Halle (Saale) - Die Schusswunden waren frisch genäht, da posierte Adrian Ursache auf dem Krankenbett schon wieder als Kämpfer für das Gute. Der Mann im Patientenhemd, der Stunden zuvor einen Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) niedergeschossen hatte, lächelte. In die Kamera hielt er das Victory-Zeichen. Dann wurde er ins Haftkrankenhaus nach Leipzig verlegt.
Es war der Auftakt einer Reihe von Gewaltausbrüchen sogenannter Reichsbürger in der Bundesrepublik: Im August widersetzte sich Ursache, ein ehemaliger Mister Germany, auf seinem Grundstück in Reuden (Burgenlandkreis) einer Zwangsräumung. Dem anrückenden Spezialeinsatzkommando drohte er mit einer Waffe, Schüssen fielen, mehrere Polizisten wurden teils schwer verletzt - auch Ursache wurde angeschossen. Ein ähnlicher Fall in Georgensgmünd (Bayern) endete im Oktober mit dem Tod eines Polizisten.
Vier Mal versuchter Totschlag
Nun ist klar: Bei den Sicherheitsbehörden läuft der Reichsbürgerangriff von Reuden offiziell als rechtsextreme Straftat. Sowohl das Landes- als auch das Bundeskriminalamt werten ihn als Tötungsversuch mit rechtsextremen Motiven. Das geht aus einem Schreiben des Landesinnenministeriums an den Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel (Grüne) hervor. Für Sachsen-Anhalt ist das so etwas wie ein Signal: Denn 2014 und 2015 gab es im Land keine Tötungsdelikte mit rechtsextremen Motiven, im laufenden Jahr sind es hingegen bereits vier. Vier Mal versuchter Totschlag, so das Innenministerium.
Zu Adrian Ursaches Unterstützern gehörten auch Anhänger der rechtsextremem Szene. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagte, „nicht alle Reichsbürger sind Rechtsextreme, aber es gibt Überschneidungen“. Er erwarte, „dass in einem rechtsstaatlichen Verfahren der gesetzliche Strafrahmen ausgeschöpft wird. Die selbsternannten Reichsbürger haben dabei großes Glück, dass bundesdeutsches Recht zur Anwendung kommt. Die Strafen und das Zuchthaus waren zu Zeiten des Kaisers deutlich unangenehmer.“ Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht als souveränen Staat an und verweigern sich den Gesetzen.
SPD, Grüne und Linke forderten am Mittwoch, die Bewegung generell als rechtsextrem einzustufen. Die Gefahren seien lange unterschätzt worden, sagte die Linken-Innenexpertin Henriette Quade. Die Einordnung des Falls Reuden durch das Landes- und das Bundeskriminalamt zeige klar, „dass wir es hier mit rechtsmotivierter Gewalt zu tun haben“, sagte der Grünen-Innenpolitiker Striegel. Zu dieser Erkenntnis müssten nun auch die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern kommen.
Die Verfassungsschutzbehörden wollen in der kommenden Woche über einen neuen Umgang mit den Reichsbürgern beraten. Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz stuft bisher nur rund ein Viertel der 80 bekannten Reichsbürger im Land als rechtsextrem ein und beobachtet diese deswegen. Auch die CDU hatte jüngst eine Neueinschätzung verlangt. Die AfD dagegen will die Reichsbürger-Szene zunächst genauer definiert wissen.
Debatte über Waffenentzug
Striegel sprach sich auch für ein schärferes Vorgehen der Behörden gegen Reichsbürger aus. Offene Forderungen müssten konsequenter durchgesetzt werden, zur Not mit Hilfe der Polizei. In Reuden hätten die örtlichen Behörden zu langsam reagiert, kritisierte Striegel. Als die Schüsse auf die Polizisten fielen, lief im zuständigen Landratsamt noch die Prüfung, ob Ursache seine Waffe entzogen werden müsse. Solche Verfahren müssten künftig beschleunigt werden, forderte auch Quade.
Der SPD-Innenexperte Rüdiger Erben forderte, alle Reichsbürger, die Waffen besitzen, auf Zuverlässigkeit zu überprüfen und dann im Einzelfall über einen Waffenentzug zu entscheiden. „Wenn sich jemand zu dieser Szene bekennt, ist das ein Indiz für Unzuverlässigkeit“, sagte Erben. Deshalb müsse man genau hinschauen. Grüne und Linke fordern sogar, Reichsbürger dürften generell keine Waffen führen.