Stuttgart: Mehrheit bügelt AfD-Antrag im Landtag ab

Erstveröffentlicht: 
29.09.2016

Die vier etablierten Parteien im Landtag haben gemeinsam den Versuch der rechtspopulistischen AfD und ihrer beiden Landtagsfraktionen gestoppt, Minderheitenrechte zu ihren Gunsten zu missbrauchen.

 

Von Andreas Böhme

 

STUTTGART. Die beiden Fraktionen hatten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt – das wurde abgelehnt. Der Streit könnte vor Gericht enden.

 

Einer der Abgeordneten wird in der kontroversen Debatte besonders deutlich: "Wir setzen heute ein Zeichen", sagt der Freidemokrat Timm Kern, denn die Demokratie lasse sich nicht verhöhnen. "Rechtsradikale", namentlich der AfD-Abgeordnete Heinrich Fiechtner, "werden sich die Zähne ausbeißen" am Landtag trotz aller rücksichtsloser Winkelzüge, mit der die in zwei Fraktionen gespaltene, aber unmittelbar vor der Wiedervereinigung stehende Partei einmal mehr die Plenumsdebatten beherrscht.

 

Worum geht es? Die Rumpf-AfD und ihre abgespaltene Schwester ABW fordern einen Untersuchungsausschuss zum Thema Linksradikalismus. Für CDU, FDP, Grüne und SPD ein überaus fragwürdiges Ansinnen, weswegen alle vier Fraktionen einmütig zunächst den Ständigen Ausschuss anrufen. Der soll die Zulassung grundsätzlich beraten und auch rechtlich begutachten. Aus ihrer Sicht hat sich der Ausschuss nicht zur Aufgabe gemacht, was die eigentliche Aufgabe eines solchen Gremiums ist: nämlich die Beurteilung abgeschlossenen Regierungshandelns. Im Übrigen sei es nicht ungewöhnlich, den Ständigen Ausschuss dazwischenzuschalten, betonten Vertreter der vier etablierten Fraktionen, das habe es unter anderem schon vor zehn Jahren bei der von der SPD beantragten (und dann abgelehnten) Untersuchung zum Ankauf badischen Kulturguts gegeben.

 

Dennoch änderte die Landtagsmehrheit das Untersuchungsausschussgesetz und die Geschäftsordnung des Parlaments. Dagegen stimmten AfD und die ABW, die abgespaltene Alternative für Baden-Württemberg. Die beschlossenen Änderungen besagen nun explizit, dass zwei Fraktionen, so sie einen Untersuchungsausschuss verlangen, natürlich auch verschiedenen Parteien angehören müssen. Eine solche Klarstellung in einem Gesetz sei nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist allerdings, dass die Gesetzesänderung an diesem Mittwoch auf einen Schlag gleich in beiden Lesungen durchgewinkt wird. Der Passus, dass nur zwei Fraktionen einen Ausschuss beantragen können, sollte während der Großen Koalition die Opposition aus Grünen und FDP stärken.

 

Über den Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses wird wahrscheinlich bei der Plenarsitzung am 13. Oktober endgültig entschieden. Die Überweisung sei keine "Lex AfD", sondern das übliche Verfahren im Landtag, betonte der SPD-Abgeordnete Sascha Binder. Der gewählte Weg entspreche parlamentarischen Gepflogenheiten, auch die AfD "muss sich halt an die Regeln halten".

 

Im Zentrum der Landtagsdebatte an diesem Mittwoch steht jedoch ohnehin die Formfrage: Dürfen die durch "mutierende Zellteilung" (Nicole Razavi, CDU) entstandenen Rechtsfraktionen überhaupt einen Ausschuss beantragen, wo sie doch ein und derselben Partei mit ein und demselben designierten Fraktionschef, Jörg Meuthen, angehören? Nein, sagen die Sprecher aller anderen demokratischen Fraktionen. Ex-Justizminister Ulrich Goll (FDP) urteilt, die beiden AfD-Fraktionen hätten sich das Antragsrecht erschlichen, schließlich sei "ungeschriebener Bestandteil der Rechtsordnung", dass die für einen solchen Antrag mindestens notwendigen zwei Fraktionen aus verschiedenen Parteien stammen müssen.

 

Inzwischen liegt zudem ein weiterer Antrag vor, der die Einrichtung einer Enquêtekommission zum gleichen Thema verlangt. Der Antrag ist augenfällig mit heißer Nadel gestrickt. "Das Rechtschreibprogramm hätte leuchten müssen wie ein Weihnachtsbaum", spottet die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi, aber die AfD wolle aus dem Debakel der Spaltung ja nur schnell noch Rendite schlagen, bevor der Zusammenschluss erfolgt.

 

Die am Mittwoch beschlossenen Verfahren seien mitnichten mangelnder Minderheitenschutz, wie von der AfD beklagt, vielmehr gehe es den 22 AfD-Parlamentariern ausschließlich um Provokation. "Sie wollen dem Landtag ihre Regeln aufdrücken", die politische Kultur verlange deshalb, diesem Treiben Grenzen zu setzen, sagte Razavi. Die SPD meint das Gleiche: "Wer so fahrlässig arbeitet, meint es nicht ernst", kanzelt Sascha Binder den Antrag ab. Überdies hätten Landtag, Regierung und Sicherheitsbehörden das Phänomen des Linksextremismus längst intensiv beobachtet, "es hat dazu keine AfD gebraucht".

 

"Blockparteien", schelten die AfD-Abgeordneten ihre Kollegen, Deutschland mache sich das kommunistische System zu eigen. Heinrich Fiechtner ereifert sich sogar so arg, dass ihm der Parlamentspräsident das Mikrofon abdrehen lässt: "Unterirdisch" sei der Vorwurf, er sei rechtsradikal, ruft er. "Ein Ausflug nach Absurdistan", bilanziert der Grüne Ulrich Sckerl nach der Rede der AfD-Politikerin Christina Baum. Sie warf den übrigen Parteien vor, gemeinsame Sache mit Antifaschisten und Linksextremisten zu machen. "Linksextreme genießen in diesem Land Narrenfreiheit."

 

Die AfD nutze die Debatte, um von eigenen Problemen abzulenken, sagte Sckerl. Es zeige sich, dass die Rechten demokratie- und parlamentsunfähig seien. "Wehret den Anfängen", mahnt Sckerl und benennt, was die große Mehrheit im parlamentarischen Betrieb über die AfD denkt: "Wir haben Ihre Possen schlicht und einfach satt."