Sachsen-Anhalt. Wer eine Gruppe Neonazis in Oschersleben überfallen und einen Teil davon krankenhausreif geschlagen hat, ist auch zehn Monate danach noch unklar. Die Polizei vermutet Autonome und Linksradikale hinter der Attacke.
„Innerhalb dieser Szene ist es schwierig, Personen zu finden, die bei der Polizei aussagen“, erklärt Mike von Hoff, Sprecher der Polizeidirektion, gegenüber der AZ.
Der Staatsschutz habe mittlerweile mehr als 30 Zeugen sowie natürlich die Überfallenen befragt. „Ein Tatverdächtiger konnte nicht ermittelt werden. “ Die Opfer hätten von 15 bis 25 Angreifern gesprochen. Die Rechtsradikalen waren auf dem Rückweg von einer Demonstration in Magdeburg angefallen worden. Am Bahnhof in Oschersleben müssen sich unglaubliche Szenen abgespielt haben. Der Vorfall in Sachsen-Anhalt sorgte bundesweit für Aufsehen.
Die Angreifer sollen gezielt mit Eisenstangen, Baseballschlägern und Holzlatten auf die zehn Neonazis losgegangen sein. Vier davon wurden verletzt, einer von ihnen erlitt sehr schwere Kopfverletzungen und überlebte nur knapp. „Durch die Dunkelheit und den überfallartigen Übergriff war es für die Geschädigten schwierig, aussagekräftige Personenbeschreibungen abzugeben“, erläutert Polizeisprecher von Hoff. Die Täter waren zudem dunkel gekleidet und vermummt. Eine Videoüberwachung gab es weder am Bahnhof noch am Zug. Vermutlich reisten die Täter aus Richtung Magdeburg mit insgesamt sechs Pkw an. In der Landeshauptstadt hatte es am 16. Januar eine rechte Demonstration zum 71. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg gegeben. Unter den Teilnehmern befanden sich auch einschlägig bekannte Vertreter des rechten Spektrums aus der Altmark.
Die Elbestadt wurde am 16. Januar 1945 durch britische Bomber in Schutt und Asche gelegt. Neonazis und Gesinnungsgenossen missbrauchen das Ereignis seit mehreren Jahren für sogenannte Trauermärsche oder ähnliche Veranstaltungen. Mitunter beteiligten sich 1000 Personen und mehr aus Sachsen-Anhalt und darüber hinaus an den Aufmärschen. In jüngster Vergangenheit sank die Zahl der Teilnehmer allerdings. Die Organisatoren von früher sollen das Zepter abgegeben haben, überhaupt scheint die Szene im Umbruch. Inwieweit und in welcher Form sich freie Kameradschaften, NPD, „Die Rechte“ und weitere Organisationen im Januar nächsten Jahres zeigen werden, bleibt abzuwarten.
Parteien, Verbände und Vereine organisieren alljährlich die „Meile der Demokratie“ in der Innenstadt. Autonome und Linksradikale wollen regelmäßig gegen die Neonazis, ihre erklärten Erzfeinde, Sturm laufen. Das linke Bündnis „Magdeburg nazifrei“ hat im Juli seine Auflösung bekannt gegeben. Inwieweit es dafür 2017 Ersatz geben wird, muss sich ebenfalls erst noch zeigen.
Von Marco Hertzfeld