Auch das linksradikale Umsganze-Bündnis mobilisiert zur bundesweiten Demo gegen Lohnarbeit am 30.4. in Frankfurt/Main. Unter dem Motto "Staat. Nation. Kapital. Scheiße. Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft" ruft die meisten Bündnisgruppen dazu auf, "gegen die ideologische Verklärung der Lohnarbeit zum 'Sinn des Lebens' am 1. Mai" das nationale Bündnis für Arbeit zu "stören, wo es geht".
Außerdem setzten sie sich in dem Aufruf mit der Frage von "Freizeit",
"Arbeit und Geschlecht", "Lohnarbeit und Staat" sowie der Frage einer
möglichen linken Praxis dagegen auseinander.
Homepage des Demobündnis: krise.blogsport.de
Dokumentation des Aufrufes:
Arbeit! Arbeit! Arbeit!
Ob
als »individuelle Sinnstiftung«, als »Grundlage des Wohlstandes« oder
als »Weg zur Selbstverwirklichung« - bei kaum einem Thema herrscht
hierzulande so viel Einigkeit wie beim Thema »Arbeit«. Die Menschen in
Lohnarbeit zu bringen scheint nicht nur volkswirtschaftlich notwendig,
sondern auch menschlich geboten. Quer durch alle Parteien, von DGB bis
Arbeitgeberverbänden, von der taz bis zur FAZ – das nationale Bündnis
für Arbeit steht. Bemerkenswerte Konflikte gibt es im Moment allein
darum, zu welchen Bedingungen und auf wessen Kosten »die Arbeit«
geschaffen werden kann. Wo die Sozialdemokraten verschiedener Parteien
»gute Arbeit« schaffen möchten, verweisen Westerwelle und Koch auf die
angeblich prekäre Lage des Standortes auf dem Weltmarkt und möchten den
Lohnabhängigen daher einen Großteil der Kosten ihrer Arbeit auferlegen.
Dabei können sie sich auf den, auch von einigen Linken geteilten,
Konsens berufen, dass Lohnarbeit die natürliche Basis des Lebens sei
und jenseits davon - gesellschaftlich wie individuell - nur Armut,
Faulheit und Depression zu haben ist. Unter den entsprechenden
konjunkturellen Bedingungen ist es zur »realistischen Sicht«, dass
selbst schlechte Arbeit doch besser als gar keine sei, dann nicht mehr
weit.
Auch die radikale Linke frönt zu oft noch diesem
Arbeitsfetisch, wenn sie – oldschool mit Klassenkampfparolen oder
postmodern im Sinne flexibler Selbstverwertung – etwa den 1. Mai zum
»Kampftag« erklärt und für einen »gerechten Lohn« oder »selbstbestimmte
Arbeit« eintritt.
Gegen diese ideologische Verklärung der
Lohnarbeit rufen wir anlässlich des 1. Mai dazu auf, die Lohnarbeit als
Produkt und Voraussetzung der Zwänge des globalen Kapitalismus zu
begreifen und das nationale Bündnis für Arbeit zu sabotieren. Alle
Aktionen, die wir am und um den 1. Mai unternehmen, stehen dabei unter
dem Imperativ: »Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft!«.
Das ist doch (nicht) normal...
Noch
in jeder menschlichen Gesellschaft mussten sich die Menschen ihre
nötigen Güter und Lebensmittel in der Umformung der Natur durch
Verausgabung von Hirn-, Muskel- und Nervenkraft aneignen. Im
Kapitalismus hat diese menschliche Tätigkeit eine ganz bestimmte Form
angenommen. Zwar sind die technischen Möglichkeiten der Menschheit hier
im Vergleich zu vorherigen Gesellschaften ins Unermessliche gestiegen.
Gleichzeitig sind Technik und Menschen jedoch beherrscht von
kapitalistischen Verhältnissen, die ihnen eine eigene Form aufdrücken:
Die Lohnarbeit.
Denn Produktion und Verteilung des
gesellschaftlichen Reichtums wird auch im Kapitalismus nicht durch die
vernünftige Aushandlung der verschiedenen menschlichen Bedürfnisse und
die entsprechende Ausnutzung der Technik geregelt. Vielmehr basiert die
kapitalistische Reichtumsproduktion darauf, dass sie vermittelt wird
über die Abstraktion von eben diesen Bedürfnissen. Die Allgemeinheit
der menschlichen Gesellschaft stellt sich hier nicht real durch
Aushandlung, sondern durch die abstrakte Vermittlung via Lohnarbeit und
Tausch her. Erfolgskriterium der Produktion sind nicht die Bedürfnisse
der Menschen, sondern der Profit. Dessen Grundlage aber ist die
Arbeitszeit, in der ihr Inhalt grundsätzlich egal ist. Es spielt hier
also keine besondere Rolle ob Medikamente hergestellt oder
Anti-Personenminen gebastelt werden. Denn alle müssen in der Konkurrenz
gegen alle anderen so viele Zeiteinheiten wie möglich durch Lohnarbeit
einhamstern um ihre eigenen Bedürfnisse überhaupt - im Tausch mit
Anderen - befriedigen zu können. Schließlich sind die meisten Menschen
durch das staatlich garantierte Recht auf Privateigentum »frei« von der
Entscheidung über Einsatz der Produktionsmittel und müssen daher zum
Leben ihre Arbeitskraft auf dem Markt anbieten. Diese Arbeitskraft hat
unter den bestehenden technischen Möglichkeiten zwar den Vorteil, dass
sie in derselben Zeit mehr herstellen kann, als zu ihrer
Wiederherstellung nötig ist. Gemessen wird der Wert der Lohnarbeit
jedoch eben nicht in erster Linie daran, ob sie möglichst angenehm ist
und menschliche Bedürfnisse befriedigt, sondern ob sie sich auf dem
Markt verkaufen lässt. Damit aber verkehrt sich der eigentliche Zweck
der Produktion – die Bedürfnisbefriedigung mit Gebrauchswerten – ins
bloße Mittel. Der Zweck kapitalistischer Produktion ist so für das
Kapital der Profit und für die davon anhängigen ArbeiterInnen der Lohn;
die Produktion nützlicher Güter ist nur das Mittel dazu. Ein solches,
durch den Tausch Arbeitskraft gegen Geld ermöglichtes
Gesellschaftsverhältnis degradiert die menschliche Arbeitskraft selbst
zur Ware, die vergleich- und beliebig austauschbar ist mit anderen
Waren. So wird durch den Tausch Arbeitskraft gegen Geld ein Kreislauf
am Leben erhalten in dem die Produktion zur Profitmehrung im
Vordergrund, menschliche Bedürfnisse hingegen im Hintergrund stehen.
Anstatt Lohnarbeit zum »normalen Bedürfnis« und »Sinn des Lebens« zu
verklären und damit die praktische Unterordnung menschlicher
Bedürfnisse unter die Zwänge von Warenproduktion, Konkurrenz und Tausch
noch ideologisch zu verdoppeln, ist Lohnarbeit als spezifisch
kapitalistische Zumutung abzulehnen.
Freizeit für wen? Und von was?
Auch
wenn Lohnarbeit also nichts Natürliches ist, übt sie unter
kapitalistischen Bedingungen einen gesetzartigen Zwang auf alle
Bereiche der Gesellschaft aus. Denn die Lohnarbeit schafft den
gesellschaftlichen Zusammenhang nur als eine strukturelle Trennung von
wertbildender, abstrakter Produktion und konkreter, privater
Reproduktion der Menschen. Durch die kapitalistische Aufspaltung allen
menschlichen Tuns in konkrete, nützliche Mittel und abstrakte aber
»wertbildende« Zwecke bleiben erstere nicht unberührt. So lässt die
kapitalistische Form der Produktion selbst die immer zu kurze
»Freizeit« nicht aus. Sie wird vielmehr definiert als die bloße
Abwesenheit von Lohnarbeit. Der Freizeit kommt die Aufgabe zu, die zu
Arbeitskraftbehältern degradierten Menschen physisch wie emotional
wieder aufzuladen. Den Freizeitaktivitäten von »Feiern zu Techno« bis
»Wandern im Harz« haftet im Kapitalismus deshalb immer auch der
verbissene Wille an, sich nun aber wirklich »mal locker machen« zu
müssen, um sich auch in Zukunft optimal verwerten lassen zu können.
Darüber
hinaus ist die Trennung menschlichen Tuns in die abstrakte Wertbildung
durch Lohnarbeit und die konkrete Reproduktion der Existenz ein
Ansatzpunkt für sexistische und rassistische Rollenbilder, wie
beispielsweise die Vorstellung »weiblicher Emotion« und »männlicher
Rationalität«. Denn Sexismus und Rassismus gruppieren sich um die
tatsächliche Aufspaltung der Eigenschaften menschliche Existenz entlang
der Linie von abstrakter, wertbildender Lohnarbeit und konkreter
Reproduktion der Einzelnen im Kapitalismus herum. Bestimmte Emotionen
und Verhaltensweisen werden dann anhand von angeblichen Geschlechter-
oder Kulturgrenzen aufgeteilt. Das hat ganz praktische Auswirkungen:
Die Festlegung von Menschen auf angeblich natürliche Lebensperspektiven
und Tätigkeiten sowie tausendfache Diskriminierung in Mitten der
kapitalistischen Gleichheit. Die Gewalt jedenfalls, die die Entwicklung
einer mit der Lohnarbeit konformen Identität für jede/n Einzelne/n
bedeutet, ist noch der bemühten Abfeierei der Lohnarbeit in Medien und
Politik anzumerken.
Die strukturelle Spaltung von
notwendiger, aber »wertloser« Reproduktion im Privaten und abstrakter,
wertbildender Lohnarbeit mit öffentlicher Anerkennung bleibt ein
grundsätzliches Zwangsmerkmal menschlicher Existenz im Kapitalismus.
Die konkrete Gestalt dieser strukturellen Trennung mag zwar, wie Alice
Schwarzer und die FreundInnen des Gendermainstreaming immer wieder
triumphierend feststellen, veränderbar sein. Doch dass inzwischen auch
Frauen ihre Arbeitskraft verkaufen dürfen und Reproduktionsarbeiten,
wie z.B. Kinderhüten, kommerzialisiert werden, führt eben nicht zur
Auflösung von Geschlechterrollen und auch nicht zum Verschwinden
geschlechtlicher Ungleichbehandlung. Vielmehr führt es dazu, dass die
gesellschaftlich notwendigen, aber als minderwertiger angesehenen,
»weiblichen“ Tätigkeiten zunehmend an migrantische Frauen outgesourct
werden. Das zeigt, dass - egal was Grüne, DGB, etc. auch sagen – es
wird nicht gut werden, wenn nur »weiter Kurs auf Gleichberechtigung«
(8. Märzaufruf DGB) gehalten wird. Denn das Problem ist nicht, dass das
Ideal kapitalistischer Gleichheit hier und da noch nicht eingelöst
wird, sondern dass es im Kapitalismus gar nicht eingelöst werden kann.
Die abstrakte Gleichheit kapitalistischer Lohnarbeit realisiert sich
notwendigerweise durch konkrete Ungleichheiten: Sowohl zwischen den
realen Einkommens- wie den angeblichen Kultur- und Geschlechtergrenzen.
Die identitäre Spaltung der Menschen in verschiedene Rollenbilder ist
in jedem Fall die kapitalistische Wirklichkeit des bürgerlichen Ideals
»gleicher Arbeit« und »verdienter Freizeit«.
Der Staat als Garant der Krise
Die
technischen Möglichkeiten sind im Zuge der kapitalistischen Entwicklung
sprunghaft angestiegen und dank Maschinen und Robotern ist es heute
möglich mit einer Arbeitskraft mehr zu produzieren als früher mit zehn.
Das stellt den Kapitalismus immer wieder vor Probleme. Denn es braucht
zwar faktisch weniger Arbeitsaufwand, gleichzeitig ist und bleibt die
Lohnarbeit jedoch die einzige Wert-Quelle kapitalistischer Produktion
und damit auch die Grundlage ihres gesellschaftlichen Überlebens. Wenn
also durch technischen Fortschritt weniger Arbeitskräfte gebraucht und
diese entlassen werden, entsteht die paradoxe Situation, dass mehr
Produkte weniger kaufkräftigen Konsumenten gegenüberstehen: Es gibt
eine Überproduktionskrise. Hier springt der Staat ein. Sein Überleben
hängt über Steuern selbst davon ab, dass die Wirtschaft läuft und
Profit abwirft. Jeder Staat steht daher aus eigenem Interesse mit
anderen Staaten auf dem Weltmarkt in Konkurrenz darum, einen möglichst
großen Teil der global produzierten Wertmasse in seinen »Standort« zu
lenken. Deswegen kann der Staat sich nicht damit begnügen, nur die
äußeren Rahmenbedingungen der Verwertung der Arbeitskraft mit Polizei
und Justiz zu sichern, in dem er die selbstzerstörerische Konsequenz
kapitalistischer Konkurrenz – Mord und Totschlag – als unlautere
Geschäftsmethoden verbietet und Rechtssicherheit herstellt. Vielmehr
muss der Staat auch durch aktive Politik die gegensätzlichen Interessen
in seinem Einflussbereich so moderieren, dass die Wirtschaft brummt.
Die Maßnahmen reichen dabei von der finanziellen Unterstützung von
angeschlagenen Unternehmen und Banken bis zur Bildungs- und
Sozialpolitik. Über die richtige Mischung zwischen
marktwirtschaftlichen und staatlichen Anteilen tobt zwar der politische
Streit, zur Debatte steht allerdings stets nur wie – nicht ob – eine
auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Verwertung der nationalen
Arbeitskraft organisiert werden soll.
Zudem leiden die
Lohnabhängigen unter einem strukturellen Wettbewerbsnachteil. Ihre
Lohnarbeit ist zwar die eigentliche »Quelle des Reichtums«. Im
Gegensatz zu globalen Unternehmen sind ihre Möglichkeiten den Staat
unter Druck zu setzen und ihm soziale Wohltaten abzutrotzen aber sehr
begrenzt. Denn verteilt werden kann ja einerseits nur, was auf dem
Weltmarkt verdient wird und anderseits sind die lebenden Lohnabhängigen
nicht so mobil wie das Kapital. Sie können daher selbst in
kapitalistischen Demokratien nur als besseres Management oder
militanter Störfaktor Bedeutung erlangen. Wenn die Konjunktur lahmt,
geraten dementsprechend die (legalen)
Interessensvertretungsmöglichkeiten jener Lohnabhängigen, die ersetzbar
sind, schnell in die Krise. Von dem Ausmaß der kulturellen
Disziplinierung und des »sozialen Friedens« hängt es dann ab, ob doch
mal der Boss gekidnappt wird oder »Ruhe und Ordnung« wichtiger sind als
wenigstens eine Abfindung bei Jobverlust. Der Klassenkampf für eine
angemessene Bezahlung der Ware Arbeitskraft ist in diesem Sinne zwar
stets notwendig, er bleibt aber selbst mit militanten Mitteln im
Kapitalismus »nur« ein Kampf ums Überleben unter den Zwängen von Markt
und Staat. In jedem Fall ist die Sorge des Staatspersonals um das
Wohlergehen der Lohnabhängigen ein doppelter Zynismus. Denn zum einen
zwingt sie ja erst die staatliche Garantie der falschen Freiheit, also
der Freiheit vom Besitz an Produktionsmitteln, in die Situation ihre
Arbeitskraft verkaufen zu müssen um zu leben. Zum anderen werden sie
als Lohnabhängige dann zum Objekt unterschiedlicher staatlicher
Strategien, die sie kapitalproduktiv und staatsloyal machen sollen.
Auch wenn sich eine Vielzahl der Lohnabhängigen bereitwillig selbst vor
den Karren nationaler Interessen spannt, interessieren sie dabei doch
nie als Menschen, sondern primär als Humankapital.
Das war
auch früher nicht anders. Gegen die Verklärung des »guten alten
Sozialstaates« der fordistischen Epoche (in der das Studieren noch
kosten- und das Überleben mit Sozialhilfe für Deutsche noch
bedingungslos war) ist festzuhalten, dass auch seine vermeintlichen
Wohltaten unter kapitalistischen Zwängen standen. Das heißt, sie alle
waren – egal ob New Deal in den USA oder die soziale Marktwirtschaft in
der BRD – national begrenzt und basierten dementsprechend auf der
Ausgrenzung und Illegalisierung der Menschen aus anderen Teilen der
Welt. Außerdem setzten sie disziplinierte Lohnabhängige voraus, die
sich ihr standardisiertes Reihenhaus-Glück mit politischer Loyalität
und dem frohen Schuften für den Weltmarkterfolg des nationalen Kapitals
erkauften. Das nationale Arbeitsregime des aktuellen Kapitalismus, das
in England schon früher von New Labour und in der BRD erst mit Hartz IV
und der Agenda 2010 final von Rot-Grün durchgesetzt wurde, ist
demgegenüber aus staatlicher Sicht tatsächlich kein »Sozialabbau«.
Vielmehr handelt es sich um einen Umbau der sozialpolitischen Werkzeuge
des Staates, mit denen auf die veränderten technologischen
Möglichkeiten und Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt reagiert
wird. Das neue Paradigma des »Fördern und Forderns« von Hartz IV, dass
staatliche Unterstützung an eine ganze Reihe von Schikanen und
Bedingung knüpft, verfolgt dabei u.a. das Ziel, auch die Teile der
Gesellschaft für den kapitalistischen Wettbewerb mobilisiert zu halten,
die zum großen Teil gar nicht mehr gebraucht werden. Und die Menschen,
die noch Lohnarbeit haben, sollen dazu gebracht werden, daran auch
unter noch so miesen Bedingungen festzuhalten. Je überflüssiger die
Lohnarbeit gemessen an den technischen Möglichkeiten für ein gutes
Leben der Menschen wird, desto eher erklärt der Staat also die Menschen
selbst für überflüssig und zwingt sie zu immer prekäreren Bedingungen
in Lohnarbeit. Nur gegenüber dem Elend in jenen Regionen der Welt, die
vom Weltmarkt schon komplett abgehängt worden sind, kann das noch als
kleineres Übel verkauft werden. All diese Entwicklungen zeigen eins:
Der Staat löst die Krisen der kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft
nicht - er garantiert sie.
»Ich sehe was, das du nicht siehst« (populäres Kinderspiel)
Die
kapitalistische Gesellschaft fällt also in verschiedene Gegensätze, wie
Produktion und Reproduktion oder auch Staat und Markt auseinander,
lässt sich aber nur als notwendiger Zusammenhang dieser Widersprüche
sinnvoll verstehen. Denn kein Markt ohne die staatliche Garantie von
Eigentum und Tausch, keine Lohnarbeit ohne die Reproduktion der
Arbeitskraft und auch keine erfolgreiche Produktion ohne den Kauf und
Verkauf der Waren auf dem Markt. In den alltäglichen Ansichten der
Leute kommen diese Einsichten in das Wesen des Kapitalismus jedoch nur
selten zum Zuge. Denn die widersprüchlichen Praxisformen des
Kapitalismus produzieren aus sich selbst heraus stets die Ideologie von
angeblich unabhängigen Teilbereichen der Gesellschaft, die deren
gemeinsamen Ursprung in den Funktionsbedingungen des Kapitalismus
verschweigt. Deswegen erscheint z.B. staatliche Politik vielen Menschen
als das Korrektiv des kapitalistischen Marktes und als Hüter des
Allgemeinwohls gegen den bornierten Egoismus Einzelner. Dass es in
Wirklichkeit erst die staatliche Garantie der Eigentumsrechte wie die
politische Regulation der selbstzerstörerischen Tendenzen der
Marktwirtschaft ist, die Selbstzerstörung und Egoismus als Prinzip der
gesellschaftlichen Reproduktion überhaupt langfristig möglich macht,
fällt dabei unter den Tisch.
Eine ähnliche Verdrehung passiert
gerade in der aktuellen Krise in Bezug auf die Lohnarbeit. Da erscheint
die Produktion von Waren durch den Verkauf der menschlichen
Arbeitskraft in der Lohnarbeit als »real« und der Umgang einiger Banken
mit eben diesen Waren auf dem Finanzmarkt als »Spekulation«.
Tatsächlich sind die Kredite der Banken jedoch sowohl die Bedingung
dafür, bestimmte Formen der Lohnarbeit überhaupt finanzieren zu können.
Außerdem werden auf der Grundlage von Marktanalysen Investitionen dahin
gelenkt, wo die besten Verwertunsbedingungen zu sein scheinen.
Grundsätzlich ist aber jede Produktion einer Ware selbst Spekulation,
weil sich immer erst später auf dem Markt herausstellt ob sie verkauft
werden kann. Wenn der Automobilmarkt gesättigt ist und trotzdem weiter
Autos verkauft werden müssen, ist die Krise im Endeffekt also nicht das
Ergebnis windiger Finanzgeschäfte, sondern von Überproduktion, d.h. der
normalen Spekulation der »Real-Wirtschaft«. Trotzdem erfreut sich das
Lob der Lohnarbeit gegenüber dem Finanzkapital stets einiger
Beliebtheit. Nach dem Motto »wer vom Finanzkapital redet, der kann vom
Kapitalismus schweigen« ist diese ideologische Verdrehung der Realität
von der »demokratischen Mitte« der Gesellschaft bis hin zu Antisemiten
und Neonazis gerade in den Krisen des globalen Kapitalismus ein
verbreitetes Identitätsangebot. In Deutschland hat es historisch mit
der antisemitischen Trennung von »raffendem« und »schaffendem« Kapital
seine extremste Ausprägung gefunden. Gleichwohl ist die ideologische
Unterscheidung von »guter Lohnarbeit« und »bösen Finanzgeschäften«
heute weltweit zu finden. Egal ob die populäre Schelte von
»Heuschrecken« in Deutschland oder die mediale Kampagne gegen den
Milliardenbetrüger Bernard Madoff in den USA, die ideologische Trennung
von Lohnarbeit und Finanzwelt personalisiert stets die Systemzwänge und
erklärt dabei das kapitalistische System als Ganzes für unschuldig. Ein
falsches Motiv, dass auch in linken Mobilisierungen immer wieder
auftaucht und zeigt, wie wichtig eine Kapitalismuskritik ist, die aufs
Ganze geht.
The system works ‘cause we work
Das
aktuelle Arbeitsregime aus Hartz IV und Leiharbeit, Illegalisierung von
MigrantInnen und gewerkschaftlicher Komplizenschaften, nationaler
Mobilisierung des Humankapitals, Wissenschaft als Standortfaktor,
»Selbstbestimmung« nur als Training für Konkurrenz und Auslese, die
präventive Kriminalisierung störender Überflüssiger – all das ist kein
Automatismus. Das nationale Bündnis für Arbeit braucht alltägliche
Rituale, besondere Symbole und zuverlässige Akteure. Deswegen ist es
angreifbar. Soziale Kämpfe, die vielfältige Verweigerung des Mitmachens
und die praktische Sabotage des reibungslosen Verwertungsmanagements in
Ämtern, Unis, Stadtteilen und Betrieben sind notwendige Voraussetzungen
jeder gesellschaftlichen Veränderung hin zu Besserem. Die
Gegenüberstellung einer reinen, radikalen Kritik auf der einen und
einer im schlechten Sinne realistischen Intervention auf der anderen
Seite ist eine Falsche. Sie kann aufgelöst werden in einer
konfrontativen Praxis, die sich nicht den Kopf von Staat und Kapital
zerbricht. Schon im Alltag können Irritation der Normalität ausgelöst
und neue Handlungsmöglichkeiten und Organisierungsansätze ausprobiert
werden. Ohne solch eine Praxis reduziert sich auch die radikalste
Kritik selbst auf Volkspädagogik und Verbalradikalismus. Damit verewigt
sie ihre eigene Bedeutungslosigkeit.
Sich in sozialen Kämpfen
nicht den Kopf von Staat und Kapital zu zerbrechen, entbindet aber
gleichzeitig keineswegs davon, sich darin das Hirn über die Struktur
und Verlaufsformen des Kapitalismus zermatern zu müssen. Zumindest wenn
soziale Kämpfe mehr sein sollen, als Teile der Suchbewegung
kapitalistischer Modernisierung.
Denn Lohnarbeit und Kapital
sind so gegensätzlich, wie sie nur verschiedene Momente derselben
Reproduktion des Kapitalismus sind. Das heißt, sie sind Teil eines
Prozess, der die Menschen als seine notwendigen Anhängsel nur
widerwillig mitschleppt und allein ein Ziel kennt: Seine Verlängerung
ins Unendliche. Die heute verharmlosend ArbeitnehmerInnen genannten
LohnarbeiterInnen müssen in diesem Spiel zwar immer wieder den Kürzeren
ziehen, weil die einzige Ware, die sie anzubieten haben (Arbeitskraft)
gegenüber dem Kapital strukturell unflexibel ist. Doch auch die
Verstaatlichung des Eigentums oder selbst seine teilweise
Kollektivierung, z.B. in »autonomen Freiräumen« ändert nichts an diesem
Dilemma. Nicht nur die Inhaber des Rechts auf Eigentum, sondern die
allgemeine Formen von (Privat-)Eigentum, Tausch und Konkurrenz als
Formen der Organisation der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion
müssen überwunden werden. Denn es gibt im Kapitalismus kein
»revolutionäres Subjekt«, dessen bloße Interessenvertretung eine
Emanzipation vom Kapitalismus versprechen könnte. Selbst der
militanteste Arbeitskampf ist für sich genommen nicht Vorbote der
Revolution, sondern schlicht der im Kapitalismus notwendige Kampf ums
Überleben der Arbeitskraft als Objekt und Bedingung kapitalistischer
Lohnarbeit. Erst wenn eine andere Form der Reproduktion der
Gesellschaft jenseits von Konkurrenz, Tausch und Politik gefunden und
verwirklicht ist, halten das Kapital und sein Staat die neue
Wirklichkeit nicht mehr aus.
Kommunismus* statt Lohnarbeit
Gegen
die falsche Freiheit des Marktes und den staatlichen Zwang zur
Lohnarbeit im aktuellen Kapitalismus, wie gegen den Arbeitsfetisch der
orthodoxen Linken ist deswegen an der schlichten Erkenntnis
festzuhalten: Wer die sozialen Formen von Staat und Nation; Lohnarbeit
und Kapital, Eigentum und Tausch nicht durchbricht, der ist – und sei
der Wille noch so gut – dazu gezwungen sie zu reproduzieren. Damit aber
wird im globalen Maßstab stets eine soziale Dynamik am Laufen gehalten,
die nicht nur jede sozialen Errungenschaften und jedes noch so kleine
Recht, jedes bisschen Freiheit gegenüber den kapitalistischen
Sachzwängen relativiert, sondern selbst diesem bisschen immer wieder
die Grundlage entzieht. Am 1. Mai, dem internationalen Feiertag der
Lohnarbeit, gibt es daher für eine radikale Linke, die ihre eigenen
Ziel ernst nimmt, nichts zu feiern. Stattdessen gilt es die nationalen
Inszenierungen des Zwangs zur Lohnarbeit zu stören, wo es geht. Nicht
die Befreiung der Lohnarbeit, sondern die Befreiung von der Lohnarbeit
steht auf dem Programm. Es umzusetzen wird sicherlich anstrengend, viel
anstrengender wäre es jedoch weiterhin einfach am nervtötenden
Hamsterrennen des Kapitalismus teilzunehmen.
Gegen die so
menschenverachtende wie krisenhafte Dynamik des Kapitalismus setzen wir
daher die Vision einer kommunistischen Gesellschaft, in der nicht
staatliche Zwecke oder die Zwänge des Marktes, sondern die menschlichen
Bedürfnis der Maßstab der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums
sind. Berufen können wir uns dabei auf mehr, als nur unsere Abneigung
gegen das Mitmachen im kapitalistischen Rennen, Rackern, und Rasen.
Nämlich die Einsicht in die durch den Kapitalismus entwickelte
Möglichkeit einer ganz anderen, kollektiven Organisation der
gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Ihre Realisierung scheitert
heute nicht an ihrer technischen oder gar »natürlichen« Unmöglichkeit,
sondern allein an der Herrschaft der verselbstständigten Formen von
Staat, Lohnarbeit und Kapital, die alle immer wieder ins
kapitalistische Hamsterrad zwingen. Wenn es ums Ganze geht, geht es in
diesem Sinne um die banale Einsicht, dass der Kommunismus heute das
Einfache ist, das auch einfach zu machen wäre.
Staat. Nation. Kapital. Scheiße.
Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft!
Für den Kommunismus*!
Alle
zur revolutionären Anti-1.Mai-Demo „Endlich wird die Arbeit knapp…
Gegen Lohnarbeit, Leistungsterror und Konkurrenz - Kapitalismus
abschaffen“!
30.4.2010 / 19 Uhr / Galluswarte / Frankfurt/Main
*Kommunismus
meint nicht Staatssozialismus a la Sowjetunion und DDR. Mit anderen
Worten: »Die Herrschaft von Staat und Kapital, die kapitalistische
Ausbeutung samt ihrer wiederkehrenden Krisen abzuschaffen zu Gunsten
einer herrschaftsfreien Gesellschaft - über diesem Programm steht für
uns der Begriff des Kommunismus. Eine kommunistische Gesellschaft ist
eine Gesellschaft, die ihre Zwecke bewusst bestimmt und ihre produktive
Naturaneignung solidarisch einrichtet, anstatt sich von den Zwängen und
Krisen der Verwertung, des Privateigentums oder des Staates
herumschubsen zu lassen. In der - anders als in der bürgerlichen
Gesellschaft - »die Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung der
Freiheit aller ist«. Eine Gesellschaft, zu der »jeder nach seinen
Fähigkeiten« beiträgt, und »jedem nach seinen Bedürfnissen« geschieht
(Marx). (…) Dieses Programm ist in einem banalen Sinn »utopisch«: Es
lässt sich in der bestehenden Gesellschaftsordnung beim besten Willen
nicht konstruktiv einbringen. Aber es verdient auch nicht den Argwohn
derer, die beim Begriff des Kommunismus nur an Gulag und autoritären
Staat denken«. (Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen
Freiheit, Umsganze 2009)