Nimmt Gewalt von links zu? Ja sagt 20 Minuten, Nein sagt der NDB
Von Philipp Dahm, Redaktor
Wer am 24. Mai ein «20 Minuten» in die Finger bekommen hat, dem muss angst und bange werden. «Linksextreme werden zunehmend brutaler», warnt die Titelseite. Der Anlass: die schweren Ausschreitungen am vergangenen Samstag in Bern, bei denen elf Polizisten verletzt worden sind.
In dem dazugehörigen Artikel bescheinigt Experte Samuel Althof Linksextremen ein «zunehmend brutales und organisiertes Vorgehen». Sie «bewaffnen sich stärker, das kann vom Pflasterstein bis hin zum Revolver gehen». Ein zusätzlicher Artikel im Blatt ist mit «Eine neue Dimension der Gewalt» überschrieben. Darin werden weitere schwere Taten von links aufgezählt:
- Angriff auf einen SVP-Politiker auf offener Strasse in Zürich
- Acht verletzte Polizisten nach Krawallen in Zürich
- Verletzung eines Polizisten und einer Demonstrantin in Winterthur
- Ein Angriff auf Polizisten in Zürich, bei dem «gezielt brennendes Feuerwerk» gegen die Beamten eingesetzt wurde
- Weitere Krawalle in Bern, bei denen elf Polizisten verletzt wurden
Das liest sich wirklich schlecht und dem unbedarften Leser werden sich viele Fragen stellen. Sind wir in der Schweiz noch sicher?
Wie es wirklich war
- Fall 1: Der Angriff auf SVP-Mann Hans Fehr ist inzwischen fünf Jahre her.
- Fall 2: Auch aus dem Jahr 2011 datieren die Krawalle nach der Auflösung einer illegalen Party am Zürcher Bellevue.
- Fall 3: Der Fall aus Winterthur ist allerdings schon etwas länger her. Es handelt sich um die Ausschreitungen im Rahmen der «Tanz dich frei»-Veranstaltung im Jahr 2013. Die erwähnte Verletzung der Demonstrantin hatte zu internen Ermittlungen der Polizei geführt. Wie bei der illegalen Party am Bellevue ist fraglich, ob die beteiligten Personen samt und sonders dem linksextremen Lager zuzuordnen sind.
- Fall 4 ereignete sich im Dezember 2014, als bei einem «Saubannerzug» Chaoten sieben Polizisten verletzten. Das «gezielt brennende Feuerwerk» waren Petarden. Nichtbrennendes Feuerwerk einzusetzen, wäre allerdings selbst für Chaoten ziemlich sinnlos gewesen.
- Fall 5 aus Bern ist der aktuellste in der Aufzählung. Anfang März 2016 hatten sich Gewalttäter vom Kulturzentrum Reitschule aus durch die Stadt geprügelt.
Wenn einer im Lager der Extremisten die Lage einschätzen können muss, ist es das Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport. In seinem letzten Bericht zu dem Thema schrieb das VBS:
«Das Gewaltpotenzial sowohl der rechts- wie der linksextremen Szene bleibt bestehen. Trotzdem ist die Lage derzeit weitgehend entspannt.»
Weiter heisst es da: «Hinweise auf eine [Verschärfung der Lage] bestehen in der Schweiz zwar derzeit nicht, wohl aber in andern Ländern Europas.» Nicht zuletzt weist der Sicherheitsbericht aus, dass die Zahl linksextremer Straf- wie auch Gewalttaten seit Jahren rückläufig sind. Dagegen gibt es mehr rechtsextreme Gewaltakte – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau.
Alles in allem hinterlassen die «20 Minuten»-Artikel den Eindruck, als sollten hier die Pferde scheu gemacht gemacht werden. Und dann wird Samuel Althof hinzugezogen. Ausgerechnet der Basler Psychologe, der als Experte für Rechtsextremismus gilt. Ob der wohl gewusst hat, vor welchen politischen Karren er hier gespannt worden ist?
Nachtrag
Klar dürfte sein, dass Extremismus immer Eselei ist. Um im Bild zu bleiben: Rechts- wie Linksextreme können den Karren in den Dreck fahren, den andere dann herausziehen müssen. Und Gewalt hilft da nicht, gegen keinen. Am Ende stehen im Jahr 2015 mit Blick auf die Statistik einfach 127 Ereignisse zu viel zu Buche.