meiner dreieinhalb jährigen Haftzeit in Briefkontakt stand, prägte den Begriff „Klassiker-Gilde". Er meinte damit die alte Garde der Gefangenen, die als Diebe, Hehler, Räuber, „Schränker" und Einbrecher verurteilt wurden.
Jene, die aus ihrer Sicht einen „extralegalen Beruf" ausführen. Die sich das Geld und den Schmuck dort herholen, wo Wertgegenstände in Übermaßen vorrätig sind. Zu dieser „Gilde" zählen die klassischen Banditen, die mit einer Portion von „sozialem Ethos" ihre Streifzüge antreten.
Die Tragik an der Sache: Diese Symbolfigur des „noblen Verbrechers" zählt in den bundesdeutschen Haftanstalten zu einer extrem rar gewordenen Spezies. Viele Inhaftierte fantasieren Größe und Stärke herbei, sind aber nur Placebos und Trittbrettfahrer. Gangster-Imitate ohne Rückgrat.
Das Klima in den Knästen hat sich verschlechtert, seitdem der Sozial-Bandit mit Ehrenkodex ein Auslaufmodell ist. „Artenschutz" müsste gefordert werden.
Knast als Fortbildungsmaßnahme für Banditen
In der Haftanstalt in Köln-Ossendorf gab es in den 1980er bis tief in die 1990er Jahre ein ganzes Hafthaus mit 200 Kriminellen, die den Trakt in eine Kontaktbörse und Weiterbildungsstätte umfunktionierten. Die Bildungsarbeit funktionierte: Man tauschte brandheiße Tipps aus, verbesserte feine Tricks, plante für die Zeit nach der Haft. Verbrechen will als Handwerk gelernt sein.
Man ließ frisch geschult und hoch motiviert das Knasttor hinter sich zurück. Mit dem neu gewonnenen Know-how ging man seiner speziellen Erwerbsarbeit nach. Ja, Verbrechen macht Arbeit, nötigt Kreativität ab, Gerissenheit allein genügt nicht.
Die „Lehrgänge" hinter Gittern offenbaren indes ihre Defizite. Trotz der knastinternen Unterrichtsstunden kehren viele der Absolventen unfreiwillig zurück. Nachsitzen in Haft. Die „Sogwirkung" des Knasts ist nicht zu unterschätzen.
Da hilft auch der bestandene erste Eignungstest im informellen Knastkurs nicht viel. Gut, man dreht halt eine Extrarunde.
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Es liegt im Wesen von Knast: Steckt man Hunderte Verbrecher zusammen, potenziert sich in der Folge die „kriminelle Energie". Das ist nur logisch. Knast verstärkt diese Tendenz. Und der Knast ist der letzte soziale Ort, an dem so etwas wie eine „Re-Sozialisierung" stattfindet, stattfinden kann.
Verdrängungswettbewerb hinter Gittern
Während meiner Haftzeit war ich als linksradikaler politischer Gefangener ein „Außenseiter", ein recht privilegierter allerdings. Ich dachte anfangs, dass Syndikate im Knast leicht auszumachen sein müssten, die ihre Mitstreiter in einem solidarischen Verbund betreuen und versorgen.
Wie bei den sagenumwobenen Ringvereinen der 1920er Jahre in Berlin. Puh. Alles Geschichte. Gedanken-Plunder von vor-vor-gestern.
Die hierarchische Gesellschaft im Knast hat sich tief verändert. Das Oben und das Unten sind weiterhin klar definiert. Dazwischen spielt sich nicht viel ab. Jede Knast-Elite, die ihren Stellenwert hinter Gittern handfest erstritten hat, verteidigt ihr Terrain. Alles wie gehabt. Die Zusammensetzung der Gefangenen ist aber eine andere.
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Bestimmte „Deliktgruppen" haben sich in den Anstalten in den Vordergrund gespielt, die nicht nur in quantitativer Hinsicht dominant sind. Cliquen, denen die Vita von Sozial-Banditen fehlt. Die im sozialen Umgang ein Totalausfall sind.
Des Weiteren ist die Anzahl von suchterkrankten Gefangenen, die wegen „Beschaffungskriminalität" einsitzen, in die Höhe geschossen. Inhaftierte, die aufgrund sexualisierter Gewalt in Haft sind, haben zahlenmäßig gleichfalls kontinuierlich zugenommen.
Findet hinter den Knastmauern nur noch ein Hauen und Stechen statt? Nein.
Die fast dreijährige Existenz der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) belegt, dass Kollegialität und Solidarität zumindest punkuell unter Inhaftierten praktisch werden können. Die autonome Organisierung um die soziale Frage hinter Gittern gelingt. Und das ist gut so.