Ein mutmaßlicher Anführer der rechten Freitaler Terrorzelle soll Informationen aus der sächsischen Bereitschaftspolizei bekommen haben. Der Staatsanwalt schweigt dazu.
Von Kai Biermann, Astrid Geisler und Frida Thurm
Es ist schon Mittag, da fällt ein entscheidender Satz. Seit dem frühen Morgen haben die Beamten den Busfahrer Timo S. in der Justizvollzugsanstalt Dresden vernommen. Doch jetzt, Stunden später, gibt der Untersuchungshäftling den Ermittlungsbeamten einen möglicherweise brisanten Hinweis. Sein Kumpel, der Pizzabote Patrick F., habe von der Bereitschaftspolizei Informationen bekommen, erzählt der Busfahrer. Sein Bekannter habe erfahren, wo die Polizisten im Einsatz seien und wie lange sie noch brauchten. Die Vernehmungsbeamten horchen auf. Sie haken nach: Kann er Namen nennen? Doch der Untersuchungshäftling wiegelt ab, er wisse nichts Genaueres. Patrick F. habe immer nur gesagt, jemand von der Bereitschaftspolizei habe sich gemeldet – sie sollten sich mal aus dem Staub machen.
Rund elf Monate liegt die Vernehmung inzwischen zurück. Die beiden Untersuchungshäftlinge Timo S. und Patrick F. haben es seither zu einiger Berühmtheit gebracht. Der Generalbundesanwalt hält sie für die Rädelsführer einer rechten Terrorzelle, die innerhalb weniger Monate vom Sommer bis zum Herbst 2015 insgesamt fünf Anschläge in Sachsen verübt haben soll, in Freital und im benachbarten Dresden. Kürzlich hat die Karlsruher Behörde Timo S. und Patrick F. sowie sechs mutmaßliche Mitstreiter wegen Mitgliedschaft in der rechtsterroristischen Vereinigung Gruppe Freital vor dem Oberlandesgericht Dresden angeklagt. Nach Ansicht der Ermittler wollte die Zelle mit ihren Anschlägen "ein Klima der Angst und Repression erzeugen".
Der beiläufige Hinweis, den Timo S. während seiner Vernehmung im Dezember 2015 gab, wirft daher Fragen auf: Bekam einer der beiden mutmaßlichen Rädelsführer der Gruppe Freital interne Hinweise aus der sächsischen Bereitschaftspolizei? Sind Staatsanwaltschaft und Polizei dem Vorwurf nachgegangen? Und wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Antworten gibt es bislang keine, obwohl seit der Behauptung von Timo S. fast ein Jahr verstrichen ist. Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts, der seit April 2016 das Verfahren gegen die mutmaßliche Terrorzelle führt, will Ermittlungen in Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Leck bei der Bereitschaftspolizei in Sachsen weder bestätigen noch dementieren. Ihre Behörde gebe zu solchen Fragen grundsätzlich keine Auskunft, sagt sie.
Die Staatsanwaltschaft Dresden gibt zwar zu, dass ein Verfahren eröffnet wurde. Allerdings erst, nachdem ZEIT ONLINE mehrfach nachgefragt hatte, auch beim sächsischen Innen- sowie beim Justizministerium. Ja, in der Angelegenheit werde tatsächlich ermittelt, räumt ein Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft ein. Alle weiteren Fragen lässt er unbeantwortet.
Das Präsidium der Bereitschaftspolizei Sachsen behauptet, ihm seien "keine Ermittlungen zur Gruppe Freital bekannt".
Sollte die Behauptung des Verdächtigen Timo S. stimmen, ginge es um ein schweres Vergehen. Wenn Polizisten Geheimnisse verraten, kann das mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Da gegen die Beschuldigten aus Freital wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird, wäre derjenige womöglich sogar ein Terrorhelfer.
Zur Ermittlung verpflichtet
Eigentlich hätte es den sächsischen Ermittlern vergleichsweise leicht fallen müssen, die Behauptung von Timo S. zu überprüfen. Schließlich waren die Telefone von Mitgliedern der mutmaßlichen Terrorzelle schon im Herbst 2015 überwacht worden. Die Polizei schnitt unter anderem Gespräche von Patrick F. mit und las SMS, die er sendete und bekam. Auch die Wohnungen mehrerer Tatverdächtiger wurden durchsucht, darunter jene von Patrick F.. Die Fahnder nahmen nicht nur Sprengkörper und Latexhandschuhe mit, sondern auch Rechner, Laptop, diverse Speicherkarten und USB-Sticks. An Beweismaterial fehlte es also nicht.
Und auch nicht an der Notwendigkeit, den Vorwurf zu klären. In dem Verhör von Timo S. saßen zwei Polizisten und eine Staatsanwältin aus Dresden. Die Beamten sind verpflichtet, dem Verdacht nachzugehen, ob ein Bereitschaftspolizist dienstliche Interna ausplauderte. "Wenn der Verdacht einer Straftat vorliegt, gibt es keinen Ermessensspielraum", sagt Peter Burghardt. Er ist stellvertretender Leiter des Dezernat 13 des Bayerischen Landeskriminalamts, das für interne Ermittlungen zuständig ist. Was er für Bayern beschreibt, gilt auch in Sachsen: das Legalitätsprinzip. Wenn Polizisten Hinweise auf eine Straftat erhalten, müssen sie ermitteln. Wenn ein sächsischer Bereitschaftspolizist tatsächlich Details über bevorstehende Einsätze an die Freitaler Gruppe weitergegeben hat, wäre das mindestens eine Verletzung des Dienstgeheimnisses, wenn nicht sogar Beihilfe zum Terrorismus.
Doch offenbar haben weder die verhörenden Polizisten noch die Staatsanwältin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es gibt zwar ein solches Verfahren gegen unbekannt, das aber nicht auf ihr Betreiben hin eröffnet worden zu sein scheint. Verfahrensbeteiligte hatten von der Aussage von Timo S. erfahren und wegen des vermuteten Dienstvergehens Anzeige erstattet. Das war im April 2016. Das Aktenzeichen des Ermittlungsverfahrens zeigt, dass es erst in diesem Jahr eingeleitet wurde und nicht im Dezember 2015, als die Beamten von dem Verdacht Kenntnis erhielten.