In Berlin und Freiburg haben Zuwanderer möglicherweise Verbrechen begangen. Diese sind, wie alle Verbrechen, nun Gegenstand der Ermittlungsbehörden. Die Identität der Täter aber hat eine politische Debatte ausgelöst. Ausgehend von den einzelnen Verbrechen wird von Politikern und Medien die Frage diskutiert, wie kriminell Zuwanderer in Deutschland sind und wie darauf zu reagieren sei.
Dieser Schritt vom Einzelfall zum Muster, von Berlin und Freiburg zu einem deutschlandweiten Lagebild zur Kriminalität von Zuwanderern, birgt mehrere Probleme.
Das erste Problem ist ein moralisches: Ab wann sollte die Kriminalität von Zuwanderern politisches Thema sein? Wenn sie überhaupt Straftaten begehen oder erst, wenn sie mehr Straftaten begehen als Deutsche? Wer schon jede einzelne Straftat eines Zuwanderers nicht nur für eine Aufgabe für Polizei und Gerichte hält, sondern für einen politischen Skandal, legt damit an Zuwanderer andere Maßstäbe an als an deutsche Tatverdächtige. Eine solche Haltung wäre zuerst Ausdruck einer Ungleichbehandlung von Zuwanderern und Deutschen.
Will man ermitteln, ob die Kriminalität von Zuwanderern höher als die von Deutschen ist oder bestimmten Mustern folgt, zeigen sich außerdem formale Probleme.
Lagebild ermöglicht erste Einschätzung
Es ist sehr schwer, die Kriminalität von Zuwanderern überhaupt genau zu erfassen. Das Bundeskriminalamt (BKA), das die offiziellen und deutschlandweiten Kriminalitätsstatistiken erstellt, weist gleich auf mehrere Probleme hin. So können Straftaten, egal von wem sie begangen werden, nur dann erfasst werden, wenn sie auch angezeigt werden. Alle anderen bleiben unsichtbar. Das BKA schreibt deshalb, seine Daten "dürfen nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden". Zweites Problem: Die BKA-Statistiken führt nicht verurteilte Täter auf, sondern alle Tatverdächtigen, also auch Unschuldige. Studien zeigen, dass Ausländer eher verdächtigt werden als Deutsche, sie dürften in der BKA-Statistik also vergleichsweise überrepräsentiert sein.
Drittes Problem: Wer ist überhaupt gemeint? Es reicht nicht, die Kriminalität derjenigen ohne deutschen Pass zu messen. In der politischen Debatte geht es schließlich nicht um indische Ingenieure, spanische Kellner oder kriminelle Touristen.
Das Bundeskriminalamt hat deshalb in diesem Jahr versucht, die passenden Zahlen für die politische Debatte zu liefern, und gesonderte "Lagebilder" zu kriminellen Zuwanderern erstellt. Als Zuwanderer sind darin definiert: Asylbewerber und Asylberechtigte, Bürgerkriegs- und Kontingentflüchtlinge, Menschen, die sich ohne Erlaubnis in Deutschland aufhalten, Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen und außerdem noch all jene, bei denen der Aufenthaltsstatus nicht ganz klar ist, die aber aus den wichtigsten Herkunftsländern von Flüchtlingen in den vergangenen Jahren gehören: Dazu zählen beispielsweise Afghanistan, Syrien und der Kosovo. Komplett herausgerechnet werden Verstöße gegen das Aufenthalts- oder Asylverfahrensgesetz. Das dient der Vergleichbarkeit, denn Deutsche können diese Straftaten nicht begehen.
Nach all diesen Einschränkungen kommt das BKA im ersten Halbjahr 2016 auf rund 142.500 Fälle im Zusammenhang mit begangenen oder versuchten Straftaten, "bei denen zumindest ein Zuwanderer als Tatverdächtiger erfasst wurde". Dabei sind die Fallzahlen im Laufe des Jahres deutlich zurückgegangen, insgesamt um 36 Prozent von Januar bis Juni.
Straftat Nummer eins war die Beförderungserschleichung: 26.900-mal wurden Zugewanderte des Schwarzfahrens verdächtigt, zeigt der Bericht des BKA. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Körperverletzung (26.200) und Ladendiebstahl (25.000).
Der schwierige Vergleich mit deutschen Kriminellen
Mord oder Totschlag, wie im Freiburger Fall, sorgen zwar für besonders viel öffentliches Entsetzen, bleiben aber die absolute Ausnahme. Nur 0,1 Prozent der Straftaten, in denen Zuwanderer als Täter verdächtigt wurden, waren sogenannte Straftaten gegen das Leben. Auch in der gesamten Kriminalitätsstatistik, die alle Tatverdächtigen erfasst, liegen Straftaten gegen das Leben regelmäßig um oder unter 0,1 Prozent. Im ersten Halbjahr 2016 gab es 201 Fälle von Tötungen und versuchten Tötungen durch tatverdächtige Zuwanderer. Ein einziges Todesopfer war Deutscher.
Insgesamt sind Syrer, Afghanen und Iraker, gemessen an ihrer Zahl in Deutschland, relativ selten tatverdächtig. Staatsangehörigen aus den Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien), aus Georgien, vom Balkan (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien) und aus Afrika (Gambia, Nigeria und Somalia) waren als Tatverdächtige im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gruppe der Zuwanderer dagegen überrepräsentiert.
Das Problem mit solchen Sonderauswertungen der Kriminalitätsstatistik ist, dass sie bestimmte Merkmale, hier eben die Herkunft, in den Mittelpunkt rücken und so den Eindruck erwecken, die Menschen wären kriminell, eben weil sie zugewandert sind.
"Will man bei der Suche nach den Migrationseffekten für Kriminalität und Kriminalisierung keinen Scheinkorrelationen aufsitzen, dürfen lediglich Migrantengruppen und einheimische mit einem ähnlichen (am besten: gleichen) Sozialprofil verglichen werden", schreibt dazu der Sozialwissenschaftler Rainer Geißler. Das ist im Vergleich mit der deutschen Durchschnittsbevölkerung kaum zu machen, denn Zuwanderer sind eher männlich, haben ein geringes Einkommen und leben eher in Ballungsgebieten – alles Merkmale, die bei Straftätern häufiger zu finden seien, so Geißler.
Zurück zum Einzelfall
Auch statistisch ist es schwer, die Kriminalität von Zuwanderern mit der von Deutschen sauber zu vergleichen. Denn dazu müsste man die Zahl der Tatverdächtigen ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Zuwanderer in Deutschland setzen. Aber auch das BKA weiß nicht, wie viele das genau sind. Es nennt als Bezugsgröße die 1,3 Millionen Menschen, die seit Januar 2015 Asyl in Deutschland ersucht haben. Allerdings sind darin auch alle enthalten, die Deutschland schon wieder verlassen haben. Und nicht mitgezählt sind wiederum jene, die schon vor 2015 kamen – so wie beispielsweise zwei der Berliner Tatverdächtigen.
Entsprechend vorsichtig formulierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière schon im November 2015: "Insgesamt zeigen uns die derzeit verfügbaren Tendenzaussagen, dass Flüchtlinge im Durchschnitt genauso wenig oder oft straffällig werden wie Vergleichsgruppen der hiesigen Bevölkerung." Das BKA selbst sagt über seine Statistiken: "Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu." Und vergleichbar mit Statistiken aus den früheren Jahren ist die aktuelle BKA-Studie auch nicht, denn in den vorherigen Jahren gingen viele Zuwanderer noch in der größeren Gruppe der sonstigen Nichtdeutschen unter und waren nicht separat aufgeführt.
Aussagen lassen sich nur im Kleinen machen, wenn man bestimmte Regionen, Gruppen oder Delikte betrachtet. Nach den Übergriffen zu Neujahr in Köln gerieten vor allem Asylbewerber aus Nordafrika in den Blick. Einer nicht repräsentativen Untersuchung des Kölner Kriminalkommissariats 41 zufolge begingen 40 Prozent der 800 Maghrebiner, die zwischen Oktober 2014 und November 2015 bei der Kölner Polizei als Flüchtlinge registriert wurden, Straftaten – vor allem Raub und Diebstahl. Als Gründe dafür werden zumeist geringe Chancen auf eine Anerkennung als Asylbewerber und fehlende Perspektiven genannt.
In Braunschweig hat schon im August 2015 eine Sonderkommission die Kriminalität von Flüchtlingen untersucht, die die dortige Erstaufnahmestelle durchliefen – der Anteil der Straftäter lag auf einem Niveau von 1,0 bis 1,5 Prozent. Straftaten wie Diebstähle oder Einbrüche, die auch Flüchtlinge begingen, versuchte die Sonderkommission schnell aufzuklären, um abzuschrecken und Sicherheit zu vermitteln. "Es waren auch Kriminelle am Werk, die im Flüchtlingsstrom mitgeschwommen sind", sagte der Leiter der Kommission Ulf Küch dem NDR, nachdem er ein Buch über seine Erkenntnisse veröffentlicht hatte.
Je konkreter man also auf einzelne Tätergruppen schaut, desto eher lassen sich Besonderheiten ausmachen und erklären. Es ist der Blick auf den Einzelfall, der Erkenntnis verspricht.