Schon im vergangenen Jahr waren viele Menschen in Thüringen geschockt, wie viele Rechtsextreme sich im Mai in Hildburghausen versammelt hatten, um ein Neonazi-Konzert zu besuchen. Nun, ziemlich genau ein Jahr später, ist der Schock blankem Entsetzen gewichen.
Hildburghausen/Erfurt. Weil zu dem jüngsten Rechtsrock-Konzert am Samstag in der kleinen Stadt in Südthüringen mehr als doppelt so viele Rechte gekommen sind wie im Schockjahr 2015. Neben der Polizei und dem Verfassungsschutz muss sich deshalb auch die zuständige Versammlungsbehörde scharfe Kritik gefallen lassen.
Waren 2015 nach Schätzungen der Polizei etwa 1500 Rechtsextreme aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus mehreren europäischen Ländern zu einem Hass-Konzert nachHildburghausen gekommen, schätzt die Polizei die Zahl der Konzert-Besucher – wie berichtet – in diesem Jahr auf etwa 3500. Maßgeblich organisiert hatte das Konzert einer der umtriebigsten Rechtsextremen Thüringens: der Südthüringer Tommy Frenck, der nicht weit von Hildburghausen entfernt einen Gasthof betreibt.
Das Entsetzen ist nun einerseits deshalb so groß, weil sich Hildburghausen mit diesem Konzert als einer der zentralen Festivalorte der rechten Szene im gesamten Bundesgebiet etabliert hat. „Das, was da geschehen ist, fällt in eine Größenordnung, die haben wir inDeutschland nicht so häufig“, sagt Stefan Heerdegen, der als Berater bei der MobilenBeratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextremismus (Mobit) arbeitet. Von der Bedeutung für die Szene aus gesehen seien die Musik-Shows in Südthüringen inzwischen vergleichbar mit den „Rock für Deutschland“-Konzerten, die in der Vergangenheit regelmäßig in Gera stattfanden. Das jüngste Konzert in Hildburghausen sei deshalb nicht zufällig das größte im Freistaat seit „Rock für Deutschland“ im Jahr 2009 mit damals etwa 4000 bis 5000 Besuchern gewesen.
Neonazis aus den Ausland angereist
Andererseits ist das Entsetzen nun so groß, weil mit 3500 Männern und Frauen weit mehr Rechtsextreme nach Hildburghausen gekommen sind, als die Behörden im Freistaat, aber auch Heerdegen erwartet hatten – und das, nachdem es genau diese dramatische Unterschätzung schon 2015 gegeben hatte. Der Sprecher der Landespolizeiinspektion (LPI) Suhl, Fred Jäger, sagt, für die Veranstaltung seien 1300 Teilnehmer angemeldet gewesen.Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres habe die Polizei mit 1500 bis 2000 Konzertbesuchern gerechnet. „Dass es nun so viele waren, war nicht absehbar“, sagt er. Auch aus den Recherchen der Staatsschutz-Beamten der LPI Suhl im Vorfeld des Konzerts habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass sich so viele Neonazis aus der gesamten Republik sowie unter anderem aus Frankreich, Polen und Österreich auf den Weg in den Süden Thüringens machen würden – und das, obwohl die von den Behörden verhängten Auflagen für das Konzert noch strenger waren als 2015.
Heerdegen sagt, sicher hätten auch die äußeren Umstände die Veranstaltern um Frenckbegünstigt: unter anderem gutes Wetter und „ein – das muss man leider so sagen – professioneller Veranstalter“. Die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König schätzt, dass Frenck am Wochenende mit dem Konzert und kleineren Begleitveranstaltungen mindestens 100.000 Euro Umsatz „durch und für die Neonazi-Szene“ gemacht hat.Und weil sich auch die Behörden bei der Zahl der Konzertbesucher wieder geirrt haben, sehen nun vor allem sie sich scharfer Kritik ausgesetzt. Die Polizei trifft solche Kritik, weil sie nur mit etwa 350 Beamten in Hildburghausen präsent war – eigentlich viel zu wenige für rechtsextreme Konzerte mit einer solchen Besucherzahl, was selbst Jäger einräumt. Nach polizeilichen Richtwerten sei für so eine Veranstaltung eigentlich eine vierstellige Anzahl von Polizisten zur Absicherung nötig, sagt er. „Aber so viele freie Polizisten gibt es in ganz Thüringen nicht.“
Gleichzeitig schränkt er allerdings ein, so wie das Konzert nach den Erkenntnissen der Polizei gelaufen sei, hätten die eingesetzten Beamten völlig ausgereicht, um die Lage zu kontrollieren. „Wenn wir am frühen Abend den Eindruck gehabt hätten, dass sich da was zusammenbraut, dann hätten wir weitere Kräfte angefordert.“ Befeuert wird solche Kritik an der Einsatztaktik der Polizei dadurch, dass die Thüringer Sicherheitskräfte nur zwei Tage vor dem Konzert in Hildburghausen zwei Wasserwerfer und einen Räumpanzer in Nordthüringen aufgefahren hatte, als Mitglieder der linken Antifa durch das Heimatdorf von Thüringens AfD-Vorsitzenden Björn Höcke gezogen waren – und zwar etwa 200 von ihnen. „Natürlich hätten auch wir uns mehr Kräfte gewünscht“, sagt Jäger. Aber es gebe eben nicht unendlich viele Polizisten in Thüringen und Deutschland.
Den Verfassungsschutz trifft Kritik – unter anderem von der Thüringer Linke-VorsitzendenSusanne Hennig-Wellsow –, weil auch dem Inlandsnachrichtendienst vorgeworfen wird, den großen Zulauf zu dem Konzert nicht kommen gesehen zu haben. Ein Vorwurf allerdings, den das Thüringer Innenministerium zurückweist: „Im konkreten Fall belief sich die letzte Prognose des Verfassungsschutzes vom 4. Mai auf circa 3000 Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. „Insofern ging mit der Zahl der dann tatsächlich angereisten Teilnehmer das Sicherheitskonzept auch auf.“ Kritik am Einsatz der Polizei „oder einer angeblichen Ahnungslosigkeit des Amtes für Verfassungsschutz geht daher fehl und ist aus Sicht des Innenministeriums auch nicht nachvollziehbar“.
Kritik am Kreis weist der Landrat zurück
Noch mehr als Polizei und Verfassungsschutz muss allerdings nun die Versammlungsbehörde des Landkreises Hildburghausen für ihre Entscheidung rechtfertigen. Seit Jahren beklagen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, die Behörde von Landrat Thomas Müller (CDU) mache es Neonazis zu leicht, Veranstaltungen im Landkreis abzuhalten – und sei deshalb mit Schuld daran, dassHildburghausen nun ein Zentrum bundesweit ausstrahlender Neonazi-Konzerte ist. „Da ist schon was Wahres dran“, sagt etwa Heerdegen. Außerdem, so wird seit Jahren moniert, setze sich Müller persönlich nicht entschieden genug gegen braunes Gedankengut ein. „In anderen Kommunen stellen sich Oberbürgermeister ganz vorne mit ans Transparent und protestiert gegen Rechtsextremismus“, sagt Heerdegen. Nicht nur in Jena zum Beispiel gebe es einen demokratischen Konsens, dass man sich parteiübergreifend gegen Rechtsextremismus stelle müsse – und dass ein Engagement gegen rechts nicht unbedingt mit einer linken politischen Meinung gleichzusetzen sei. Das fehle in Hildburghausenoffenbar.
„Wenn ich mich gegen rechts richte, bin ich doch nicht gleich links, da stehe ich auf dem Boden des Grundgesetzes“, sagt Heerdegen.Müller lässt solche Vorwürfe zurückweisen. Wieder mal. Es habe keine verlässliche Erkenntnisse darüber gegeben, wie hoch die Zahl Konzertbesucher werden würde, sagt eine Sprecherin des Landrates. „Und selbstverständlich gibt es grundsätzlich keine Einschränkung der Teilnehmerzahlen.“ Die Versammlung sei öffentlich gewesen, „das heißt, dass jeder interessierte Mensch daran teilnehmen darf“. Auch verwaltungsrechtlich habe die Behörde alles getan, was rechtlich möglich gewesen sei, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. „Versammlungen müssen nach geltendem Recht nur angezeigt werden und sind Kraft Gesetz bereits genehmigt“, sagt die Sprecherin. Die von der Behörde für das Konzert verhängten Auflagen – unter anderem: absolutes Alkoholverbot – seien streng gewesen und seien erst durch das VerwaltungsgerichtMeiningen gelockert worden.
Als einer der wenigen in Thüringen will Müller deshalb auch nicht wirklich erkennen, dassHildburghausen ein zentraler Ort für Neonazi-Konzerte geworden ist. Antwort seiner Sprecherin auf eine entsprechende Frage: „Im Landkreis Hildburghausen gibt es eine Person, die politisch-rechts motiviert, mit Unterstützung eines aus Bayern stammenden Glaubensgenossen, Versammlungen durchführt. Würden diese Personen in einem anderen Landkreis wohnen, gäbe es diese Versammlungen an anderer Stelle.“
Zur Sache: Unzufriedene „Kameraden“
Obwohl die rechtsextreme Szene das neuerliche Hass-Konzert in Hildburghausen im Wesentlichen als Erfolg feiert, gibt es doch auch einige Neonazis, die sich nach Recherchen von linken Gruppen unzufrieden mit ihren „Kameraden“ zeigen. Grund: Im Zusammenhang mit dem Konzert hätten sich viele Rechtsextreme nicht so ordentlich verhalten, wie das von ihnen zu erwarten sei. So schreibt beispielsweise den Angaben nach ein Rechtsextremer bei Facebook, viele Konzertbesucher hätten „ein Bild der Niedertracht der Szene geliefert“: „zerdroschene Bierflaschen, unaufgeräumter, einfach liegen gelassener Müll und sichtlich sowie hörbar angetrunkene, selbsternannte Kameraden“. So sei man nicht besser als die so verhassten Linken.
Sebastian Haak / 10.05.16 / TLZ