„Wie entfernt man eine Tätowierung?“ Als Herbert Reinecker 1994 bei einem Radiointerview mit dieser Eingangsfrage konfrontiert wurde, reagierte er irritiert. Er schwieg. Und antwortete auf die Nachfrage: „Das ist mir völlig unbekannt. Ich glaube, das ist eine sehr schmerzhafte Prozedur.“ Der Drehbuchautor, berühmt geworden als Erfinder der Fernsehserie „Derrick“, brauchte eine Weile um zu begreifen, worum es ging: um das Blutgruppenzeichen, das ihm im Sommer 1941 in den Oberarm gestochen worden war, als er der Waffen-SS beitrat.
Horst Tappert ist öffentlich nie nach seiner Tätowierung gefragt worden. Dass der Schauspieler, der als Derrick-Darsteller zur Inkarnation des verlässlichen, immer korrekten Deutschen aufstieg, Mitglied der Waffen-SS war, kam erst jetzt heraus, fünf Jahre nach seinem Tod. Der Soziologe Jörg Becker hatte den SS-Eintrag in Tapperts Wehrmachts-Karteikarte entdeckt. Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte das vergilbte Blatt mit der Überschrift „Das ist die SS-Akte ,Derrick’“. Tapperts Sohn Ralph wusste nichts von der Zugehörigkeit seines Vaters zur NS-Elitetruppe, die 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt worden war: „Mir war nicht bekannt, dass seine Einheit zur Waffen-SS gehörte.“
Horst Tappert hat durchaus vom Krieg erzählt, in einer Mischung aus Anekdoten, Abenteuerromantik und Abscheu. In seiner 1998 erschienenen Autobiografie „Derrick und ich“ schildert er einen Einsatz „irgendwo am Don“, eine schwere Verletzung durch einen Bauchschuss und die Genesung im Lazarett, den Rückzug in einer „Geisterarmee“. Besonders anrührend ist eine Passage über seinen Schäferhund, den er erschießen musste. Nur das Wort „SS“ fällt nicht. Das Buch trägt den Untertitel „Meine zwei Leben“. Richtiger wäre: „Meine drei Leben“. Denn insgeheim hatte der spätere Fernsehstar eine weitere Existenz geführt, als Grenadier der SS-Division „Totenkopf“, die er nach dem Krieg beschwieg. Wohl aus Scham.
Die interessanteste Szene von Tapperts Memoiren spielt Jahrzehnte später, Mitte der neunziger Jahre, als die seit 1973 produzierte, in 102 Ländern ausgestrahlte Krimireihe „Derrick“ langsam dem Ende entgegen ging. Reinecker hatte ein Drehbuch geschrieben, in der er die Verbrechen an den bosnischen Muslimen während der jugoslawischen Zerfallskriege mit dem Holocaust verglich. Doch Tappert weigerte sich, die Folge zu drehen. „Ich sagte: Die Mordtaten und Vergewaltigungen in Bosnien sind grauenhaft, doch die während des Dritten Reichs eiskalt geplante industrielle Vernichtung der Juden steht moralisch noch tiefer. Es verbietet sich, das in ein und derselben Kategorie zu vermengen.“ Sprach da ein Täter?
Herbert Reinecker hat seine SS-Mitgliedschaft – anders als Horst Tappert und auch Günter Grass – nach 1945 nicht verschwiegen. Das hätte er auch kaum gekonnt, dafür war er zu exponiert gewesen. Die Texte des SS-Kriegsberichterstatters wurden auf der ersten Seite des „Völkischen Beobachters“ gedruckt, er schrieb am 5. April 1945 den letzten Leitartikel für das SS-Blatt „Das schwarze Korps“. Aber vom Holocaust, beteuerte er, habe er nichts gewusst, „nicht mal, dass es Gerüchte gegeben hätte“. Zeitweilig begleitete er die „Totenkopf“-Division, Tapperts Einheit. Die Division wurde von Theodor Eicke geführt, der Kommandant des KZ Dachau gewesen war. Sie beging zahlreiche Kriegsverbrechen und – darauf verweisen die Berliner Filmwissenschaftler Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen in ihrer Studie „Reineckerland“ – war auch an Selektierungsaktionen beteiligt.