NSU-Jahrestag Zwickau kämpft noch immer mit den Schatten des NSU

Erstveröffentlicht: 
04.11.2016

Vor fünf Jahren flog der sogenannte NSU auf und noch immer kämpft man in Zwickau um eine Position zu den Vorgängen von damals. Von "Schwamm drüber" bis zu radikaler Aufarbeitung reicht das Spektrum.

von Gert Friedrich

 

"Fünf Jahre ist es jetzt her, dass der NSU aufgeflogen ist. Ist das Thema für Sie noch aktuell?" Eine Umfrage in Zwickau zu dieser Frage wäre ein Job der schwierigeren Art. Viele, vielleicht die Mehrheit, würden mit den Schultern zucken, den Kopf schütteln, Nein sagen oder einfach weitergehen. Das Thema hat sich für sie erledigt, weil die Täter keine Zwickauer waren und die Stadt ihrer Meinung nach keine Schuld trifft. Manche würde allein das Stichwort "NSU" auf die Palme bringen. Durch den Medienrummel vor fünf Jahren wurde Zwickau in ein schlechtes Licht gerückt, von einer Zwickauer Terrorzelle war die Rede. Das habe der Stadt geschadet, mit dem Thema müsse endlich Schluss sein. Und es würde genauso Zwickauer geben, die sagen: An die Verbrechen müsse erinnert werden, das Thema sei nicht vom Tisch, sondern noch genauso aktuell. 

 

Angst um den Ruf der Stadt


Das Theatertreffen "Unentdeckte Nachbarn" liefert Mosaiksteine von diesem Stimmungsbild. Unter anderem haben sich Schüler der Zwickauer Pestalozzischule mit den Protokollen des NSU-Prozesses beschäftigt und zusammen mit Jugendlichen aus Chemnitz und Hamburg ein Stück auf die Bühne gebracht.

 

Der Zuschuss für das Projekt fiel im Kulturausschuss zunächst durch, erst auf Drängen von Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) wurde ein zweites Mal abgestimmt und das Geld bewilligt. Gerald Otto (CDU) gehörte zu den Stadträten, die in der ersten Runde Nein gesagt hatten: "Wenn man zum Beispiel an den Brandanschlag von Mölln denkt oder andere Dinge. Berlin-Moabit verbindet man etwa mit der JVA, einem düsteren Gefängnis. Das ist etwas Bleibendes, etwas, das man bis heute in Erinnerung hat. Und ähnlich haben wir das auch gesehen: Sollten wir das immer wieder wiederholen und damit Zwickau mit einem negativen Image verbinden?" Für diese Auffassung hat Otto fast ausschließlich Zustimmung geerntet. Bei der Premiere des Theaterstückes blieben viele Stühle frei. 

 

Kein Geld für Informationszentrum


Totschweigen dürfe man das Thema NSU nicht, sagt auch Gerald Otto, es müsse eine Erinnerungskultur geben. Das dürfte auch die klare Mehrheit im Stadtrat so sehen. Über eine geeignete Form wird seit längerem diskutiert. Im Gespräch war ein Informationszentrum zur Aufklärung. Doch das wollen weder Bund noch Land bisher fördern. Bürgerrechtler Erwin Killat hat vorgeschlagen, die Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus am Schwanenteich zu erweitern und dort auch an die Opfer des NSU zu erinnern. Jörg Banitz, Sozialarbeiter und seit langem Beobachter der rechten Szene, hält Mahnmale für nicht angemessen, wenn es vor allem darum geht, jüngere Menschen zu erreichen. Ihm schwebt ein mediales Angebot vor: "Die Städte könnten virtuelle Rundgänge möglich machen, für Smartphones und derartige Geräte, zur digitalen Spurensuche. Portale für Infos und Hintergründe. Das kann man auch je nach Alter passend gestalten." 

 

"Die Ideologie ist nach wie vor verfestigt"


Besonders heikel ist die Frage der Aufarbeitung. Vieles ist noch offen, der Fall noch lange nicht aufgeklärt. Das dürfte auch in Zwickau unumstritten sein. Doch damit müssten sich andere befassen, würde wohl die Mehrheit hinzufügen.

 

Für Oberbürgermeisterin Pia Findeiß muss die Aufarbeitung weitergehen - mit Blick auf die Machenschaften des NSU und seines Netzwerkes und mit Blick auf die Gegenwart: "Auch wenn der NSU jetzt verschwunden ist, wenn Frau Zschäpe in München vor Gericht steht. Trotzdem ist die Ideologie in einigen Köpfen nach wie vor verfestigt. Da haben wir als Stadt natürlich die Aufgabe, uns diesem Thema jeden Tag zu stellen. Aber nicht nur wir als Stadt Zwickau, sondern Sachsen insgesamt, Deutschland insgesamt. Vielleicht kann man das sogar auf Europa ausweiten." Findeiß steht mit dieser Auffassung nicht allein da. Das zeigt sich nicht nur im Stadtrat. Wie viele Zwickauer sie teilen, wie viele gleichgültig sind und wie viele auf der anderen Seite stehen und mit der aktiven rechten Szene sympathisieren, bleibt ein Geheimnis.