Für die Linken in Delitzsch werden Übergriffe zum Dauerzustand

Erstveröffentlicht: 
09.11.2016

Laut Landeskriminalamt steigt in Sachsen die Zahl der Angriffe auf Amts- und Mandatsträger. In Nordsachsen hat die Partei Die Linke seit Jahren mit Übergriffen zu kämpfen. Seit dem Einzug der AfD in den Landtag sind auch ihre Büros in Delitzsch und Oschatz zur Zielscheibe geworden.

 

Es ist der dritte Übergriff auf Ihr Büro in Delitzsch in diesem Jahr, der sechste seit Ihrer Wahl zur Landtagsabgeordneten. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?


Ich muss damit leben, zudem habe ich gewusst, dass in der Vergangenheit das Büro unserer Partei in Delitzsch schon mehrfach Ziel von Anschlägen gewesen ist. Als problematisch sehe ich jedoch, dass solche Dinge keine Einzelfälle mehr sind, sondern mittlerweile zum Tagesgeschäft zu gehören scheinen. Sie sind zu einer Form der Meinungsäußerung geworden. Gefühlt ist es eine Art Dauerzustand. 2016 gab es sachsenweit rund 40 Anschläge auf Büros der Linken. In Chemnitz ist uns sogar ein Mietvertrag gekündigt worden.

 

Sind Sie in Delitzsch schon einmal persönlich angegriffen worden?


Nein, körperlich nicht. Bei Veranstaltungen in Nordsachsen bin ich aber schon verbal angegriffen worden. Leute, die unser Büro in Delitzsch nutzen, haben zudem erlebt, dass aus einem vorbeifahrenden Auto Rufe ertönten wie „Die Bude endlich abfackeln“.

 

Wer nutzt das Delitzscher Büro noch?


Selbstverständlich der Ortsverband unserer Partei. Der Verein Interkultur Delitzsch e.V. hat hier ebenfalls sein Domizil. Ende September hatte dieser in den Räumen Veranstaltungen zur Interkulturellen Woche organisiert und durchgeführt. Genau zum Ende besagter Woche ist die Scheibe mit drei Steinen eingeworfen worden. Der Vereinsvorsitzende Sven Meyerhofer war als Erster vor Ort. Wie er berichtete, fand er die Glassplitter der Scheibe bis mehrere Meter weit im Raum verteilt.

 

Machen Ihnen solche Vorfälle nicht Angst?


Angst nicht, aber klar ist es ein komisches Gefühl. Ich sorge mich um die Menschen, die das Büro häufig nutzen, denn von außen kann man nicht sehen, ob und wer sich drin befindet, weil die Fensterscheiben mit einer undurchsichtigen Folie beklebt sind.

 

Neben der Gefahr für Mensch und Leben hinterlassen solche Übergriffe auch erhebliche Sachschäden ...


... das ist richtig. Jede Scheibenreparatur kostet knapp 2000 Euro. Seit November 2014 sind so bereits fast 10 000 Euro aufgelaufen. Das Beseitigen von Schmierereien an der Außenwand noch nicht eingerechnet.

 

Wie schützen Sie sich?


Es gibt keinen Schutz in dem Sinne. Wünschenswert wäre, wenn ein oder mehrere Täter einmal erwischt beziehungsweise ermittelt würden. Hier geht es nicht nur um Sachbeschädigung, sondern auch um mögliche Personenschäden, die die Täter bewusst in Kauf nehmen. Was die Delitzscher Übergriffe betrifft, ist bisher noch keiner aufgeklärt worden. Wir bringen aber jeden Angriff beziehungsweise Übergriff zur Anzeige. Schon aus Versicherungsgründen.

 

Haben Sie schon einmal in Erwägung gezogen, das Büro in Delitzsch zu schließen oder zum Selbstschutz das Büro per Videokamera überwachen zu lassen?


Die Frage ist, ob wir uns beirren lassen. Unsere Aussage als Linke lautet klar und deutlich: Wir lassen uns nicht vertreiben, auch wenn wir an diesem Zustand derzeit nichts ändern können. Von einer Videoüberwachung halte ich überhaupt nichts. Das wäre für mich ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre.

 

Seit Ende 2014 steht das Delitzscher Büro unter besonderer Beobachtung der Polizei. Sind Sie mit der Polizeiarbeit zufrieden?


Die Polizei trägt an der Stelle mitnichten die Hauptschuld. Wir als Linke sind die Letzten, die einen Polizeistaat wollen, aber so wie sie in Sachsen aufgestellt ist, reicht es nicht. Besonders im ländlichen Raum nicht. Die Polizei fährt regelmäßig hier vorbei. Das heißt aber auch, die Steinewerfer müssen gewusst haben, wann sie Streife fährt und wann die Luft rein ist. Umso mehr sie bei uns vorbeifährt, desto weniger kann sie woanders sein. Für die Übergriffe auf die Linke ist in Delitzsch eindeutig die rechte Szene verantwortlich, auch wenn die Täter nicht zwangsläufig aus Delitzsch stammen müssen. Sie sind aber scheinbar in Delitzsch vernetzt.

 

In Nordsachsen ist neben Ihrer Partei die AfD von Übergriffen am meisten betroffen ...


... das scheint so, aber in Leipzig wurde jüngst erstmals auch ein Büro einer CDU-Abgeordneten Ziel eines Anschlages. Die Hemmschwelle sinkt. Wie schon gesagt, Anschläge sind ein entsetzliches Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden und richten sich gegen alle gewählten Parteien.

 

Was gilt es Ihrer Meinung nach zu tun?


Die Staatsregierung muss sich bewegen. Wir reden über einen anderen Umgang und eine andere Debattenkultur im politischen Raum. Wenn in Dresden Galgen, an denen Politiker hängen, bei Demonstrationen plakatiert werden können, ist das für mich ein Zeichen von fehlendem Demokratieverständnis und auch ein Ergebnis jahrelanger CDU-Politik. Da wundert es nicht, dass auch in Nordsachsen ab 2014 Anschläge rechter Gewalt drastisch angestiegen sind. Wenn CDU-Politiker linken und rechten Terror gleichsetzen, ist das verheerend und ein schlimmes Zeichen, denn es gibt in Nordsachsen noch sonst wo linken Terror.

 

Interview:

Thomas Steingen