Erneut ist eine Ermittlerin von der linken Szene enttarnt worden – wie schon zwei vor ihr. Professor Rafael Behr, Ausbilder an der Polizei-Akademie, kritisiert die Einsätze als "höchst problematisch"
Sie sagte, sie habe einen Dackel namens "Spike"; das stimmte. Sie sagte, ihre Oma züchte diese Hunde in Niedersachsen; das stimmte. Und sie sagte, dass sie Italien liebe und ihr Freund Italiener sei, das stimmte auch. Aber sonst war nichts richtig an Astrid Schütt, die von 2006 an in linken Cafés, Gruppen und schließlich im autonomen Kulturzentrum Rote Flora in Hamburg auftauchte, um "mitzumachen" wie sie sagte. Die Frau mit den Dreadlocks und dem Piercing im Ohr war aber nicht an der Arbeit in "Anti-Repressions- oder Antifagruppen" interessiert, wie sie vorgab.
Sie gründete zwar eine eigene politische Antifa-Gruppe namens "Nella Faccia", doch auch die diente nur einem Zweck: Schütt, die in Wahrheit einen anderen Nachnamen trägt, wollte ihre neuen Bekannten ausforschen. Sie wollte wissen, was sie treiben, ob sie sich tatsächlich nur für Gender-Diskussionen und Faschismus-Bekämpfung interessieren, oder nicht auch für Brandsätze und Anschläge. Die Frau mit dem Dackel ist eine Polizistin gewesen, und hat als Verdeckte Ermittlerin von 2009 bis 2013 die Rote Flora ausspioniert – wohl als "Beobachterin für Lagebeurteilung". Nun wurde sie von den Floristen selbst enttarnt, die ihre Biografie recherchierten und im Internet veröffentlichten.
Schütt ist schon die dritte Polizistin, die im Nachhinein als Verdeckte Ermittlerin in der Roten Flora aufgeflogen ist. Die wiederholte Enttarnung löst nun auch heftige Kritik aus: Polizeiausbilder sehen eine Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern in der linken Szene, Verbandsoberste machen gar konkrete Fehler in der Polizeiführung aus.
Es scheint ein krimineller Brennpunkt zu sein, das einst abgeranzte und mittlerweile sanierte Haus an der Partymeile Schulterblatt im Schanzenviertel. Denn der Einsatz von Verdeckten Ermittlern (VE) nach dem Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei von 1991 ist an die Zustimmung der Staatsanwaltschaft geknüpft und birgt für die Beamten ein gewisses Risiko. Aber haben sich in der Roten Flora, die von der Stadt Hamburg für 820.000 Euro Steuergeld gekauft wurde, Strukturen der organisierten Kriminalität festgesetzt? Oder lassen sich deutliche Spuren finden, die auf politisch motivierte Gewalttäter hindeuten könnten und die einen solch gravierenden Einsatz wie den eines VE rechtfertigten?
Die Fragen sind schwer zu beantworten, die Faktenlage ist dünn. Experten üben jedenfalls Kritik an der Praxis des LKA, unerfahrene Beamtinnen zum Ausschnüffeln der Roten Flora zu schicken. "Aus führungsethischer Sicht ist es problematisch, dass eine Beamtin mit einer kompletten Legende ausgestattet wird, um dieses Milieu auszuspionieren", sagt Professor Rafael Behr, der an der Polizei-Akademie Hamburg lehrt und dort den Nachwuchs ausbildet. Der Soziologe und Kriminologe Behr war von 1975 bis 1990 selbst Beamter der hessischen Bereitschaftspolizei und forscht zum Thema Polizeigewalt, Selbstverständnis der Beamten und Organisationskultur der Polizei.
Er hält das Vorgehen des LKA für fragwürdig: "Wir reden bei der Roten Flora ja nicht über eine Mafia-ähnliche Organisation oder einen fremden Geheimdienst, sondern von Menschen, die einen alternativen Lebensentwurf und nachvollziehbare Interessen haben. Mir wird schwummrig, wenn ich mir vorstelle, dass dort mindestens drei Beamtinnen mit erheblichem Aufwand eingesetzt worden sind, nur um linke Strukturen mit geheimdienstähnlichen Methoden aufzuklären", so Behr zur "Welt am Sonntag". Das sei "aus rechtsstaatlicher Sicht höchst problematisch".
Auch der Landesvorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, sieht Fehler bei der Polizeiführung. "Eine weitere, nachträgliche Enttarnung einer im Milieu der Roten Flora verdeckt eingesetzten Polizeibeamtin zeigt wieder einmal, wie unprofessionell und fahrlässig mit dem wichtigen Ermittlungsinstrument der Verdeckten Ermittlung in Hamburg umgegangen wurde", so Reinecke. "Schwerwiegende Fehler in der Auswahl, der Führung und Anschlussverwendung der Beamten" gefährdeten nicht nur deren Auftrag, sondern auch deren Leben und das Wohl ihrer Angehörigen, so Reinecke. "Extrem fahrlässig war es insbesondere, wie im Fall Maria B. geschehen, eine Beamtin zu rekrutieren, die zuvor in Polizeiuniform von Zeitungen interviewt worden war." Nicht auszudenken wären die Folgen, wenn die VE unter solchen Bedingungen gegen Rockergruppen wie die Hells Angels oder Mafiabanden, wie der Camorra oder Russischer OK eingesetzt worden wären, so Reinecke.
Die Staatsanwaltschaft bekommt von der Polizei nur spärliche Informationen über einen VE-Einsatz. "Wir prüfen nur, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Einsatz gegeben sind", sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Nach Informationen der "Welt am Sonntag" weiß die Behörde aber nicht einmal, wie der Ermittler heißt. Und diese Praxis geht bisweilen schief. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat erst im vergangenen Herbst einen ähnlichen Einsatz eines Verdeckten Ermittlers, der linke Strukturen in Heidelberg aufklären sollte, für komplett rechtswidrig erklärt. Es fehle an der "hinreichenden Bestimmtheit hinsichtlich des eingesetzten Mittels", aber auch "an konkreten Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg", so das Gericht. Das Land ging nach dieser klaren Ansage nicht einmal mehr in Berufung.
Ein vager Verdacht reicht also nicht aus, wenn man einen Tarn-Cop einsetzen will. BDK-Mann Reinecke will daher auch Gerichte an der Entscheidung beteiligen. "Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit hat beim Einsatz von verdeckten Ermittlern aus rechtsstaatlicher Sicht höchste Priorität und sollte stets einem Gericht überlassen werden." Denn wie heikel der Einsatz tatsächlich verlaufen kann, zeigen die drei jetzt bekannten Hamburger Fälle. "Iris Schneider" wurde im November 2014 enttarnt, sie war sogar im Freien Sender Kombinat aktiv, einer Redaktion, die eigentlich unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht, und ermittelte zeitweise für die Bundesanwaltschaft. Im vergangenen Jahr flog "Maria Block" auf, die mutmaßliche Nachfolgerin von Schneider. Und jetzt eben "Astrid Schütt" Alle drei Frauen wurden schon während ihres Einsatzes mit dem Verdacht konfrontiert, verdeckt ermittelnde Polizistinnen zu sein, konnten diesen aber immer erfolgreich zerstreuen.
Aber warum trifft es immer Hamburg, warum stets die linke Szene? Polizei-Experte Behr sieht darin ein Muster. "Die Einschleusung von Polizisten in die linke Szene hat in Hamburg eine gewisse Tradition. Sie sind aus meiner Sicht eine Reaktion auf die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen der linken Szene und der Polizei", so der Professor. "Die Hamburger Polizei hat den Ruf, martialisch und offensiv, aber berechenbar aufzutreten. Es fehlt jedoch eine offene Kommunikation. So lässt sich erklären, warum Verdeckte Ermittlerinnen in der Flora so massiv eingesetzt wurden."
Dazu würden biografische Elemente der Frauen, die eher ungewöhnliche Lebensläufe aufweisen, von der Polizeiführung für die Legendenbildung benutzt, um sie einfacher an die Szene heranzuführen. "Das stellt diese junge Polizisten auch vor moralische Probleme; sie müssen sich schließlich das Vertrauen von Leuten erschleichen, die in der Regel keine schweren Straftäter sind. Und da die Einsätze offenkundig nicht perfekt geplant wurden, konnten sie auch noch enttarnt und ihre Biografien veröffentlicht werden – das setzt sie einer erneuten Belastung aus."
Auch in der FDP-Fraktion stößt der Polizeieinsatz auf Kritik. "Hier überschneiden sich geheimdienstliche Tätigkeit und polizeiliche Ermittlung. Das geht gar nicht", sagt der innenpolitische Sprecher, Carl Jarchow. "Niemand kann erklären, warum die Organisierte Kriminalität in Hamburg in Ruhe operiert lässt, während man ein linksautonomes Zentrum ausspioniert wie eine Mafia-Gruppe. Dieser Einsatz erscheint unverhältnismäßig."
Astrid Schütt arbeitet schon seit Jahren wieder im Polizeipräsidium in Hamburg. Die Internetseite der Gruppe "Nella Faccia", die sie einst gründete, gibt es jedenfalls auf dem Papier noch. Ihr Facebook-Profil, das auf ihren richtigen Namen lautet, ist aktiv, auch wenn seit einem Jahr keine neuen Nachrichten eingestellt wurden. Auf den meisten Fotos ist "Spike" zu sehen, der kleine Rauhaardackel. Auf einem Bild hat sie ihn mit einer Weihnachtsmütze und einem roten Mantel verleidet. "Bitte liken!", bittet sie.