Horten für den Ernstfall – einige Sachsen praktizieren das schon länger, andere erst seit dem Flüchtlingszuzug. Doch wie ist die allgemeine Stimmung im Land und was sagt die Wissenschaft? Michael Bartsch hat sich umgehört und auch die Bundesregierung nach ihren Vorkehrungen befragt.
von Michael Bartsch
Ein bisschen peinlich ist den Übervorsichtigen ihre Krisenangst schon. Deshalb möchten sie nicht mit Klarnamen oder Foto in den Medien erscheinen. Aber Hans berichtet bereitwillig, dass er Vorräte angelegt hat, die ihn und die Familie mit drei Kindern ein Vierteljahr lang überleben ließen. Im Regal stehen vor allem haltbare Konserven an Fleisch und Gemüse, Eingewecktes, Teigwaren, Reis, Mehl, Brotbackmischungen. Nur beim Wasser lässt er es auf den Ernstfall ankommen und verzichtet auf Kanister.
"Ein Gefühl, dass etwas kommen könnte"
Nicht so eine Familie in der Lausitz. "Das Wasser muss man allerdings häufig wechseln", schildert die Tochter. Auch Medikamente gehören zum angelegten Notvorrat. Anders als Hans, der erst mit dem verstärkten Flüchtlingszustrom 2015 ein neues Krisenbewusstsein entwickelt hat, bevorratet sich diese Familie aus der Pulsnitzer Gegend schon länger. Auslöser seien Gespräche im Freundes- und Kollegenkreis über die politischen Verhältnisse gewesen, auch die Auswirkungen der Weltfinanzkrise 2008. "Es ist mehr so ein Gefühl, dass etwas kommen könnte", versucht die Tochter die Vorsichtsmaßnahme zu erklären. "Irgendwann gibt es bestimmt den großen Knall, und dann ist es besser, man hat etwas da!"
Gemischte Stimmung in Dresden
Ähnlich empfinden auch zahlreiche Dresdner Bürger, wie eine Spontanumfrage vor einer Kaufhalle zeigt. Aber nur wenige gehen den praktischen und konkreten Schritt, sich über den üblichen Küchenvorrat hinaus eine Katastrophenreserve anzulegen. Ausgerechnet dort, wo man solche Übervorsicht am ehesten erwarten könnte, kommt sogar Widerspruch. Die Warnung von Tatjana Festerling, Deutschland stünde "fünf vor zwölf" am Abgrund und sein Zusammenbruch kurz bevor, scheint bei ihren Anhängern auf wenig Resonanz zu stoßen.
"Am Untergang ist etwas dran", meint ein älteres Ehepaar, "aber mehr in Bezug auf unsere Kultur und Demokratie". Panik-Bevorratung sei "Quatsch". Wenn das jemand tue, mischt sich ein Herr ein, höre er auf die Medien. Die schürten wieder einmal Ängste und machten Druck. Eine Frau mit russlanddeutschem Akzent will allerdings über entfernte Kontakte zum Bundesnachrichtendienst gehört haben, die Staatsreserve werde aufgestockt.
Staatliche Vorräte
Diesen Begriff gibt es offiziell so nicht. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung verwaltet eine "zivile Notfallreserve" an Reis, Hülsenfrüchten, Vollmilchpulver und Kondensmilch und die "Bundesreserve Getreide" in der Größenordnung von 600.000 Tonnen. An diesen Zahlen hat sich ebenso wenig etwas geändert wie an den Empfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Zwei Wochen sollte man notfalls ohne Einkauf auskommen, und auch für einen Stromausfall müssten Batterien und Kerzen im Haushalt lagern. Konkrete Hinweise und eine Checkliste finden sich auf der Homepage des Amtes.
Ganz aus der Luft gegriffen sind Gerüchte aber nicht, dass sich auch die Bundesrepublik auf die instabilere Weltlage einstellt. Auf Anfrage teilt das Bundesernährungs- und Landwirtschaftsministerium mit, "dass derzeit eine Neufassung der rechtlichen Grundlagen der Ernährungsnotfallvorsorge erarbeitet wird". Es soll dabei um Ermächtigungen gehen, regulierend in die private Ernährungswirtschaft einzugreifen, um Nahrungsmittel zu verteilen. Ebenso werde überlegt, "die Förderung von Maßnahmen zur Stärkung der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung" für Bund und Länder zu regeln, sagte ein Sprecher. Das Ernährungssicherstellungsgesetz gehört zu den 1965 erlassenen Notstandsgesetzen, das Ernährungsvorsorgegesetz wurde als Schlussfolgering aus der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1990 verabschiedet.
Vorräte-Sammler in anderen Ländern
So genanntes "Food Hoarding" ist als natürlicher Bevorratungstrieb aus dem Tierreich bekannt. Bei angstgesteuerten Menschen können solche Sicherheitsvorkehrungen allerdings auch bedenkliche Formen annehmen. Vom englischen "to be prepared" (deutsch: vorbereitet sein) leitet sich die Bewegung der "Preppers" ab. In den USA war von ihnen erstmals im Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts die Rede. Kriegs- und Krisenzeiten animierten Menschen immer wieder zur Vorsorge für alle erdenklichen Notfälle. Derzeit erstarkt die Prepper-Bewegung im Nachbarland Polen wieder in auffälliger Weise. Bürger richten sich auf Selbstversorgung und größtmögliche Autarkie ein.
Wissenschaftliche Betrachtung
An der TU Dresden hält Dozentin Ina Dietzsch, die sich auch mit Katastrophensoziologie befasst hat, solches Verhalten für legitim. "Ich sehe das nicht negativ, eher als kreative Bewältigungsstrategie und die Chance, Lebensstile zu verändern", sagt die Soziologin. Überlebenswissen sei an sich nicht schlecht, und auch die Vorstellung, nach einer Katastrophe privilegiert zu sein, nicht zu verurteilen. Allerdings ordnet sie den aktuellen Trend in die von der Germanistin Eva Horn beschriebene kulturelle Tendenz ein, "Zukunft als Katastrophe" an- und vorwegzunehmen. Man denke nur an die Lust, mit der insbesondere amerikanische Katastrophenfilme angenommene Untergänge durchspielen.