Schon wieder Leipzig: Gefangener erhängt sich in seiner Zelle

Zivikarre vor JVA in der Leinestraße in Leipzig. Kennzeichen: DD-Q-2534
Erstveröffentlicht: 
16.01.2017

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig hat sich erneut ein Gefangener erhängt. Der 28-jährige Deutsche war am vergangenen Donnerstag von der Polizei in der JVA eingeliefert worden. Noch am späten Abend, wenige Stunden nach seiner Aufnahme, tötete er sich selbst. Der Mann erhängte sich an einem Zellengitter.

 

Leipzig. Der Fall des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr ist noch in trauriger Erinnerung: Anfang Oktober, vor gerade einmal drei Monaten, erhängte sich der 22-jährige Syrer in seiner Einzelzelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig. Der Selbstmord sorgte europaweit für Schlagzeilen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) musste damals eingestehen: „Der Suizid hätte verhindert werden müssen, in jedem Fall.“ In der nächsten Woche wird die unabhängige Expertenkommission für diesen Fall ihren Abschlussbericht vorlegen – doch schon vorher gerät die sächsische Justiz, insbesondere der Leipziger JVA-Chef Rolf Jacob, abermals in Erklärungsnot: Am späten Donnerstagabend erhängte sich ein Gefangener.

Fest steht bislang: Der 28-jährige Deutsche war am vergangenen Donnerstag, wenige Stunden vor seinem Tod, von der Polizei ergriffen und in die JVA Leipzig eingeliefert worden. Das Amtsgericht Leipzig hatte ihn Anfang 2016 wegen Computerbetrugs und vorsätzlichem unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu Haftstrafen von insgesamt acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem lag ein weiterer Haftbefehl aufgrund einer Unterschlagung vor. Nachdem die Bewährung widerrufen worden war und sich der Verurteilte, der schon mehrfach unter anderem wegen Diebstahls und Drogenbesitzes vorbestraft war, nicht fristgemäß zum Haftantritt in der JVA Leipzig gemeldet hatte, wurde die Polizei eingeschaltet, die ihn schließlich in Gefängnis brachte.

Was danach passierte, wirft Fragen auf und ist Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens. Nach LVZ-Informationen war die Zugangsstation bereits seit Mittwoch überlastet. In der JVA soll kaum noch eine Zelle frei gewesen sein. Mit etwa 400 Gefangenen war das Haus  – wieder einmal – an der Schmerzgrenze angelangt. Die Personalbesetzung hinke den Erfordernissen seit Langem hinterher, sagen Kenner der JVA Leipzig. Demnach durchlief der 28-Jährige zwar das Aufnahmeverfahren, aber aufgrund der Personalnot möglicherweise im Schnelldurchlauf.

Am Gitter erhängt

„Mit jedem Neuzugang wird im Rahmen eines standardisierten Suizidprophylaxe-Verfahrens durch erfahrene Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes ein Zugangsgespräch geführt. Im vorliegenden Fall ergab dieses Gespräch keine Hinweise auf Selbsttötungsabsichten“, erklärt der Anstaltsleiter. Eine Vorstellung beim Sozialdienst und dem Anstaltsarzt sei veranlasst gewesen, „aber es kam nicht mehr dazu“. Da der Gefangene angegeben hatte, Drogen eingenommen zu haben und die Gefahr von Entzugserscheinungen bis hin zum Kollabieren bestand, wurde er „vorsorglich stündlich kontrolliert“, so Jacob. Am späten Donnerstagabend fand ein JVA-Mitarbeiter den 28-Jährigen tot in der Zelle – er hatte sich am Gitter erhängt.

„Im Ergebnis der Obduktion ergaben sich keine Hinweise auf eine Fremdeinwirkung. Als Todesursache wurde ein Suizid festgestellt. Die weiteren Ermittlungen zu den Umständen des Todes des JVA-Insassen dauern an“, erklärt Ricardo Schulz von der Staatsanwaltschaft Leipzig. Über mögliche Versäumnisse und die weiteren Todesumstände könne noch nichts gesagt werden, so Schulz, da dies „Gegenstand des laufenden Todesermittlungsverfahrens“ sei.

Auf Nachfrage stellt sich außerdem heraus: Nur wenige Wochen nach al-Bakr hat sich auch in der JVA Torgau (Nordsachsen) ein Gefangener das Leben genommen – es war der vierte und letzte Fall im vergangenen Jahr in Sachsen. Im Jahr 2015 hatten sich sechs Gefängnis- insassen selbst getötet, wobei die beiden JVA Leipzig und Dresden schon damals betroffen waren. „Selbsttötungen geschehen leider immer wieder im Strafvollzug“, sagt Jörg Herold, Sprecher des Justizministeriums. „Um Selbsttötungen zu vermeiden, werden große Anstrengungen unternommen. Trotzdem lässt sich nicht immer verhindern, dass Gefangene sich das Leben nehmen.“ Im deutschlandweiten Vergleich hätten die Todesfälle in Sachsen aber nur einen geringen Anteil.

Der Leipziger JVA-Chef erklärt auf die Frage, welche Maßnahmen zur Vermeidung des neuerlichen Suizids getroffen wurden: „Es gibt Standards für die Suizidprophylaxe, die durch die Landesarbeitsgruppe Suizidprävention ständig weiterentwickelt werden.“ Außerdem sei „ein Maßnahmenpaket in Arbeit“, das nach Vorliegen des Berichts der Expertenkommission ergänzt werde.

Von Andreas Debski