Zwischen Partei und Ehrenamt

Rosa-Maria Reiter (links), neues Mitglied im Verfassungsgerichtshof des Landes, ist politisch noch kaum in Erscheinung getreten. Deshalb gibt es nur dieses Foto an der Seite ihres Ehemannes, des AfD-Bundestagskandidaten Thomas Seitz.
Erstveröffentlicht: 
16.12.2016

Die 47-Jährige Rosa-Maria Reiter aus Lahr wurde auf Vorschlag der AfD in den Verfassungsgerichtshof des Landes gewählt.

 

Von Christian Kramberg

 

LAHR/STUTTGART. Der Verfassungsgerichtshof ist das oberste Gericht des Landes Baden-Württemberg. Am Mittwoch ist Rosa-Maria Reiter auf Vorschlag der Alternative für Deutschland (AfD) im zweiten Wahlgang in dieses Gremium gewählt worden. Die 47-Jährige lebt seit einigen Jahren in der Ortenau, seit 2015 in Lahr.

 

Als der Name Rosa-Maria Reiter als Kandidatin für den Verfassungsgerichtshof fiel, war er allenfalls Insidern bekannt. Politisch ist die 47-Jährige bislang in der Region noch nicht aufgefallen. Dafür umso mehr ihr Ehemann Thomas Seitz, im letzten Jahr AfD-Landtagskandidat und 2017 Kandidat für die Bundestagswahl. Zu ihrem Ehemann möchte sich Reiter im Gespräch nicht äußern. Wichtig ist ihr zu betonen: "Ich bin kein AfD-Mitglied." Politisch tätig ist sie aber durchaus. In Teilzeit arbeitet sie zwei Tage in der Woche im Stuttgarter Büro der AfD-Landtagsabgeordneten Carola Wolle. Diese Kombination – AfD-nah, aber keine Abgeordnete – hat sie auch zur Kandidatin für den Verfassungsgerichtshof gemacht.

Es ist unschwer zu erkennen, dass die Wurzeln der 47-Jährigen nicht in der Region liegen. Obwohl sie schon seit knapp 17 Jahren in der Ortenau lebt, ist der bayerische Dialekt noch immer unüberhörbar. Wie es sie in die Ortenau verschlagen hat? "Übers Internet", sagt sie und lacht erst einmal laut auf, als sie sich an die private Geschichte zurückerinnert. Nach deren Ende ist Rosa-Maria Reiter geblieben: "Ich war verknallt in die Ortenau und die Mentalität der Menschen."

Die Bürokauffrau hatte im Abendstudium ihren Betriebswirt gemacht und arbeitet heute freiberuflich als Beraterin bei alltäglichen Fragen im beruflichen und privaten Bereich.

Aufgewachsen ist Rosa-Maria Reiter in einem kleinen Dörfchen im Landkreis Traunstein, tiefstes Oberbayern. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die CSU dort satte 57 Prozent erhalten. Das Umfeld war christlich-kirchlich geprägt, erzählt sie, ihre Familie kommunalpolitisch stark engagiert. Von Politik wollte Rosa-Maria Reiter zunächst aber nichts wissen. Nur kurz sei sie auf Betreiben der Schwester Mitglied in der Jungen Union gewesen, aber nie in der CSU. "Das bitte ich zu betonen", sagt Reiter entschieden.

 

Und nun die AfD. Auch wenn sie ihr nicht angehört ("und das habe ich auch nicht vor"), so kann ihre Person von der Partei nicht getrennt gesehen werden. Das weiß sie, obwohl sie im Gespräch immer wieder betont, sich nicht vereinnahmen lassen zu wollen. Jahrelang habe sie ihr Wahlrecht nicht ausgeübt, aus Verdruss über die Parteien, wie sie sagt: "Egal, was Du wählst, es ist das Gleiche." Erst über Bernd Lucke, AfD-Gründer und früherer Vorsitzender ("Er hat mich ein Stück weit beeindruckt"), habe sie wieder zur Politik gefunden.

Die 47-Jährige bezeichnet sich selbst als konservativ und weltoffen. Beim Thema Flüchtlinge lässt sie sich politisch nicht so leicht verorten, allein schon, weil sie sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagiert, Deutschkurse gibt und eine Frau aus Afrika in Alltagsangelegenheiten betreut. Populistische Parolen zu diesem Thema hört man von Rosa-Maria Reiter nicht. Die Fehler in der Politik sind nach ihrer Meinung schon vor vielen Jahren gemacht worden: eine falsche Entwicklungspolitik, Handelsabkommen, die Strukturen vor Ort zerstörten, oder Waffenlieferungen in Krisenländer: "Das ist ein Thema, bei dem man mich wirklich auf die Palme bringen kann."

Ihre Lösungsansätze klingen hehr: die sofortige Beendigung aller Kriege, Bleibemöglichkeit von Flüchtlingen in heimatnahen Ländern und schließlich eine "kontrollierte Zuwanderung". Was sie genau darunter versteht und wie das umgesetzt werden kann, da bleibt die 47-Jährige vage. Sie will die "Grenzen schützen" und bessere Grenzkontrollen. Diejenigen, die keinen Asylanspruch haben, müssten das Land verlassen. Wer anerkannt ist, müsse vernünftig versorgt und integriert werden. Auf die Frage, wohin dann mit den Flüchtlingen, weiß sie aber auch nicht so recht eine Antwort.

Sie wehrt sich gegen Pauschalisierungen in der Flüchtlingsdiskussion – "weder positiv noch negativ". Die Vergewaltigung und Tötung einer 19-Jährigen in Freiburg geht ihr nah. "Das ist eine sehr, sehr unglückliche Geschichte mit allen tragischen Folgen." Was sie nach eigenen Worten erschüttert hat, ist die Häme, die die Familie des Opfers erfahren hat: "Wie tief muss jemand sinken, um das zu tun."

In ihrem neuen Amt will sie sich von der Partei, die sie vorgeschlagen hat, nicht instrumentalisieren lassen. Der Verfassungsgerichtshof wird sich demnächst mit einer Klage der AfD über die Rechtmäßigkeit eines Untersuchungsausschusses beschäftigen. Könnte sie sich da gegen die AfD stellen? "Ich kann’s" sagt Rosa-Maria Reiter entschieden. "Ich kann nicht nach Befindlichkeiten entscheiden, sondern nur nach dem Gesetz."

 


 

Verfassungsgerichtshof

Der Verfassungsgerichtshof ist das baden-württembergische Verfassungsgericht und entscheidet über die Auslegung der Landesverfassung. Er besteht aus neun Richtern: drei Berufsrichter, drei Richter mit allgemeiner "Befähigung zum Richteramt" und drei Richtern, bei denen diese Voraussetzung nicht vorliegen muss. Rosa-Maria Reiter zählt zur dritten Kategorie. Mitglieder dürfen nicht zeitgleich Abgeordnete, politische Beamte oder Minister sein. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Landtag besaß die AfD das Vorschlagsrecht für den frei gewordenen Posten. Je drei Stellen stehen Grüne und CDU zu, je einer AfD, SPD und FDP.