„Es ist eben Dresden“ – Warum der Protest gegen Pegida bis heute lahmt„Es ist eben Dresden“

Erstveröffentlicht: 
14.10.2016

Am Sonntag und Montag probieren es die Dresdner erneut. Mindestens 13 Versammlungen sind angezeigt, auf denen gegen das islam- und fremdenfeindliche Bündnis demonstriert und Stellung für ein buntes und weltoffenes Dresden genommen werden soll. Doch trotz allem: Seit zwei Jahren ist Pegida auf der Straße in der Überzahl. Gründe dafür gibt es viele.

 

 Dresden. Am Sonntag und Montag probieren es die Dresdner erneut. Mindestens 13 Versammlungen sind angezeigt, auf denen gegen das islam- und fremdenfeindliche Bündnis demonstriert und Stellung für ein buntes und weltoffenes Dresden genommen werden soll. Doch trotz allem: Seit zwei Jahren ist Pegida auf der Straße in der Überzahl. Gründe dafür gibt es viele.

Wer hat wann protestiert?

Nach dem Erstarken von Pegida koordinierte zunächst das Bündnis „Dresden Nazifrei“ den Protest und brachte Woche für Woche rund 3000 Menschen auf die Straße. Erster Höhepunkt war der erste Sternlauf von „Dresden für alle“, der Anfang Dezember 2014 mindestens 8000 Dresdner mobilisierte. Zum ersten Mal war der Protest auf einer Höhe mit Pegida, flaute danach jedoch wieder ab. Zum Jahreswechsel kam mit den „Neujahrsputz“-Demos noch einmal neuer Schwung hinzu, im Frühjahr 2015 erlahmte der Protest allerdings zusehends. Dresden Nazifrei zog sich nach der Demo gegen Geert Wilders im April 2015 komplett zurück. Übrig blieben lediglich die Postplatzkonzerte, die ab Februar 2015 stattfanden. Anfang September 2015 wurden diese beendet, da die Teilnehmerzahl immer weiter zurückging.

 

Zahlreiche Besucher lockten nur noch zwei Veranstaltungen auf dem Neumarkt. Eine Kundgebung der Staatsregierung sowie ein Konzert von „Dresden für alle“ zogen jeweils deutlich über 10.000 Menschen an. An den meisten Montagen hatte Pegida jedoch die Straßen für sich.

 

Im Oktober 2015 begann die Gruppe „Nope“, zunächst unter dem Namen „Gepida“, neue wöchentliche Demos zu organisieren, die Teilnehmerzahl blieb meist dreistellig. Für mehr Menschen auf der Straße sorgte da nur noch „Herz statt Hetze“. Zum ersten Pegida-Geburtstag kamen nach Durchgezählt-Schätzung rund 20.000 Gegendemonstranten auf die Straße, nie wieder waren es so viele. Doch auch bei Herz statt Hetze, das bis April 2016 fünf Mal mobilisierte, sanken die Zahlen nach und nach, so dass inzwischen selten mehr als 150 Leute mit Nope am Montagabend auf der Straße sind.

 

Warum sanken die Zahlen immer weiter?

„Das Problem ist zwar akut, aber man kriegt nicht mehr so viel davon mit“, sagt Emma Brix, Mitorganisatorin von „Bildung statt Rassismus“, die mehrere Schülerdemos gegen Pegida organisierten. „Es interessiert einfach keinen mehr“, meint sie.

 

Die sinkenden Zahlen seien nachvollziehbar, sagt auch Albrecht von der Lieth, Sprecher von Dresden Nazifrei. „Menschen lassen sich begeistern, wenn es eine klare Richtung und ein klares Ziel gibt“, sagt er. Das habe sich in der Neustadt gezeigt. Als Pegida zum Albertplatz wollte, standen ihnen plötzlich wieder 2000 Menschen gegenüber, so viele wie lange nicht. Das klare Ziel sei aber nicht jede Woche sichtbar, entsprechend lassen sich nicht allzu viele dafür mobilisieren. Zudem sei es desillusionierend, immer wieder in der Unterzahl zu sein, ergänzt Rita Kunert, Organisatorin der „Herz statt Hetze“-Demos.

 

Warum dann wöchentliche Proteste?

„Jeden Montag beanspruchen rassistische Menschen den Raum für sich. Da muss man gegensteuern“, sagen die Organisatoren der wöchentlichen Nope-Demos. Es sei wichtig, Pegida jede Woche den Protest entgegen zu stellen. Zudem wollen sie durch ihre Demos denjenigen einen gewissen Schutz bieten, die gegen Pegida protestieren, sagen sie. Andere Gruppen und Bündnisse sehen die wöchentlichen Demos jedoch skeptisch. Diese seien kraftraubend, binden Ressourcen und kosten zudem mehr Geld als durch Spenden herein kommt. Um jede Woche auf die Straße zu gehen, müsse man „ein Stück weit radikal sein in seinen Gedanken“, geben auch die Organisatoren von Nope zu.

 

Welche Rolle spielen Polizei und Ordnungsamt?

„Man versucht zu unterbinden, wo es nur geht“, kritisiert Rita Kunert die Dresdner Versammlungsbehörde. Das Handeln von Polizei und Verwaltung war ihrer Meinung nach mitentscheidend dafür, dass der Protest nach dem 19. Oktober wieder in sich zusammen fiel. Der Überfall von Neonazis auf das Postplatzkonzert wurde von den Behörden konsequent dementiert, stattdessen listeten die Beamten zahlreiche linke Gewalttaten auf. Rechte Angriffe wurden von der Polizei selbst dann bestritten, wenn sie mit Bildmaterial dokumentiert wurden. „Am 19. Oktober waren viele ältere Menschen dabei, die sind danach nicht wieder gekommen“, so Kunert.

 

Das Handeln der Polizei und des Ordnungsamtes sei immer wieder darauf ausgerichtet, den Protest gegen Pegida zu diskreditieren und in eine linksradikale Ecke zu stellen, sagt Rita Kunert. Hinzu komme ein fragwürdiger Umgang der Behördenmitarbeiter: ungefragtes Dutzen, hämische Antworten, fehlende Kenntnis von Gesetzen und Technik wirft sie dem Ordnungsamt vor.

 

Das weist die Vorwürfe zurück: „Der Vorwurf, es werde mit Zweierlei Maß gemessen, ist unzutreffend“, teilte das Ordnungsamt nach der Kritik zum 3. Oktober zuletzt mit. Bei versammlungsrechtlichen Entscheidungen handele es sich immer um Einzelfallentscheidungen.

 

„Du brauchst in Dresden nichts mehr anmelden, es richtet sich sowieso alles nach Pegida“, sagt allerdings Nope. Teils wurden Routen verlegt, es gab keine Kooperationsgespräche, mehrfach hätten Mitarbeiter des Ordnungsamtes die Polizei zu Eingriffen in Demos angestachelt, berichten die Anmelder. In manchem Auflagenbescheid für die Gegner hätten sich zudem Behauptungen von Pegida ungefragt wiedergefunden, noch bevor selbst die Polizei davon Kenntnis hatte, berichtet sie von angeblichen Schraubenwürfen am Bahnhof Neustadt. Bei der Demo in der Neustadt im Sommer 2016 hatte Pegida beispielsweise behauptet, die Gegner hätten mit Schraubenmuttern geworfen. Zeugen oder Beweise gab es keine, das Ordnungsamt aber glaubte Pegida.

 

Auch die Polizei wird kritisiert. Martialisches Auftreten, einseitige Taschenkontrollen rechtswidrige Eingriffe in die Demo und nicht gewahrte Verhältnismäßigkeiten werden bemängelt.

 

Tatsächlich gelten Polizei und Ordnungsamt als Pegida-freundlich, nicht erst seit dem 3. Oktober, der bundesweit Schlagzeilen macht. Dass Pegida seit zwei Jahren unter den Augen von Polizei und Stadt Auflagen missachtet, wird mit einem Schulterzucken kommentiert. Und nur in Dresden ist es die Gegendemo, die von den Beamten eingekesselt wird. All das trage nicht dazu bei, dass Menschen freiwillig auf die Straße gehen.

 

Wunsch nach „bürgerlicher“ Beteiligung

Was alle Gruppen eint, ist der Wunsch nach sogenannter „bürgerlicher“ Beteiligung. So weist Herz statt Hetze-Anmelderin Rita Kunert darauf hin, dass beim ersten Sternlauf 2014 auch deswegen so viele zusammenkamen, weil die damalige Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) zur Teilnahme aufrief. Seitdem sei von Seiten der Politik aber kaum etwas gekommen. Nur selten ließen sich Bürgermeister oder Minister auf den Demos und Kundgebungen sehen. Auf der Bühne stand noch niemand. Umso mehr begrüßt Herz statt Hetze jetzt die Pläne von OB Hilbert für ein Bürgerfest auf dem Neumarkt.

 

„Jeder, der Protest auf die Straße bringt, ist willkommen“, sagt auch Nope, das den Oberbürgermeister selbst auch schon vergeblich eingeladen hatte. Auch Sachsens Ministerpräsident Tillich (CDU) wäre für die Organisatoren ein gern gesehener Gast. „Einen Versuch wäre es wert“, meinen die Anmelder.

 

Ein Problem bisher: Für ältere Menschen und diejenigen, die sich selbst eher konservativ verorten, fehlt im Dresdner Protest oft der passende Anlaufpunkt. So mancher älterer Dresdner berichtete zuletzt, dass er mehrfach da war, aber um sich herum vor allem junge Menschen sah. „Ich habe mich da am Ende nicht wohl gefühlt“, sagte eine ältere Frau vor einer Woche bei „Dresden bleibt bunt“ auf dem Neumarkt. „Mir fehlt eine Veranstaltung für die älteren Semester.“

 

Wie geht es weiter?

Auch in Zukunft wird es in Dresden Demos gegen Pegida geben. „Vielleicht ändert sich ja was“, hofft Nope. Zudem sind weitere größere Versammlungen geplant, unter anderem von „Bildung statt Rassismus“, berichtet Emma Brix. Auch Herz statt Hetze wird weitermachen. Wie genau, das ist aber unklar. „Entscheidend ist der 17. Oktober“, sagt Rita Kunert und hofft auf ein kraftvolles Zeichen.

 

Zudem blicken viele Akteure darauf, wie Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) nach dem 17. Oktober weitermachen will. „Wenn der Oberbürgermeister nun endlich bereit ist, gegen Pegida auf die Straße zu gehen, reichen wir ihm aufmunternd die Hand und sagen: Werter Herr Hilbert, Dresden Nazifrei steht bereit, mit Ihnen und anderen Akteuren der Dresdner Zivilgesellschaft zusammen zu jeder der nächsten Pegida-Aktionen Gegenprotest zu organisieren, wenn Sie sich in die erste Reihe stellen und zukünftig alle Dialogangebote in Richtung Pegida und Co. unterlassen“, sagt Albrecht von der Lieth, Sprecher von Dresden Nazifrei.

 

Zudem will Nazifrei mit einer langfristigen Kampagne das Klima in der Stadt ändern. Hier sei eine „Balance zwischen unbequem und überzeugend“ nötig, sagt er. Auch „Bildung statt Rassismus“ will sich neben den Straßendemos verstärkt dem Kennenlernen von Dresdnern und Geflüchteten widmen. „Wir wollen Brücken bauen“, sagt Emma Brix.