Einer der größten Wirtschaftsprozesse des Jahres hat am Mittwochmorgen in Leipzig begonnen. Angeklagt sind der einstige Unister-Finanzchef Daniel Kirchhof, der inzwischen für eine Münchner Internetfirma arbeitet, Thomas Gudel (Ex-Finanzchef bei Travel24) und Holger Friedrich (Leiter Flugbereich der Unister-Gruppe).
Leipzig. Einer der größten Wirtschaftsprozesse des Jahres hat am Mittwochmorgen am Leipziger Landgericht begonnen. Angeklagt sind der einstige Unister-Finanzchef Daniel Kirchhof, der inzwischen für eine Münchner Internetfirma arbeitet, Thomas Gudel (Ex-Finanzchef bei Travel24) und Holger Friedrich (Leiter Flugbereich der Unister-Gruppe). Ihnen wird Computerbetrug, Steuerhinterziehung und unerlaubtes Betreiben von Reiserücktrittsversicherungen vorgeworfen, teilweise auch Beihilfe dazu. Den entstandenen Gesamtschaden beziffert die ermittelnde Dresdner Generalstaatsanwaltschaft auf 7,6 Millionen Euro.
Das Verfahren begann am Mittwoch mit dem Verlesen der insgesamt 48 Seiten starken Anklageschrift. Zuerst warf Generalstaatsanwalt Dirk Reuter den Beschuldigten das unerlaubte Betreiben eines Versicherungsgeschäfts sowie begleitende Steuerhinterziehung und Betrug vor. Die Unistergruppe soll durch das angeblich unerlaubte Versicherungsgeschäft einen Ertrag von 14 Millionen Euro erzielt haben. Bei der vorgeworfennen Steuerhinterziehung geht es um 1,1 Millionen Euro und im Betrugsfall um weitere 125.000 Euro, erklärte Reuter im Leipziger Landgericht.
Nach Vorstellung des ersten, 16 Seiten umfassenden Teils der Anklage wurde am Mittwoch eine Prozesspause eingelegt. Am Nachmittag soll dann der zweit, noch einmal 32 Seiten starke Teil vorgestellt werden.
Mehr als 1000 Seiten Akten und 18 Verhandlungstage
Insgesamt 18 Verhandlungstage sind bis Mitte Juni in dem Mammut-Prozess vor der 15. Strafkammer zunächst angesetzt. Verfahrensbeobachter gehen davon aus, dass es noch deutlich mehr werden könnten. Alleine die Verlesung der Anklageschrift, die für Mittwoch ab 9 Uhr geplant ist, soll mindestens fünf Stunden in Anspruch nehmen. Sie ist nach Informationen von LVZ.de mehrere hundert Seiten lang und wird ergänzt durch mehr als 1000 Seiten Tabellen. Darin sind rund 87.000 Flugbuchungen mit Kundendaten, Strecken und Preisen erfasst, die Unister durch das sogenannte „Runterbuchen“ angeblich zu teuer auf seinen Portalen vermittelte.
Das Online-Unternehmen und auch Brancheninsider sprachen in der Vergangenheit von einem in der Reisewirtschaft üblichen Verfahren. Dabei behält das Unternehmen eine im Nachgang der Buchung erzielte Vergünstigung ein, ohne diese an den Kunden weiterzureichen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft erfolgte dies mit System – und erfüllte den Tatbestand des Betrugs. Dies weist Unister ebenso zurück wie den Vorwurf, mit Reiserücktrittsprodukten wie „Flexifly“ gegen geltendes Recht verstoßen und Steuern hinterzogen zu haben. Das Unternehmen zahlte statt der Versicherungssteuer die Umsatzsteuer – sie beträgt ebenfalls 19 Prozent. Ob es sich tatsächlich um eine genehmigungspflichtige Versicherung handelte, wird der Prozess zeigen.
Ermittlungen stürzten Unister in Finanzschwierigkeiten
Das Landgericht unter Vorsitz von Richter Volker Sander will die Anklagevorwürfe auch mit Hilfe zahlreicher Zeugen prüfen, die von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden geladen wurden. Diese sollen voraussichtlich an den drei Verhandlungstagen im Februar aussagen. Mit Spannung erwartet wird, wie sich das Fehlen von Thomas Wagner auswirken wird. Er hatte seit den Großrazzien der Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen (INES) im Dezember 2012 und 2013 auf den Beginn das Prozesses gewartet und auf eine Aufklärung der Vorwürfe gehofft. Sie stürzten Unister in schwieriges Fahrwasser, in dem auch Vertragspartner absprangen. Das Unternehmen sprach vor einem Jahr von mindestens 43,5 Millionen Euro Schaden, der durch die Ermittlungen entstanden sei.
Kurz nach dem Tod Wagners hatte Unister ebenso wie zahlreiche Tochterunternehmen Insolvenz anmelden müssen. Inzwischen ist die Reisesparte an einen Investor aus Prag verkauft. Das Unglück in den slowenischen Alpen dagegen ist bis heute nicht aufgeklärt. Zu den Hintergründen des Flugzeugabsturzes und dem Millionenbetrug, dem Wagner und sein Mitgesellschafter Oliver Schilling zuvor in Venedig aufsaßen, laufen zwei weitere Verfahren. Diese spielen vor dem Landgericht jedoch keine Rolle.
Von Matthias Roth / Robert Nößler / mpu