Innenminister im Interview „Nicht alles lässt sich unter dem Mantel der Asylkritik verbergen“

Erstveröffentlicht: 
24.04.2016

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) spricht im Interview mit LVZ.de über den Zulauf für Rechtsextreme, steigende Gewalt und ein Umdenken in Leipzig.

 

Dresden. . Die Gewaltbereitschaft in Zusammenhang mit politischen Straftaten ist in Sachsen deutlich gestiegen. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht hervor, der morgen in Dresden vorgestellt werden wird. Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagt „allen Chaoten, egal ob Rechts oder Links“ den Kampf an.

 

Herr Ulbig, die Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität sind deutlich gestiegen. Wo liegen die Schwerpunkte?


Der Anstieg im Bereich Rechtsextremismus ist am höchsten – dieses Problem haben wir sachsenweit, es gibt fast keinen Flecken, der ausgespart wird. Die Entwicklung wird vor allem durch die Auseinandersetzung zwischen Asylgegnern und Asylbefürwortern befördert: Jedes vierte Delikt der politisch motivierten Kriminalität liegt in diesem Bereich, im Jahr 2014 war dies noch jede 17. Straftat. Aber: Wenn man auf die Gewaltkriminalität schaut, gibt es keinen gravierenden Unterschied zwischen Rechts und Links mehr. Dieser Anstieg der Gewalt insgesamt ist besonders besorgniserregend. Bei der strafrechtlichen Verfolgung ist es egal, ob diese Gewalt von Rechts oder Links kommt – es gibt für mich keine schlechte und gute Gewalt. 

 

Je nach politischer Prägung wird den Ermittlern häufig vorgehalten, auf dem einen oder anderen Auge blind zu sein. 


Es hilft uns nicht, wenn wir – je nach politischem Lager – die Hintergründe dieser Gewalt ausblenden. Für mich als Innenminister ist es überhaupt keine Frage, dass wir konsequent gegen diejenigen vorgehen, die Asylbewerberheime anzünden und Menschen angreifen, die woanders herkommen oder anders denken. Die Aufklärungserfolge wie in Freital, Heidenau, Crimmitschau oder Dresden zeigen, dass die Ermittler in Sachsen gut arbeiten. Mit der gleichen Konsequenz müssen und werden wir aber auch gegen Links­extremisten vorgehen. Es bringt nichts, sich aus parteipo­litischen Gründen gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. In dieser Beziehung habe ich das Gefühl, dass insbesondere in Leipzig ein Umdenken eingesetzt hat.

 

Wie meinen Sie das?


Wenn man linke Gewalt regional zuordnet, wird ganz eindeutig klar: Leipzig ist in Sachsen die Hochburg der Linksextremisten. Jede achte rechtsextremistische Straftat wird in Leipzig begangen, dagegen ist es im linksextremistischen Bereich bereits nahezu jede zweite Straftat. Und, was noch verschärfend hinzukommt: Von den insgesamt 292 linken Gewalttaten in Sachsen im vergangenen Jahr entfallen 182 auf Leipzig. Vor dieser Entwicklung darf man nicht die Augen verschließen. Deshalb müssen wir allen Chaoten, egal ob Rechts oder Links, klarmachen: Wir nehmen das nicht hin und gehen mit aller Härte dagegen vor.

 

Im vergangenen Jahr haben Sie die Stadt Leipzig noch wegen des Umgangs mit Linksautonomen kritisiert. Was hat sich geändert?


Es ist ein Diskussionsprozess in Gang gekommen, der sehr positiv verläuft. Inzwischen finden regelmäßige Treffen von Fachleuten statt. Auch ich tausche mich mit Oberbürgermeister Jung zur Situation in Leipzig aus. Diese Entwicklung zeigt eine neue Qualität. Ich stelle außerdem ein Problembewusstsein fest, dass es lange nicht gegeben hat. Und, die Diskrepanz zwischen Kritisieren und Verantwortung übernehmen wird zusehends kleiner.

 

Die Zahlen der linksextremen Straftaten scheinen etwas anderes zu sagen.


Allen muss aber klar sein: Das Problem Extremismus, egal von welcher Seite, lässt sich nicht von heute auf morgen lösen. Es geht dabei nicht nur um Polizei und Repression, sondern zum Beispiel auch um neue soziale, bis hin zu städtebaulichen Ansätzen. Man muss ganz allmählich dafür sorgen, dass bestimmte Stadtteile sich verändern, nicht abgeschottet existieren können. Konkret in Leipzig ist da schon etwas in Gang gekommen, und das muss kontinuierlich fortgesetzt werden. Es gab in der Messestadt einige Fehlentscheidungen, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen, und die vermeintlich autonome Strukturen und  gewisse Fehlentwicklungen begünstigt haben.

 

Weshalb dauern die Ermittlungen in diesem Bereich so lange, während es bei Rechtsextremen schon Haftbefehle gibt?


Die Ermittlungen sind häufig eine echte Kärrnerarbeit. Das trifft auf beide politischen Lager zu. Man muss sich nur mal anschauen, wie im Operativen Abwehrzentrum seit Monaten sehr akribisch an der Tätersuche nach den linken Randalierern vom 12. Dezember 2015 gearbeitet wird. Solche Ermittlungen reichen bis ins kleinste Detail und brauchen Geduld. Deshalb greift der Vorwurf, wir würden nicht genügend gegen Extremisten unternehmen, völlig ins Leere. In Freital, im Fall der mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung, hätte die Bundesanwaltschaft ohne die hervorragende sächsische Ermittlungsarbeit gar nicht so schnell zugreifen können. Das OAZ hatte schon im November die ersten vier Tatverdächtigen festgesetzt und großflächig Wohnungen in Freital durchsucht.

 

Von außen ist der Eindruck entstanden, dass man bei der Staatsanwaltschaft den Terrorverdacht nicht wahrnehmen wollte.


Diese Frage kann nur der Justizbereich beantworten. Meines Wissens gab es im Vorfeld seit langem entsprechende Konsultationen zwischen den sächsischen Ermittlungsbehörden und der Bundesanwaltschaft. Darauf fußte letztlich die Übernahme durch Karlsruhe. Wichtig ist doch, dass der Staat konsequent gegen solche Straftäter vorgeht. Mittlerweile ist das Zutrauen bei der Justiz auch deutlich gestiegen, aufgrund der polizeilichen Ermittlungen entsprechend vorzugehen und zum Beispiel mehr Haftbefehle zu erlassen. Das ist zum einen für die Bevölkerung wichtig, zum anderen ist dieses schnellere Handeln auch eine Honorierung der guten Ermittlungsarbeit. Die immer besseren Aufklärungsquoten bei der politischen Kriminalität sprechen eine klare Sprache: Die Chancen, dass wir die Täter dingfest machen, sind ziemlich groß und steigen zusehends – wir wollen keinen extremistischen Straftäter entkommen lassen.

 

Stimmen Sie der Aussage zu: Die Freitaler Terrorgruppe wird nicht der Endpunkt sein – es werden weitere Neonazi-Strukturen aufgedeckt werden?


Nach einem Abflauen im Bereich des Rechtsextremismus ist wieder ein deutlicher Zulauf zu verzeichnen. Die Entwicklung ist wieder umgeschlagen, das Personenpotenzial im rechten Spektrum hat erheblich zugenommen. Dabei ist längst nicht allein die NPD das Problem. Sorge bereiten uns zunehmend die nicht organisierten Rechtsextremisten. Dabei spielt auch das gesellschaftliche Umfeld den Rechtsextremisten in die Hände – hier gibt es einen erheblichen Aufwind. Im Zusammenhang mit den Asylprotesten wurden und werden auch Leute angezogen, die bislang keine Kontakte zu Neonazis hatten oder durch rechtsextremistische Propaganda aufgefallen sind. 

 

Heißt das, die braune Masse wird nach oben, in die Öffentlichkeit, gespült?


Jeder muss genau hinschauen, hinter wem er da mitläuft und für wen er sich einsetzt. Noch vor einem Jahr agierten fast ausschließlich die NPD und verschiedene Neonazis unter der Flagge des Asylprotestes. Inzwischen ist die Lage schon so weit fortgeschritten, dass Rechtsextremisten die Demonstrationen ganz offen anführen. Trotzdem gehen viele Leute hin. Deshalb muss jeder für sich die Grenze ziehen und sich die Frage stellen: Wo und wie bringt man seinen Ärger zum Ausdruck – und mit wem sympathisiert man hier eigentlich? Nicht alles lässt sich unter dem Mantel der Asylkritik verbergen. Und, was auch jedem klar sein muss: Die Asylproteste bilden häufig den Nährboden für Gewalt, wie die Beispiele Freital oder auch Einsiedel gezeigt haben.

 

Interview: Andreas Debski