Wie korrigiert man eine Schnapsidee? Macht man eine Bieridee draus? - So ungefähr geht jetzt Leipzigs CDU-Fraktion mit einem völlig sinnfreien Antrag der AfD-Fraktion um. Die hat irgendwie so vage Erinnerungen, dass es früher mal Runde Tische in Leipzig gegeben haben muss. Waren die nicht prima zur Konfliktlösung geeignet?
Und so hatte die AfD-Fraktion beantragt: „Die Ratsversammlung beauftragt den Oberbürgermeister, einen Runden Tisch ‚Gewaltfreies Leipzig‘ unter Einbeziehung aller maßgeblichen, unterschiedlichen politischen Akteure sowie der Stadtverwaltung, des Polizeipräsidiums und des Stadtrates zeitnah einzuberufen.“
Dass die Runden Tische seinerzeit entstanden, um den demokratischen Übergang zu gestalten und auch die im Grunde arbeitsunfähige alte Ratsversammlung zu ersetzen, ist den AfD-Stadträten wohl irgendwie entfallen. Entsprechend seltsam sind ihre Vorstellungen von dem, was der von ihnen gewünschte Runde Tisch eigentlich bewirken soll: „Das vergangene Jahr 2015 war von einer nie dagewesenen Eskalation politisch motivierter Gewalt in unserer Stadt gekennzeichnet. Es droht die Gefahr der Entwicklung einer Gewaltspirale durch Extremisten der verschiedenen politischen Ausrichtungen. Die AfD-Stadtratsfraktion sieht sich in Übereinstimmung mit der Leipziger Bürgerschaft, dies nicht länger hinzunehmen und sieht in der Einberufung eines Runden Tisches eine Möglichkeit, die derzeit krisenhafte Situation in Leipzig zu überwinden.“
Wahrscheinlich würden nur wenige Politiker außerhalb der AfD auf die Idee kommen, die Situation Leipzigs derzeit als krisenhaft zu beschreiben. Und ob nun ausgerechnet die AfD sich „in Übereinstimmung mit der Leipziger Bürgerschaft“ befindet, bezweifeln wir hier einfach mal. Bestenfalls wird sie sich mit jenen Bürgern in Übereinstimmung befinden, die sie gewählt haben. Mehr nicht.
Und eine „Gewaltspirale durch Extremisten“ und eine „nie dagewesene Eskalation“ kann auch nur beobachten, wer nur die einschlägigen alarmistischen Medien konsumiert und keine Erinnerung an frühere Ereignisse dieser Art hat.
Nur bei der CDU sieht man das irgendwie ähnlich. Auch wenn man eigentlich schon länger in den einschlägigen Gremien mitarbeitet und weiß, dass die Stadt Leipzig eigentlich gar nicht viel machen kann, wenn Radikale und Randalierer sich auf Leipzigs Straßen austoben. Was ja 2015 nicht zum ersten Mal passiert ist. Auch das scheint man bei der AfD vergessen zu haben. Bei einigen radikalpolitischen Akteuren und Hooligans ist Leipzig ein beliebtes Reiseziel, wenn sie glauben, hier mit Gewaltaktionen Werbung für ihre Art Weltsicht machen zu müssen.
Aber dass es der AfD um etwas anders geht, lässt sie im letzten Satz des Antrags gucken: „Bei diesen Zusammenkünften sind im Sinne von Demokratie und Toleranz gegenteilige Meinungen vorbehaltsfrei zu diskutieren, um damit die Grundlage für eine Verständigung zu erreichen.“
Sie wünscht sich also ein weiteres Forum, auf dem sie selbst – „vorbehaltsfrei“ – ihre Ansicht von der Welt ausbreiten kann.
Aber mal so gesagt: Wer das Wort Extremisten in so einem Antrag benutzt, hat schon gezeigt, dass er Vorurteile und Vorbehalte hat. Das kann keine sachliche Diskussion ergeben.
Die CDU-Fraktion freilich hinterfragt den Sinn dieses Antrags gar nicht erst, obwohl sie weiß, dass es längst ein Gremium gibt, in dem die gewalttätigen Vorfälle in Leipzig immer wieder Thema sind und wo sich Stadt und Polizei darüber verständigen, was man eigentlich gemeinsam tun kann, um Konfliktpotenziale zu entschärfen und gegen Gewaltausbrüche vorzubeugen.
Deswegen beantragt die CDU-Fraktion: „Der Kommunale Präventionsrat Leipzig wird beauftragt, die jüngsten Gewaltereignisse aufzuarbeiten und wirksame Strategien zur Eindämmung und Verhinderung einer Zunahme politisch und extremistisch motivierter Gewalt in unserer Stadt zu entwickeln.“
Und sie stellt dazu fest: „Der Handlungsbedarf zur Abwehr und Eindämmung politisch/extremistisch motivierter Gewalt ist zweifellos vorhanden. – Allerdings bedarf es dafür keines zusätzlichen politischen Forums oder Runden Tisches, da mit dem Kommunalen Präventionsrat Leipzig bereits eine geeignete und kompetent besetzte Einrichtung vorhanden ist.“
Eigentlich heißt das Gremium ja Kriminalpräventiver Rat, den Leipzig nach dem Vorbild anderer Städte gegründet hat. Denn wenn auch AfD und CDU einmal über den Tellerrand des Leipziger Allerlei hinausschauen, werden sie mitkriegen, dass im Grunde alle Großstädte unter den Gewaltexzessen diverser politischer Außenseiter und Hooligans leiden. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Alle stehen dem Problem immer wieder dann machtlos gegenüber, wenn die staatlichen Warninstanzen versagt haben (und in Leipzig wurde es ja aktenkundig, wie schwammig und nichtssagend die Warnungen des Verfassungsschutzes waren) und die Polizei von solchen Gewaltausbrüchen überrascht oder überfordert war. Auch das kein rein Leipziger Problem. Gerade die rechtsradikalen Gewaltausbrüche im letzten Jahr haben ja gezeigt, dass die Polizei auch in den ländlichen Regionen Sachsens völlig überfordert war.
Wer über die zunehmende Aggression der Gegenwart redet, muss aber auch die zunehmende verbale Aggression in sozialen Netzwerken und im politischen Alltag zur Kenntnis nehmen.
Das Falscheste am Ansatz der AfD ist nun einmal, dass sie glaubt, die Gewaltphänomene punktuell in Leipzig angehen und lösen zu können. Zur Lösung gehört eindeutig auch eine bessere Ausstattung der Polizei und ein anderer politischer Dialog. Wer sich nur auf die Straßenrandalierer beschränkt, blendet aus, dass die Randale verbal im politischen Raum begonnen hat.
Und das führt zu einem weiteren Denkfehler beim Thema „Runder Tisch“: Denn wenn man das Problem wirklich gemeinsam lösen will, dann würden der Logik nach auch die Anderen, die Vertreter der Randalierer auf der Straße mit an den Tisch gehören. Denn nur wenn sie eingebunden sind in die Lösung, werden sie auch mitmachen. Was natürlich fraglich ist: Würden die einer solchen Einladung überhaupt folgen? Wahrscheinlich nicht. So aber würde es wieder nur eine Runde sein, in der die besorgten Politiker und Verantwortlichen über ein Phänomen reden, das am Tisch gar nicht vertreten ist.
Weil das so ist, wird sich wahrscheinlich auch nichts ändern.