Rechtsextremismus: Wenn dich der Nachbar hasst

Von ihrem Balkon aus sieht Antje Cremer den Platz, auf dem sich die Rechten regelmässig treffen.
Erstveröffentlicht: 
23.08.2016

Abseits der Grossstädte gibt es auch in Westdeutschland eine aktive rechte Szene. In Baden-Württemberg ist das Dreiländereck besonders betroffen. Die Behörden sind sich dessen bewusst – helfen können sie den Opfern aber nur bedingt.

 

Von Steve Przybilla

 

Die Kratzer am Auto konnte Antje Cremer noch wegstecken. Auch die umgebogenen Scheibenwischer, die geklaute Post und den Müll im Briefkasten. Erst als die 37-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich machen möchte, auch noch Hundekot auf ihrem Auto entdeckte, wurde es ihr zu viel. Sie installierte eine versteckte Kamera und überführte den Täter: einen Mann mittleren Alters aus ihrem Haus. Der eigene Nachbar hatte sie drangsaliert, zunächst ohne erkennbaren Grund.


Die NPD im Gemeinderat

Die Schikanen sind fast drei Jahre her, doch sie markierten den Auftakt eines noch schlimmeren Martyriums, von dem Antje Cremer nun in ihrem Wohnzimmer erzählt, zusammen mit ihren Söhnen, sechs und fünfzehn Jahre alt. Sie berichtet von rassistischen, obszönen Sprüchen, die ihnen ihr Nachbar fortan bei jeder Gelegenheit an den Kopf geworfen habe. Der Ehemann der 37-Jährigen ist dunkelhäutig; sein Vater stammt aus Westafrika. «Ich weiss nicht, warum das alles angefangen hat», sagt Cremer, «aber die Beleidigungen wurden immer schlimmer.» So schlimm, dass das zuständige Familiengericht schliesslich ein Annäherungsverbot gegen den Nachbarn aussprach. Dieser hielt sich aber nicht daran.

Die Familie Cremer wohnt in Weil am Rhein, einer Kleinstadt mit 28'000 Einwohnern im südlichsten Zipfel Baden-Württembergs, im Dreiländereck Frankreich - Deutschland - Schweiz. Im Stadtteil Friedlingen, in dem die Familie wohnt, ist das Leben multikulturell, viele Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Es gibt einen arabischen Supermarkt, Wettbüros und ein Einkaufszentrum, in dem Schweizer und Franzosen gerne shoppen. Die Strassenbahn fährt direkt bis Basel. Doch das ist nur die eine Seite der Grenzregion. Die Gegend um Lörrach ist auch bekannt für eine starke rechte Szene, die sich hier tummelt. Seit Jahren kommt es regelmässig zu fremdenfeindlichen Kundgebungen, Rechtsrock-Konzerten und Flashmobs, bei denen Reichkriegsflaggen gehisst werden. Im Herbst 2009 wurden in Weil bei einem Mitglied der Jungen Nationaldemokraten 22 Kilo Rohmaterial gefunden, das sich zum Bau einer Rohrbombe geeignet hätte, dazu ein Sturmgewehr und mehrere Messer. Seit 2014 sitzt ein Vertreter der NPD im Weiler Gemeinderat.

Obwohl es seit Jahren massive Demonstrationen gegen die rechten Umtriebe gibt, ist die Bewegung weiterhin aktiv – und das nicht nur in Süddeutschland, sondern im gesamten Dreiländereck. Im Februar 2016 verhinderte die Polizei nur knapp eine Schlägerei zwischen Rechtsextremen und Deutschtürken. Im Mai gründete die Partei Die Rechte einen Ableger vor Ort. Seither schaukelt sich die Stimmung hoch. Auf Häuserwänden sind seit einigen Wochen linke Gegenparolen zu lesen («Pegida boxen»). Zudem wurde das Auto des Kreisvorsitzenden der Partei Die Rechte in Brand gesteckt.

 

Kontakte über die Grenze

Rechtsextremismus wird gerne als ostdeutsches Problem betrachtet, wobei die Vorfälle der jüngsten Zeit – Pegida-Demonstrationen oder auch Randale vor Flüchtlingsheimen – diese Vermutung weiter untermauern. Doch sie stimmt nur auf den ersten Blick, wie die Statistik des Bundesinnenministeriums zeigt. So ereigneten sich 2014 zwar in Brandenburg die meisten rechtsextremen Gewalttaten, nämlich 2,98 pro 100 000 Einwohner. Nach Berlin (2,81) und Mecklenburg-Vorpommern (2,19) folgte aber Nordrhein-Westfalen (2,11) mit seiner starken Neonaziszene rund um Dortmund. Baden-Württemberg erreichte den vorletzten Platz (0,22).

Daraus zu schliessen, dass die Welt im Südwesten noch in Ordnung ist, wäre jedoch zu kurz gegriffen. «Rechtsextremismus kann überall vorkommen», sagt Günter Bressau vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg, das Opfer rechter Gewalt berät. Es handle sich vor allem um ein Problem in ländlichen Regionen, unabhängig davon, in welchem Teil der Bundesrepublik diese lägen. Die Gegend rund um Lörrach hat die Beratungsstelle schon länger im Blick. «Es gibt dort gute grenzüberschreitende Kontakte», sagt Bressau.«Man besucht sich gegenseitig, geht auf rechte Konzerte. Redner der Schweizer Pegida treten in Deutschland auf und umgekehrt.» Der Kreisvorsitzende der deutschen Partei Die Rechte lebe im Elsass. «Immer dort, wo solche Akteure wohnen, scharen sie Sympathisanten um sich», sagt Bressau.

Doch auch an anderen Orten im Südwesten kommt es immer wieder zu ausländerfeindlichen Vorfällen. So listet der jüngste Verfassungsschutzbericht allein für 2015 siebzig Straftaten gegen Asylunterkünfte in Baden-Württemberg auf. Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten hat sich im Vergleich zu 2014 verdreifacht. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass etwa 810 gewaltbereite Personen aus dem rechten Spektrum in Baden-Württemberg leben. Die Agitation gegen Flüchtlinge und Asylbewerber bilde den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten, analysiert die Behörde. Die Pegida-Bewegung ist in Baden-Württemberg allerdings nur an wenigen Orten präsent, unter anderem im Raum Lörrach.

 

Rache des Schwiegersohns

Wie weit die Agitatoren gehen, bekam Antje Cremer in den vergangenen Monaten zu spüren. Nachdem ihrem Nachbarn wegen der ständigen Anfeindungen die Wohnung gekündigt worden war, schickte dieser seinen in der rechten Szene aktiven Schwiegersohn vor. «Er sagte, dass er mir die Pegida auf den Hals hetzen würde», erinnert sich Cremer. Dies war keine leere Drohung: Anfang Juni bremste sie der Schwiegersohn in einem Kreisverkehr aus. Als sie aussteigt, schlägt und tritt er auf die Frau ein. Noch heute leidet Cremer unter den gesundheitlichen Folgen; im Flur hängt seitdem ein Knüppel. «Man weiss ja nie», sagt Cremer, die tagsüber alleine zu Hause ist, wenn ihr Mann arbeitet.

Seit dem Vorfall im Kreisverkehr lungert eine Gruppe Rechtsradikaler regelmässig vor dem Mehrfamilienhaus herum, in dem die Familie wohnt. Sie pöbeln Cremer an, sobald sie den Balkon betritt. Mehrmals rief sie die Polizei, diese sprach Platzverweise aus. Doch die rechtliche Lage ist schwierig, weil alle Personen in der Nachbarschaft wohnen. Cremer traut sich kaum noch aus dem Haus. Freiwillige aus Basel und der Region begleiten ihre Söhne zur Schule. «Das ist wie im Gefängnis», sagt sie. Wegziehen komme aber nicht infrage. «Dann hätten die ja gewonnen. Und die Nächsten wären dran.» Cremers ehemaliger Nachbar ist zu den Vorfällen nicht zu befragen. Doch die gerichtlichen Anhörungen verliefen hinter verschlossenen Türen, da der Fall in die Zuständigkeit des besonders geschützten Familiengerichts fällt. Dieses tagt generell unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eine Stellungnahme des Beschuldigten war ebenfalls nicht zu erhalten, da er inzwischen an einer unbekannten Adresse wohnt. Auch in einem anderen Punkt bleiben Fragen offen: Was können Betroffene tun, wenn sie Opfer rechter Anfeindungen werden? «Da gibt es leider kein Patentrezept, weil jeder Fall ganz verschieden ist», sagt Günter Bressau vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg. Zunächst sei es wichtig, Hilfe zu holen. «Wir raten niemandem zu versuchen, das Problem alleine zu lösen.» In Baden-Württemberg könne man sich etwa an die Opferberatung Leuchtlinie wenden. Diese vermittle die richtige Unterstützung vor Ort und arbeite eng mit der Polizei zusammen. «Auch bei der Vermittlung von Anwälten können wir helfen», erklärt Bressau.

Zumindest in Weil am Rhein könnte sich die Lage nun doch noch zum Guten wenden. Hoffnung macht der bedrängten Familie ein Annäherungsverbot, welches das Amtsgericht Lörrach im Juli gegen acht Personen ausgesprochen hat. Seither dürfen sich die Beschuldigten der Familie nicht auf mehr als 150 Meter nähern – was trotzdem nicht ganz einfach ist. Immerhin wohnen die Beteiligten alle in unmittelbarer Nachbarschaft, so dass eine zufällige Begegnung im Supermarkt oder am Briefkasten nicht ausgeschlossen werden kann. Wie oft in solchen Fällen sind die Kapazitäten der Polizei begrenzt. «Wir haben nicht das Personal, um das Haus 24 Stunden zu bewachen», sagt Pressesprecher Dietmar Ernst. Zum Glück habe sich die Lage mit dem Annäherungsverbot gebessert.

Ganz so positiv beurteilt Antje Cremer ihre Situation nicht. «Wir wissen nicht, wie es weitergeht», sagt sie. Die Solidarität der anderen Nachbarn habe ihr aber sehr geholfen. Cremer weiss auch, dass sich das Problem nicht in Luft auflösen wird: Für den 24. September ist der nächste rechte Aufmarsch in Weil am Rhein angekündigt. Die Organisatoren rechnen mit 500 bis 1000 Teilnehmern.