»Hier wird die soziale Herrschaftsfrage gestellt«

Erstveröffentlicht: 
29.08.2016

»Blockupy« ruft zur Belagerung des Bundesarbeitsministeriums in Berlin auf.

Gespräch mit Nina Eumann Interview: Markus Bernhardt

 

Sie engagieren sich für die Linkspartei beim »Blockupy«-Netzwerk. Für den 2. September rufen Sie dazu auf, das Bundesarbeitsministerium in Berlin zu blockieren. Weshalb?


Das Bundesarbeitsministerium steht für die Politik der Ausgrenzung. Hier werden Prekarität und Verarmung durch Hartz IV produziert, hier werden Pläne zur Verschlechterung der finanziellen Situation von EU-Binnenmigrantinnen und -migranten geschmiedet.

 

Bei den vergangenen »Blockupy«-Aktionen in Frankfurt am Main im März 2015 gab es mit der Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank EZB einen konkreten Anlass für die Proteste. Dass Sie nun das Arbeitsministerium blockieren wollen, wirkt ein wenig planlos.


Die Aktivitäten von SPD und CDU, die Verarmung und Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, werden öffentlich kaum wahrgenommen. Unser Plan ist, dies zu ändern. Die Bundesregierung und damit auch das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium spalten die Gesellschaft und bereiten damit den Nährboden für Rassismus und völkische Bestrebungen. Nach der Einführung der Ein-Euro-Jobs schlägt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nun 80-Cent-Jobs für Geflüchtete vor. Das trägt zur Entsolidarisierung bei, und es handelt sich um einen Angriff auf uns alle. Die allgemeine Situation von Erwerbslosen soll sich noch weiter verschlechtern, und Sanktionen stehen weiterhin auf der Agenda. Damit schürt das Arbeitsministerium die Angst der Erwerbstätigen vor dem Jobverlust. Schließlich gelten diese Maßnahmen doch als Warnungen. Das Arbeitsministerium spaltet: Geflüchtete und schon immer hier Lebende, Erwerbslose und Menschen in Erwerbsarbeit, Frauen und Männer.

 

Aber lässt sich der Erfolg von Frankfurt so einfach wiederholen? Eine Mobilisierung ist hier in Berlin nicht ohne weiteres öffentlich wahrnehmbar.


Nach der Eröffnung der EZB in Frankfurt war klar, dass wir uns nun ins politische Entscheidungszentrum bewegen. Und das ist der Sitz der von CDU und SPD geführten Regierung. Hier wird der Nährboden gelegt für Entsolidarisierung, hier wird die soziale Herrschaftsfrage gestellt, und hier wollen wir intervenieren. »Blockupy« will dem Wahnsinn etwas entgegenstellen: das Lager der Solidarität. Dafür mobilisieren wir.

 

Mit wie vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern rechnen Sie denn?


Das ist schwer zu sagen. Wir werden auf jeden Fall so viele sein, dass der Normalbetrieb gestört sein wird. Und wir wollen mit dem antirassistischen Wochenende einen weiteren Schritt machen in ein kämpferisches Jahr bis in den Herbst 2017 hinein. Wir wollen bereits jetzt anfangen mit der Mobilisierung zu einem europaweiten Gipfel im Frühjahr 2017 in Berlin und damit einen gesellschaftlichen Aufbruch gegen Rassismus, Austeritätspolitik und Kapitalismus wagen.

 

Des öfteren wird seitens autonomer Gruppen angemerkt, »­Blockupy« sei mittlerweile zu einer Straßenunterstützertruppe für kommende Regierungsbündnisse Ihrer Partei mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen verkommen. Was entgegnen Sie?


Das ist Quatsch. Das »Blockupy«-Bündnis zeigt in seinen Aktionen und Interventionen, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen genauso verantwortlich sind für Stacheldraht, Mauern und Grenzregime, also das Gegenteil von dem, wofür »Blockupy« steht: für ein solidarisches Europa – grenzenlos und für alle. An Regierungsbündnissen arbeiten andere.

 

Und doch ruft Ihr Netzwerk ja für den 3. September zu dem Konzert und einer dazugehörigen Demonstration des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« auf. Deren Unterstützer wollen explizit gemeinsame Sache mit SPD und Grünen machen und daher die in Teilen rassistische Flüchtlingspolitik nicht klar kritisieren. Bewegen Sie sich nicht doch schnellen Schrittes in den etablierten politischen Einheitsbrei?


Breiter Protest gegen die AfD und rassistische Stimmungsmache ist notwendig, insofern ist die Demonstration des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Faschismus. Das Bündnis hat zivilgesellschaftliche Akteure und Gruppen eingeladen, sich an der Demonstration am 3. September zu beteiligen, und »Blockupy« hat die Einladung angenommen. Aber wir wollen vor allem zeigen, dass der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa nur vor dem Hintergrund der Ausbreitung unsicherer Arbeits- und Lebensverhältnisse und der Entfesselung von Konkurrenz im Alltag zu verstehen ist. Auch vor dem Erstarken der AfD gehörte die Politik der Entrechtung längst zum Alltag der Menschen. Kampf gegen rechts heißt daher auch immer, den sozialen Nährboden für rechte Politik auszutrocknen. Menschen erfahren durch den Fortfall öffentlicher Daseinsvorsorge konkret, was es heißt, »sich nicht zu rechnen«. Die seit Jahren andauernde Spirale von Strukturschwäche und Schrumpfung verschärft die Angst der Menschen, »abgehängt« zu sein. Und die Neuankommenden unterstreichen den Mangel, den die Bundesregierungen aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen durch ihre neoliberale Austeritätspolitik geschaffen haben. Wir wollen mit unserer Teilnahme genau diese Ursachen skandalisieren, die das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« nicht benennt.

 

Nina Eumann ist Mitglied des Parteivorstandes der Linkspartei und aktiv im »Blockupy«-Bündnis