Neustädter Fassaden werden vermehrt zur Plattform für politische Botschaften. Woran liegt das?
Linksmotivierte Statements aus der Sprühdose stehen in der Neustadt seit Kurzem wieder häufiger auf der Tagesordnung: An etlichen Fassaden, gerade um die Böhmische Straße herum, sind Schriftzüge wie „Bullen raus“, „Antifa Area“, „Yuppies verpisst euch“ oder „Mieten runter“ zu lesen. Es wird gegen moderne Architektur, Kommerz und Neurreiche geschimpft. Und die Sprühangriffe haben System: In einem in der Szene bekannten linksextremen Blog bekennen sich die Täter anonym dazu und rufen auch andere mit deutlichen Worten auf, Neustädter Wohnhäuser zu beschmieren.
„Wir haben vor einigen Wochen damit angefangen – aktiver denn je - eure langweiligen Fassaden zu verschönern. Uns gefällt es nicht, wie hier immer neue graue Betonklötze für Yuppie-Heime hochgezogen werden“, heißt es von einem Nutzer, der sich „architekturkritische Zelle“ nennt. „Wir rufen alle emanzipatorischen Geister auf, sich an aktiver Kiezabwertung zu beteiligen.“ Dabei schrecken die Unbekannten auch nicht vor drastischen Forderungen, wie auf die Straße spucken, Hundekot liegen lassen oder Mülltonnen anzünden, zurück. „Unsere Straßen bleiben dreckig, unsere Wände bleiben bunt, unsere Kieze bleiben unbequem!“, heißt es weiter.
Welche Gebäude die unbekannten Sprüher besonders verärgern, wird in dem Beitrag ebenfalls explizit gesagt: „Antonstraße 12, Simmel, Hof Quartier Neustadt (ehem. Lustgarten), Headquarter (Bautznerstraße/Holzhofgasse) wurden markiert. Böhmische Straße 7 wehrt sich bisher noch gegen dauerhafte Markierungen. Hechtstraße 17 wurde markiert und mit Steinen angegriffen.“ Doch was motiviert die Täter eigentlich? Und warum stehen solche Sprüche gerade jetzt an etlichen Wänden?
Joachim Scharloth, Professor der Sprachwissenschaft an der Technischen Universität Dresden, kennt das Phänomen gut. Er forscht schon seit einigen Jahren zur Sprache der Politik sowie sozialer Banden. „Gerade in einem Szeneviertel ist es häufig so, dass öffentliche Räume mit Parolen besetzt werden“, erklärt der Wissenschaftler. „Damit sollen auch diejenigen ferngehalten werden, die im Verdacht stehen, nicht hierein zu passen.“ Durch das gemeinsame Prägen des Stadtbilds entstehe ein Gemeinschaftsgefühl. Diese Strategie gegen Gentrifizierung – Abwanderung ärmerer und Zuwanderung wohlhabenderer Menschen in einem Gebiet – sei auch für die Neustadt immer ein Thema gewesen. Allerdings hat sich in dem Viertel in den vergangenen Jahren so einiges getan:
Heruntergekommene Häuser wurden im großen Stil saniert, moderne Neubauten sind entstanden. Dadurch habe sich das Problem noch verschärft und sei stärker politisch beziehungsweise linksmotiviert geworden, urteilt der Professor. Dass die Täter sich hinter ihrer Anonymität verstecken, sei vollkommen klar. Denn mit Sätzen wie „Yuppies jagen“ wird Gewalt angedroht – ganz klar eine Straftat.
Polizei wird nicht verstärkt aktiv
Auf SZ-Anfrage bestätigt die Polizei, dass ihnen der Beitrag der „architekturkritischen Zelle“ bekannt sei. „Wir sehen einen Zusammenhang mit den Graffiti, haben jedoch selbst kein Interesse, diesem Aufruf noch eine Bühne zu geben und damit noch weiter zu verbreiten“, sagt Pressesprecher Thomas Geithner. „Bei Graffiti handelt es sich um Massendelikte. Derartige Taten ereignen sich im gesamten Stadtgebiet.“ Die im Blog genannten Adressen seien keine Schwerpunkte. „Es ist zumindest kein Muster erkennbar, aus welchem sich erfolgversprechende Einsatzmaßnahmen ableiten ließen“, so Geithner. Deshalb werden die Beamten nicht vermehrt Streife laufen.