Mit einem riesigen Aufgebot hat die Polizei in Köln für Sicherheit gesorgt. 900 Platzverweise wurden ausgesprochen. Doch was genau wollten eigentlich die angereisten Nordafrikaner in der Innenstadt?
Von Claus Christian Malzahn, Stefan Laurin, Martin Lutz, Tobias Heimbach
Eigentlich begann das Jahr in Köln mit einer guten Nachricht. Anders als im Vorjahr kam es in dieser Silvesternacht auf der Domplatte nicht zu massenhaften sexuellen Übergriffen. Landespolizei und Bundespolizei waren mit einem massiven Aufgebot angetreten und hatten die Lage im Griff. Wirklich eine gute Nachricht?
Wären die Polizei diesmal nicht mit 1700 Kräften ausgerückt, um Bahnhöfe und Plätze zu kontrollieren, hätte sich vermutlich ein ähnliches Bild geboten wie vor zwölf Monaten. Die vorläufige Bilanz des Einsatzes der Bundespolizei in Köln: 1200 „polizeirechtliche Maßnahmen“. Es handele sich hierbei „vorwiegend um rund 900 Platzverweise, 300 Personenkontrollen oder Gefährderansprachen“, teilte die Bundespolizei auf Anfrage mit.
Obwohl die Polizei schon angekündigt hatte, diesmal deutlich präsenter zu sein, hatten sich etwa 2000 junge Männer auf den Weg gemacht, die im Polizeijargon als Nafris bezeichnet werden: ein Kürzel für „Nordafrikanische Intensivtäter“. Die meisten Straftaten in der Kölner Silvesternacht waren von eben solchen Männern verübt worden. Die Bundespolizei, die allein in Köln mit 300 Beamten im Einsatz war, spricht von einer „fahndungsrelevanten Klientel“. Hierzu zählt sie „größere Gruppen von Männern im Alter von 18/20 bis 30/35 Jahren, die mitunter bereits alkoholisiert und oder mit einer gewissen Grundaggressivität reisten“.
Der Vorwurf von „Racial Profiling“
Und schon hat das junge Jahr seine erste große politische Debatte. Aber es ging zunächst nicht um die Frage, warum friedliche Feiern auf öffentlichen Plätzen inzwischen von einem massivem Polizeiaufgebot geschützt werden müssen – sondern um politische Korrektheit. Als „völlig inakzeptabel“ verurteilte zunächst die Co-Vorsitzende der Grünen, Simone Peter, die Nafri-Vokabel, die in Sicherheitskreisen übrigens bereits länger gebräuchlich ist. Die Kölner Polizei hatte am Samstagabend getwittert: „Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft.“ Für die Politikerin Peter eine „herabwürdigende Gruppenbezeichnung“. Plötzlich stand der Vorwurf von „Racial Profiling“ im Raum.
Hatte sich die Polizei bei ihren Festnahmen von Äußerlichkeiten und ethnischer Herkunft leiten lassen? Diesen Vorwurf wiesen Vertreter der Polizei und auch Politiker wie der SPD-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, Norbert Römer, umgehend zurück. „Vorwürfe, diese Konzepte hätten einen rassistischen Beigeschmack, sind völlig absurd und eine üble Unterstellung“, erklärte Römer in Düsseldorf.
Selbst in der eigenen Partei steht Peter mit ihrer Attacke anscheinend allein da. So hatte die Bundestagsabgeordnete und Innenexpertin Irene Mihalic via Facebook den Einsatzkräften der Polizei sofort gedankt, „die dafür gesorgt haben, dass so viele Menschen in unseren Städten sicher und unbeschwert Silvester feiern konnten!“ Am Montag distanzierte sich Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt klar von Peter: „Es war richtig, schnell und präventiv zu reagieren und die Sicherheit aller Menschen in Köln zu gewährleisten.“ Später schwächte Peter dann ihre Kritik ab.
Scharfe Kritik an Simone Peter
Amnesty International forderte hingegen eine Untersuchung wegen des Verdachts von Racial Profiling. Typisch grüne Nörgelei an einem gelungenen Polizeieinsatz sei das, kritisierte der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Rainer Wendt, Peters Äußerungen. „Hätten unsere Kräfte anders gearbeitet, wäre es den gleichen Kritikern mit Sicherheit auch nicht recht gewesen“, sagte Wendt der „Welt“. Nafri sei ein Arbeitsbegriff, den die Polizei weiter benutze – ob es den Grünen passe oder nicht. „Racial Profiling gab und gibt es nicht in der deutschen Polizei“, so Wendt. Er war jahrelang in Duisburg Polizeibeamter.
Auch aus der CSU musste sich die Grünen-Chefin scharfe Kritik anhören. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte: „Kritik daran zu üben, dass Polizisten ihren Job machen und potenzielle Unruhestifter genau unter die Lupe nehmen, seien es Deutsche oder Ausländer, kann ich absolut nicht nachvollziehen.“ Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) fragte auf Facebook: „Was sollte im Moment eigentlich wichtiger in der öffentlichen Diskussion sein: Die Frage, ob die von Polizeibeamten für Twitter gewählte Abkürzung Nafri rassistisch ist, vielleicht gar die Einordnung als Nordafrikaner, oder die Frage, inwieweit der Rechtsstaat auf die Mobilisierungsfähigkeiten rechtsstaatsferner Gruppen reagieren kann (dies gilt übrigens auch für Ausländerextremisten, für Rechts- und Linksradikale und Islamisten)?“
Und der CSU-Innenexperte im Bundestag, Stephan Mayer, sagte der „Welt“: „Wenn nun einmal ein Großteil der Straftaten und Gewalttäter vor einem Jahr nordafrikanischen Hintergrund hatte, war es in polizeitaktischer Hinsicht verhältnismäßig und angemessen, ja sogar erforderlich, die in Gruppen zu Hunderten nach Köln anreisenden Nordafrikaner zu kontrollieren und Personalien aufzunehmen.“ Das habe nichts mit Diskriminierung und Rassismus zu tun.
Der Einsatz „hätte kippen können“
Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies ruderte dennoch zurück: Der Begriff Nafri hätte „besser nicht nach außen verwendet werden sollen“. Eine Häufung an Straftaten von Personen aus dem nordafrikanischen Raum lasse sich aber nicht bestreiten. Dass es in diesem Jahr glimpflich abging in Köln, lag demnach nicht daran, dass die Nafris ihre kriminelle Energie verloren hatten – sondern an der professionellen Polizeiarbeit. Er habe vorübergehend die Befürchtung gehabt, dass der Einsatz „hätte kippen können“, gestand Mathies ein.
Schon im Vorfeld hatten sich die Ordnungshüter akribisch vorbereitet. Wochen vorher hatten sie die sozialen Netzwerke im Blick. Dort wurde man allerdings nicht fündig. „Schlussendlich kann ich Ihnen bis dato noch keine Erklärung dafür geben, warum sich so viele größere Männergruppen auch aus den Maghrebstaaten insbesondere auf den Weg nach Köln gemacht haben“, erklärte ein Sprecher der Bundespolizei. Die Präsenz wurde jedenfalls vor dem „Tag X“ hochgefahren. Es kam zu Einsätzen in der nordafrikanischen Szene Kölns. Um zu zeigen, „dass wir diese Klientel im Blick haben“, heißt es im Landesinnenministerium.
Mehr als 900 Platzverweise
Ist das schon Racial Profiling? Die Polizei bestreitet das. Entscheidend für Kontrollen und Platzverbote sei das individuelle Verhalten. Wer aggressiv gewesen sei, kam nicht auf den Platz zwischen Hauptbahnhof und Dom. Und „aggressives Verhalten“, sagt ein Sprecher der Kölner Polizei, „war für uns nicht bereits gegeben, wenn jemand grimmig schaute.“ Man habe sich auf Gruppen von jungen Männern konzentriert, aus denen heraus gepöbelt oder Beamte beschimpft worden seien. Viele der Männer seien betrunken gewesen.
Nach Eindruck der Polizei wollten viele der in Gruppen angereisten Nordafrikaner gar nicht an den Feiern in der Innenstadt teilnehmen: „Zahlreiche Männergruppen hatten die Absicht, sich zunehmend Alkohol konsumierend über einen längeren Zeitraum im Kölner Hauptbahnhof aufzuhalten. Daher drohte die Situation in den Passagenbereichen des Bahnhofes immer unübersichtlicher zu werden.“ Die Einsatzleitung entschied sich dazu, diese Personen wegen ihres Verhaltens anzusprechen und zu bitten, den Bahnhofsbereich zu verlassen.
Es kam zu mehr als 900 Platzverweisen, weil die Männer der Aufforderung der Polizei, zu gehen, nicht nachkamen. Die Platzverweise seien unumgänglich gewesen, um eine „ähnliche gefahrengeneigte Situation wie Silvester 2015“ zu verhindern, so die Bundespolizei. Viele Gruppen seien aus dem Ruhrgebiet und aus Düsseldorf angereist. Beamte in Zivil waren in Zügen und auf Bahnhöfen unterwegs und konnten so die Ankunft von Problemgruppen frühzeitig nach Köln melden.
Stadtquartiere von Nordafrikanern geprägt
Dazu kannte die Polizei ihre Pappenheimer. Probleme mit nordafrikanischen Intensivtätern gibt es in NRW nicht nur zu Silvester. Kein Bundesland hat mehr Flüchtlinge aus Maghreb-Staaten wie Algerien und Marokko aufgenommen. Das lag am Verteilungsschlüssel: Jedes Land war bis zum Sommer 2016 schwerpunktmäßig für Flüchtlinge aus bestimmten Staaten zuständig. Im vorigen Jahr nahm NRW 62 Prozent aller marokkanischen Asylbewerber Deutschlands auf, 6444 Marokkaner.
Vor allem in Düsseldorf und Köln gibt es Stadtquartiere, die von Nordafrikanern geprägt sind. An einer Razzia im Maghreb-Viertel Düsseldorfs nahmen vor einem Jahr 300 Polizeibeamte teil, es kam zu 20 Festnahmen. Doch auch für NRW ist es schwierig, selbst straffällig gewordene Nordafrikaner wieder in ihre Heimat abzuschieben. Bislang blockieren die Grünen im Bundesrat ein Gesetz, das die Große Koalition im Bundestag am 13. Mai 2016 verabschiedet hatte. Demnach sollten Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, um Abschiebungen dorthin zu erleichtern. Zuletzt ermahnte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Grünen, den Widerstand gegen das Gesetz aufzugeben. Das war nach dem Anschlag des Tunesiers Anis Amri an der Berliner Gedächtniskirche