Politikwissenschaftler Patzelt: "Stillos, unkultiviert und wie ein pubertierender Jugendlicher"

Erstveröffentlicht: 
11.10.2016

Am Tag der Deutschen Einheit prägten schimpfende, pöbelnde Demonstranten das mediale Bild in Dresden. War das eine Ausnahme oder ist der Umgangston in Deutschland mittlerweile generell verroht? In "Fakt ist!" diskutierte Andreas F. Rook am Montagabend in Dresden mit seinen Gästen über Gründe und Auswege aus der aggressiven Diskussionskultur.

 

Beleidigungen und eine zum Teil unflätige Sprache sind in unserer Gesellschaft und im politischen Diskurs kein Phänomen der heutigen Zeit. Aber die Diskussionskultur scheint in den letzten Monaten besonders verroht. Das haben auch die Bilder des Tags der Deutschen Einheit in Dresden deutlich gemacht. Gesellschaftlich wird dieser rohe Umgang nicht akzeptiert. Das ergab auch eine am Montag veröffentlichte Umfrage für MDR Sachsen. Nach dieser bezeichneten 80 Prozent der Befragten die Beschimpfungen und Pfiffe als unangemessen. Doch woher kommt die verrohte Diskussionskultur?

 

Einig waren sich die Gäste in der von Andreas F. Rook moderierten Runde, dass vor allem im Internet Grenzen überschritten werden. Politikwissenschaftler Werner Patzelt spricht von einem Überbietungswettbewerb im Netz. "Man kann nicht genug deutlich machen, dass das Internet und die dort herrschende Hemmungs- und Zügellosigkeit einen ganz großen Einfluss auf alles hat. Was in der virtuellen Welt ist, wird ins reale Leben übersetzt", sagte Patzelt. 

 

Grenzen des Anstands sind nicht gleich Grenzen des Gesetzes

 

Der Politikwissenschaftler sieht auch ein zu liberales gesellschaftliches Klima als Problem. Womöglich habe man es mit dem Geist des Laissez faire ein wenig zu weit getrieben, sagte Patzelt. "Die Grenzen dessen was rechtlich, aber nicht vom Anstand geht, sind nicht deutlich. Wenn Menschen von innen heraus kein Gefühl dafür entwickeln was sich gehört, dann helfen auch keine Gesetze mehr."

 

Dass Pöbeleien von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, heißt noch lange nicht, dass man jene Freiheit die man hat, stillos, unkultiviert, wie ein pubertierender Jugendlicher umsetzen muss.

Werner Patzelt Politikwissenschaftler an der TU Dresden

 

Auch Bürger sind gefordert

 

Auch Daniela Kolbe, die Generalsekretärin der SPD in Sachsen, sieht die Ursachen für den hasserfüllten Umgang im Internet. Auf einigen Plattformen werde eine rohe Sprache forciert, die wie eine Ideologie Raum greift, sagte Kolbe. Sie fordert außerdem die Bürger auf sich einzumischen: „Es passiert zu wenig Gegenwehr. Die Anständigen sind viel zu leise in diesem ganzen Spektakel.“ 

 

Kleine Gruppe der Hetzer bekommt viel Aufmerksamkeit

 

Journalist Cornelius Pollmer sieht auch die Medien in der Pflicht. Am Tag der Deutschen Einheit hat eine verschwindend kleine Gruppe die Nachrichten geprägt. Hier muss auch in der Berichterstattung besser abgewogen werden, was eigentlich relevant sei. Lerneffekte gebe es bereits in vielen Redaktionen, mittlerweile gehe man nicht auf jedes Geschrei ein, sagte Pollmer. Verschwiegen werden sollte aber dennoch nichts, eher eine gewisse Gelassenheit gefunden werden, was das Grundbrüllen betrifft, fordert der Journalist der Süddeutschen Zeitung.    

 

Politische Debatten müssen Vorbild sein


Die niedere Diskussionskultur wirke sich auch auf die Jugend aus, sagt Simone Fleischmann. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands befürchtet, dass Schüler die rohe Sprache aus der medialen Berichterstattung aufschnappen. "Kids gehen auf Bilder ab" sagte Fleischmann und mahnte eine Vorbildfunktion an. Sie fordert außerdem, dass Menschen, die gut miteinander diskutieren in den Vordergrund gerückt werden. Schüler sollten lernen, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann, dass dies aber mit Respekt zugehen muss. "Kinder kriegen solche Stimmungen wie am Tag der Deutschen Einheit mit und machen so etwas nach. Das macht mir Angst", sagte Fleischmann.

 

Fleischmann forderte in "Fakt ist!" auch Politiker auf, ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Diese Vorbildfunktion forderte auch der Journalist Cornelius Pollmer. Für ihn sind gut geführte Debatten in Parlamenten wichtig, um eine emotionale, aber sachliche Diskussionskultur zu stärken.  

 

Für Politikwissenschaftler Patzelt steht fest, dass die Meinungsfreiheit wesentlich weiter geht als die Grenzen des guten Anstands. Für Demonstranten und für politische Repräsentanten gilt daher gleichermaßen, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit nie ausgetestet werden dürfen. "Nur unter dieser Bedingung kann gelten: Im Zweifel für die Freiheit", sagte Patzelt am Montagabend bei "Fakt ist!" in Dresden.