Abschiebungen nach Afghanistan beginnen

Erstveröffentlicht: 
14.12.2016

Samir Narang wartet in Büren bei Paderborn auf seine Abschiebung nach Afghanistan. "Ich habe Todesangst - und das Gefühl, es ist alles ein böser Traum", sagt er NDR.de am Dienstag. Heute soll der 24-Jährige mit dem Flugzeug nach Kabul gebracht werden. Narang ist damit unter den ersten Afghanen aus Deutschland, die mit einer Sammel-Abschiebung in das Bürgerkriegsland zurückgebracht werden sollen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte seit Monaten auf solche Flüge gedrungen. Auch Hamburg beteiligt sich nach Angaben der Ausländerbehörde zum ersten Mal daran; sagt aber nicht, wie viele Afghanen mit Narang abgeschoben werden sollen. Nach Informationen von NDR 90,3 sind es mindestens zwei weitere. Wahrscheinlich mehr. Bisher hatte Hamburg keine Afghanen abgeschoben. Die Ausländerbehörde äußert sich nicht zu einzelnen Fällen. 

 

Von der Ausländerbehörde in die Abschiebehaft


Narang lebt seit etwa vier Jahren in Hamburg. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war, bekam der Afghane immer wieder eine Duldung. Vor wenigen Wochen erhielt er dann die Aufforderung zur freiwilligen Ausreise. Dass diese vollstreckt werden kann, war ihm offenbar nicht klar. Am vergangenen Donnerstag ging er zur Ausländerbehörde, um seine Duldung verlängern zu lassen. Narang beschreibt NDR.de, dass die Mitarbeiter ihn erneut nach seinen Fluchtgründen fragten und ihm dann mitteilten, dass seine Duldung nicht verlängert werde. Er sei zu einem Gericht gebracht worden, bei dem ihm ein indischer Dolmetscher gestellt wurde. Narang spricht laut seiner Unterstützer neben Deutsch nur Multani, einen Dialekt der Hindus. Mit dem Dolmetscher habe er sich daher nur schwer verständigen können, sagt er NDR.de. Auf Deutsch habe er schließlich gesagt, dass er zur Hindu-Minderheit im muslimischen Afghanistan gehöre und seine gesamte Familie in Deutschland lebe. Dann kam er nach Büren in Abschiebehaft. "Sie hatten mir auch mein Handy abgenommen. Ich stand total neben mir. Ich verstehe nicht, was hier passiert." 

 

"Wenn ich dort ankomme, muss ich mich schützen"


Laut Familie trägt der junge Mann ein Symbol des Hinduismus auf seinem Oberarm, das ihn eindeutig als Hindu identifiziert. Da er laut seiner Unterstützer keine Arbeitserlaubnis hatte, machte er Praktika und half in der Hindu-Gemeinde in Hamburg, bestätigt deren Aufsichtsratsvorsitzender Sumit Tchanana. "Die Hindus in Afghanistan leben sehr unter sich, um sich zu schützen. Sie gehen nur in Gruppen raus", erläutert Tchanana. Die wirtschaftlich und sozial geschlossenen Gemeinden boten ihnen Schutz. Diese Infrastruktur ist in den vergangenen Jahrzehnten des Bürgerkriegs jedoch vielerorts geschädigt worden - nur noch etwa 1.000 Hindus sollen in dem Land leben. Die Gläubigen würden verfolgt und von ihnen werde der Übertritt zum Islam verlangt, erzählt Tchanana. Mit Blick auf seine baldige Abschiebung sagt Narang: "Ich kann nicht schlafen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich dort ankomme. Erstmal muss ich mich schützen, denn ich habe dort niemanden mehr, der mir hilft." Narangs Eltern haben vor einigen Monaten ebenfalls in Deutschland Asyl beantragt und warten in Hamburg auf eine Entscheidung. 

 

Politischer Druck: Mehr Abschiebungen erwünscht


Das Bundesinnenministerium bestätigt die ersten Sammel-Flüge nicht - betont aber, dass es solche Flüge generell für "erforderlich" halte. Laut Nachrichtenmagazin  "Spiegel" sollen heute insgesamt 50 Afghanen von Frankfurt Richtung Kabul starten. Dort würden sie demnach von lokalen Behörden aufgenommen. Grundlage für die Abschiebungen ist ein  Abkommen zwischen Afghanistan und der Europäischen Union. Deutschland erklärte sich in dem Zusammenhang dazu bereit, bis 2020 nochmals 1,7 Milliarden Euro für Entwicklung und Wiederaufbau in Afghanistan bereitzustellen. Eine der Bedingungen für die Finanzspritze ist demnach Bereitschaft zur "Kooperation in Migrationsfragen".

 

Bundesinnenminister de Maizière drängt seit einiger Zeit auf mehr Abschiebungen und Rückführungen nach Afghanistan. Bereits im November 2015 sagte er: "Unsere Sorge ist im Moment in Europa die große Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan. Wir wollen, dass in Afghanistan das Signal ankommt: 'Bleibt dort! Wir führen euch aus Europa direkt nach Afghanistan zurück!'" Bisher hatte Deutschland abgelehnte afghanische Asylbewerber wie Narang meist jahrelang geduldet. In Hamburg befinden sich derzeit knapp 8.000 Afghanen in einem laufenden Asylverfahren. Etwa jeder zweite Afghane, über dessen Antrag entschieden wurde, erhielt in diesem Jahr Schutz in Deutschland. 

 

Zweifel an Sicherheit in Afghanistan


Kritiker zweifeln an der Sicherheit für die Rückkehrer. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kam in ihrem  aktuellen Bericht zu der Einschätzung, "dass sich 2015 die Sicherheitslage im ganzen Land massiv verschlechterte". In 2016 zeichnet sich laut der  UN Mission in Afghanistan ab, dass es so viele zivile Opfer wie noch nie seit Beginn der systematischen Zählungen im Jahr 2009 geben wird. Laut Bundesregierung sind einige Regionen wie die Großstädte Masar-i-Scharif, Kabul oder Herat allerdings sicher.

 

Schleswig-Holstein beteiligt sich nicht an der Abschiebung am Mittwoch. Das Land habe Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt um einen aktualisierten Lagebericht über Afghanistan gebeten. "Wir entscheiden dann auf der neuen Grundlage, ob Rückführungen in Sicherheit und Würde möglich sind", so ein Sprecher am Dienstag. Innenminister Stefan Studt (SPD) hatte bereits vor einiger Zeit  Unbehagen mit möglichen Abschiebungen nach Afghanistan geäußert. Er frage sich, ob er es verantworten könne, seinen Mitarbeitern zu sagen, dass Afghanistan sicher sei und Abschiebungen dorthin durchgeführt werden sollten. Auch verschiedene Medien hatten  immer wieder berichtet, wie unsicher das Leben in dem Land sei. 

 

Anwalt und Freunde kämpfen gegen Abschiebung


Samir Narang lebte zuletzt in Kabul. Eine Eingabe an die Hamburgische Bürgerschaft wurde am Dienstag nicht beraten. "Ich bin geschockt", sagt Christiane Schneider, Sprecherin der Linken zum Thema Flüchtlinge in der Bürgerschaft. Auch ein Eilantrag gegen die Abschiebung am Hamburger Verwaltungsgericht wurde abgelehnt. "Aus meiner Sicht dürfte er nicht abgeschoben werden, weil wir einen Asylfolgeantrag gestellt haben und abgewartet werden muss, wie dieser entschieden wird", sagt Narangs Anwalt Sven-Henning Neuhaus am späten Dienstagabend. Für Mittwochabend wurde unterdessen auf der Facebook-Seite  Afghan Refugees Movement zu einem Protest am Flughafen Frankfurt gegen die geplante Abschiebung aufgerufen. Samir Narang hofft und fleht: "Bitte tut etwas, ich will nicht zurück!"

 

von Carolin Fromm, NDR.de