NSU-Ausschuss vermisst hunderte Seiten von Ermittlungsakten

Erstveröffentlicht: 
02.06.2016

In Thüringen sind offenbar erneut wichtige NSU-Unterlagen dem Untersuchungsausschuss des Landtages vorenthalten worden. Dabei geht es um hunderte Seiten von Einsatzprotokollen. Diese waren ab dem 5. November 2011 zu den Ermittlungen um den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt angefertigt worden. Verfasst wurden sie von Beamten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss wollte diese Akten aus Baden-Württemberg haben. Bisher wurde das von dort mit dem Verweis auf die NSU-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft verweigert.

 

Am Donnerstag sagte eine LKA-Beamtin aus Stuttgart im Thüringer Landtag aus, dass sie auf Anforderung der Thüringer Polizei diese Protokolle 2014 oder 2015 nach Thüringen geschickt habe. Noch Anfang dieses Jahres teilte aber das Thüringer Innenministerium dem Ausschuss mit, dass alle Akten, die in Thüringen zu den Eisenacher Ermittlungen vorhanden sind, dem NSU-Ausschuss übergeben worden sind.

Ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums sagte auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, es werde derzeit geprüft, ob die Protokolle aus Baden-Württemberg in Thüringen vorliegen, und ob sie an den Ausschuss übermittelt worden sind. Die Obfrau der Linken, Katharina König, sagte MDR THÜRINGEN, dass diese Akten dem Ausschuss bisher definitiv nicht vorliegen. 

 

Verstrickung des Verfassungsschutzes frühzeitig bekannt


Die Beamten des LKA Baden-Württemberg waren am 5. November 2011 nach Gotha zur dortigen Polizei gefahren. Hintergrund war der Fund der Waffen der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michelé Kiesewetter und ihres angeschossenen Kollegen. In den Tagen in Gotha fertigten sie hunderte Seiten von Protokollen über alle Ermittlungsschritte an. Darunter auch Protokolle über alle Einsatzbesprechungen.

 

In diesen Akten sollen sich laut Aussage der Beamten auch Hinweise auf die Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Suche nach dem Jenaer Trio ab 1998 befinden. Denn in der ersten Lagebesprechung am Freitag, 5. November 2011, hatte ein Thüringer LKA-Zielfahnder allen anwesenden Beamten in Gotha darüber berichtet. Er gab an, dass er 2002 die Suche nach dem Trio abbrechen musste, weil mindestens Beate Zschäpe vom Verfassungsschutz "gedeckt" worden war. Er habe damals 2002 die Anweisung erhalten, die Suche nach dem Trio abzubrechen. Damit hatte die Gothaer Polizei bereits einen Tag nach dem Fund der Leichen von Böhnhardt und Mundlos konkrete Hinweis auf eine Verfassungsschutz-Verstrickung in den Fall. 

 

Widerspruch zwischen Protokollen des LKA


Unklar ist bisher, was die Polizei Gotha mit diesen Informationen gemacht hatte. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN finden sich in den Thüringer Akten der Soko "Capron", die den Fall Eisenach zwischen dem 4. und 12. November 2011 untersucht hatte, keine Hinwiese auf die Aussagen des Zielfahnders. Abgeordnete des NSU-Untersuchungsausschuss stellen sich nun die Frage, warum sie in den Baden-Württemberger Protokollen, aber nicht in den Thüringern, vermerkt waren.

 

Unklarheiten tauchten zur Ausschusssitzung am Donnerstag auch in Bezug zu anderen Akten auf. So berichtete eine Beamtin des LKA Baden-Württemberg, dass sie am 5. November 2011 bereits zwei Dokumente zu Neonazi-Ermittlungen des Thüringer LKA von 1998 gesehen habe. Auf den zwei Seiten seien die Namen von Jenaer Rechtsextremisten vermerkt gewesen, die damals mit dem Trio Ende der Neunziger Jahre Kontakt hatten. Der Untersuchungsausschuss stellt nun die Frage, wie die Dokumente zu diesem Zeitpunkt in die Polizeidirektion Gotha gelangen konnten. Denn sie waren Teil der 24 Ermittlungsbände des Thüringer LKA zur Suche nach dem Trio ab 1998 und wurden erst in der Woche nach dem 5. November 2011 im LKA gefunden. 

 

Zwei Versionen zu Waffenfund von Kiesewetter


Widersprüchlich sind seit Donnerstag auch die Aussagen zum Auffinden der Waffen von Kiesewetter und ihrem Kollegen Martin A. in dem ausgebrannten Wohnmobil am 4. November 2011 in Eisenach. Der Gothaer Polizeidirektor Michael Menzel und andere Beamte aus Thüringen hatten ausgesagt, dass erst die Waffe des Kiesewetter-Kollegen Martin A. gefunden und anhand der Waffennummer identifiziert wurde. Erst danach fanden sie die Waffe von Kiesewetter selber. Die Beamten des LKA Baden-Württemberg sagten heute aus, dass es genau umgedreht gewesen war. Das sei auch in den Protokollen vermerkt, die dem NSU-Ausschuss in Thüringen bisher offenbar vorenthalten worden sind.