Interview - Studie zu rechter Bewegung: "Bei Pegida verschmelzen angestaute Enttäuschungen"

Erstveröffentlicht: 
07.10.2016

Zwei Politik-Studenten haben eine Studie über die „Retter des Abendlandes“ vorgelegt. Ihre Ergebnisse wurden in den Büchern „Pegida-Warnsignale aus Dresden“ und „Pegida – Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und Wende-Enttäuschung“ veröffentlicht.

 

Dresden. Stefan Scharf (31) und Clemens Pleul (25) sind gebürtige Dresdner. Pleul studiert im Master „Politik und Verfassung“ an der TU Dresden. Scharf war früher Zeitsoldat und beendet an der TU Chemnitz sein Studium der Politikwissenschaft. Ihre Facebook-Analyse zu Pegida wurde in dem Buch „Pegida – Warnsignale aus Dresden“ von Werner Patzelt und Joachim Klose sowie im neuen Sammelband von Karl-Siegbert Rehberg „Pegida – Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und Wende-Enttäuschung“ veröffentlicht.

 

Was unterscheidet Pegida der Straße von Facebook-Pegida?


Pleul: Wenn Pegida jeden Montag in Dresden demonstriert, kann man sagen, dass im Netz jeden Tag Montag ist. Pegida brauchte das perfekte Zusammenspiel dreier parallel laufender Strukturen, um sich etablieren zu können: Die Aufmerksamkeit der Medien, um mehr Menschen zu erreichen, die Facebook-Gemeinschaft zur Organisation und Selbstbeschreibung sowie die Demonstrationen, um sich selbst zu legitimieren.

 

Wie funktioniert die Meinungsbildung im Internet?


Scharf: Zunächst ist da der Echokammereffekt. Das kennen wir aus dem Alltag, wenn wir uns vor allem mit Menschen austauschen, die unsere Interessen und Ansichten teilen. Das passiert auch bei Facebook: Wenn einzelne Meldungen von Freunden gelikt oder kommentiert wurden, verleiht es ihnen eine größere Relevanz und Glaubwürdigkeit. Hinzu treten Effekte, die es nur im Netz gibt: Durch die technische Vernetzung ist der Austausch mit Gleichgesinnten viel unkomplizierter. Diese Vernetzung wird zusätzlich durch sogenannte Filterblasen verstärkt. Die Algorithmen großer Online-Dienstleister suchen die Inhalte für Internetnutzer heraus, welche ihre jeweiligen Interessen bedienen. Wenn jemand Pegida auf Facebook likt, dann werden automatisch andere Gruppen wie Legida oder Personen wie Lutz Bachmann als für den Nutzer interessant vorgeschlagen. Dadurch wird die Echokammer um ein Vielfaches verstärkt.

 

Wie nutzt Pegida diese Möglichkeiten?


Pleul: Pegida profitierte anfangs von realen Netzwerken aus dem Raum Meißen-Dresden, während Facebook bei der frühen Entwicklung nur der Dünger war. Im Dezember 2014 wuchs die Facebookgruppe zunächst in Sachsen und ab Januar 2015 in ganz Deutschland, nachdem die Kanzlerin Pegida kritisierte – und auch in Folge der Anschläge auf Charlie Hebdo in Paris. Die Organisatoren um Lutz Bachmann nutzen Ansätze, die bei Facebook gut funktionieren: kurze, einfache Mitteilungen, die Gefühle auslösen. Oft untermalt durch Bilder oder Filme. Aber ohne das Zutun von Gegendemonstranten und ohne die Aufmerksamkeit der internationalen Medien wäre wohl nie eine so große Story daraus geworden.

 

Scharf: Dieser Erfolg wäre ohne Facebook schlicht nicht denkbar gewesen. Es zeigte sich schon bei der Blockupy-Bewegung von 2011, dass man sich nicht mehr durch die Mühlen formaler Organisationen wie Parteien bewegen muss, um Tausende Menschen auf die Straße zu bekommen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass soziale Netzwerke durch ihre kommunikative Infrastruktur zunehmend die Meinungsbildung mitbestimmen.

 

Woher kommen die Anhänger der Facebook-Seite?


Pleul: Wir können das nur für die alte Seite sagen, die am 22. Juli 2016 nach Nutzerbeschwerden durch Facebook vom Netz genommen wurde. Für uns war besonders die Wachstumsphase von Dezember 2014 bis Januar 2015 wichtig. In dieser Zeit wuchs die Facebook-Anhängerschaft auf 160 000. Ende Januar 2015 kamen von den deutschen Fans etwa ein Zehntel aus Dresden, ein Drittel aus Sachsen und gut die Hälfte aus Ostdeutschland.

 

Scharf: Spannend war dabei, dass von den Fans aus den alten Bundesländern jeder Fünfte angab, ursprünglich aus Ostdeutschland zu stammen. Es zeigte sich, dass Ostdeutsche achtmal häufiger die Fanseite Pegidas likten als gebürtige Westdeutsche. Es gibt also einen deutlichen biografischen Zusammenhang zwischen dem Pegida-Engagement bei Facebook und der Herkunft.

 

Ist es eher ein ostdeutsches, sächsisches oder ein Dresdner Phänomen?


Scharf: Wir erkennen in Pegida ein ostdeutsches Phänomen mit bundesweiter Ausstrahlung. Es scheint sich zu bestätigen, was Professor Rehberg im aktuellen Band formuliert: Bei Pegida verschmelzen auch noch rund 25 Jahre nach der Wiedervereinigung die angestauten Enttäuschungen und werden dadurch für den Rest der Gesellschaft sichtbar.

 

Pleul: Aus Dresden likte etwa jeder 14. Facebook-Nutzer die Seite. Unter den Männern war der Anteil sogar doppelt so groß – Rekord in Sachsen und Deutschland. Als wir zusätzlich die Google-Anfragen analysierten, fiel auf, dass das Interesse an Pegida in Coswig, Radebeul oder Bautzen sehr viel höher war als in Dresden – ob es sich aber um Gegner, Befürworter oder Neugier handelt, lässt sich daraus nicht schließen.

 

Was hat euch bei eurer Recherche am meisten überrascht?


Scharf: Die Vernetzung innerhalb der Rechtspopulisten hat mich erstaunt.

 

Pleul: Tatsächlich überraschte mich am meisten, wie viele Informationen Menschen im Netz über sich preisgeben und wie einfach man darauf zugreifen kann.

 

Was ist denn nun wichtiger? Die Montagsdemos oder die Facebook-Präsenz?


Pleul: Nicht entweder–oder, sondern sowohl-als-auch: Man kann den Zulauf am Montag nicht ohne den Erfolg im Netz erklären – und andersrum.

 

Interview: Paul Felix Michaelis