Ein feministisch-trotzkistischer Dialog über „Perspektive Kommunismus“

Ein Dialog

Ein virtuelles Gespräch zwischen systemcrash und TaP

Vor mittlerweile rund einem viertel Jahr, am 23. Januar, hatten wir unseren Text Was wäre dann besser … …wenn es einen ‚Block revolutionärer Gruppen’ gäbe?“ veröffentlicht. Dort schrieben wir: „Das Bündnis Perspektive Kommunismus, [...], wollen wir hier nur kurz er­wähnen. Dies liegt nicht etwa daran, dass wir meinen würden, Perspektive Kommunismus würde nicht in das Spektrum der von uns für richtig gehaltenen revolutionären Mindeststandards fallen. Es liegt auch nicht daran, dass wir nicht trotzdem in der einen oder anderen Frage anderer Auffassung wären als Perspektive Kommunismus – nur wollen wir zur Diskussion dieser Auffassungsunterschiede gerne eine andere literarische Form wählen als den vorliegende Text.“ (S. 7 f.) Diese „andere literarische Form“ findet Ihr auf den folgenden Zeilen.

 

 

 

systemcrash: Wir haben ja inzwischen eine ganze Reihe von Gruppen und bun­desweiten Bündnissen – mehr oder minder ausführlich – kritisiert: insb. die Taktik der Gruppe Arbeitermacht (GAM) im NaO1-Pro­zess (1 und 2), die NAO-Gründung selbst und die Entrismus-Politik (Einsatz vieler Gruppen-Ressourcen für den Strömungs­streit in der Linkspartei) der Sozialistischen Alternative (SAV), die Annäherung des RSB an die isl und – im Januar – nicht ganz so ausführlich die IL und das UG-Bündnis. Was hältst Du eigentlich von Perspektive Kommunismus, zu denen wir noch nichts geschrieben haben?

 

TaP: Was ist jetzt die Frage? Kommunis­mus – da sind wir doch auch dafür, oder? Das ist doch auch die Perspektive, in der wir unsere Texte schreiben. Oder etwa nicht?

Im Ernst: Das bundesweite Bündnis Per­spektive Kommunismus gibt es als solches (das heißt: unter diesem Namen) erst seit Frühjahr 2014. Die Gründung erfolgte also zu einem Zeitpunkt, als der NaO-Prozess schon zugunsten einer voreiligen Organisa­tionsgründung beendet war. Insofern ist es zumindest kein Zufall, daß wir zu diesem Bündnis noch nichts geschrieben haben – auch wenn einige der Gruppen, die das Bündnis bilden, schon vorher zusammen Texte schrieben bzw. Mobilisierungen ge­meinsam trugen (siehe z.B.: 1, 2 und 3).

Während des NaO-Prozesses wäre es mir noch schwer gefallen, zu sagen, ob mir das ...ums Ganze-Bündnis oder die VorläuferIn­nen von Perspektive Kommunismus (ich schrieb damals „‚Perspektive’-Spektrum“, um diese VorläuferInnen zu bezeichnen) ‚sympathischer’ ist. Angesichts der Annähe­rung von UG an die IL, die das kommunisti­sche Profil des ...ums Ganze-Bündnisses hat leiden lassen, würde ich die Frage momentan im Sinne von Perspektive Kommunismus beantworten.

Trotzdem habe ich einen Hauptkritikpunkt an dem Gründungstext von Perspektive Kommunismus. Der Satz lautet: „Der Wi­derspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwi­schen Bourgeoisie und Proletariat, ist auch heute der zentrale gesellschaftliche Wider­spruch des Kapitalismus.“

Ich würde demgegenüber sagen: Der „zen­trale Widerspruch“ „[d]es Kapitalismus...“ – genauer: der kapitalistischen Produktions­weise – ist der „Widerspruch zwischen Ka­pital und Arbeit“ zwar schon... – aber nicht der einzige zentrale Widerspruch heutiger Gesellschaftsformationen. Denn diese Ge­sellschaftsformationen sind meiner Über­zeugung nach nicht nur vom kapitalisti­schen Klassenwiderspruch, sondern auch von Patriarchat und Rassismus ‚zentral’ [grundlegend] strukturiert (siehe meinen Beitrag zur trend-Jubiläums-Veranstaltung).

 

systemcrash: Wo würdest du denn die we­sentlichen Kritikpunkte an der Perspektive Kommunismus ansetzen wollen? Und glaubt du, dass es noch genügend Schnitt­mengen gibt, um so einen ‚Block-Prozess’ anzugehen? Denn immerhin – das wissen wir vom NAO-Prozess – ist so ein Diskussi­onsprozess auch ein nicht unerhebliches Risiko für die Gruppen.

Um kurz noch meine Einschätzung zu er­wähnen, die aber völlig vorläufig ist, da ich diese Gruppierung kaum kenne:

  • Ich finde sie theoretisch fundierter als 3A und Kommunistischer Aufbau.

  • Sie scheinen nicht so einen Stalin-Kult zu haben.

  • Nicht so gefällt mir ihr Hang zum ‚Konspirativen’.

  • Eine [ultralinke] Überschätzung der Möglichkeiten ‚revolutionärer Offen­sive’ (und das in Zeiten, die durch einen absoluten linken Rückzug ge­kennzeichnet sind).

  • Ich stimme auch zu, dass der Klas­senwiderspruch nicht der einzige Wi­derspruch ist, von daher handelt es sich tatsächlich um Nebenwider­spruchsdenken. Allerdings weißt du ja, dass ich Deiner These von drei revolutionären Subjekten auch nicht zustimme.

 

TaP: Ein grundsätzliches Schnittstellenpro­blem sehe ich nicht.

Eine gewisse Überschätzung der linken Möglichkeit bzw. der Tiefe der kapitalisti­schen Krise sehe ich allerdings auch (z.B. in deren Politischer Plattform: „Wir erleben momentan eine der tiefsten strukturellen Krisen des globalen Kapitalismus.“). Einen Satz, der noch im 1. Mai-Aufruf 2012 stand, vermisse ich dagegen, in der Plattform: „Obwohl sich eine oberflächliche Kritik am Kapitalismus breit macht und viele die so­ziale und politische Ungerechtigkeit bekla­gen, bleibt die kollektive Gegenwehr auf be­trieblicher, gewerkschaftlicher und politi­scher Ebene schwach – die Passivität do­miniert.“

Ein dritter Kritikpunkt (neben der Haupt-/Nebenwiderspruchs-Frage und der Frage der Situationsanalyse) wäre, daß sie in Bezug auf Gebiete außerhalb der impe­rialistischen Metropolen den Unterschied zwischen Kommunismus einerseits sowie Antiimperialismus, Befreiungsnationalismus und demokratisch-laizistischen Linien ande­rerseits für meinen Geschmack durchaus deutlicher herausarbeiten könnten. Z.B. hatte eine Veranstaltung der Berliner Per­spektive-Gruppe im Januar den Titel „Rojava verteidigen“. Zu verteidigen ist ja aber nicht Rojava als schlichter geographi­scher Ort (und schon gar nicht als Anspie­lung auf eine ethnische Einheit), sondern die dortigen – im regionalen Kontext relativ fortschrittlichen – politischen Entwicklun­gen. Allerdings hat eine sozialistische Re­volution auch dort weder stattgefunden noch ist sie im Gange. Zum Vertreten einer kommunistische Perspektive gehört m.E. auch in der Soli-Arbeit (einschl. der Titelgebung von Veranstaltungen) die Grenzen der dortigen Entwicklungen mit­zuthematisieren.

Ich denke, ich selbst könnte mich – trotz dieser Einwände – mit den GenossInnen von Perspektive Kommunismus auf beidsei­tig akzeptable Formulierungen einigen; schwieriger dürfte eher sein, Formulierun­gen zu finden, die auf der anderen Seite zu dieser Frage auch das ...ums Ganze-Bünd­nisse ebenfalls mittragen kann... – und die­se Spannweite sollte ein Block revolutio­närer Gruppen m.E. schon haben.

Im Zweifelsfall müsste mit der Methode der Ausklammerung des Strittigen bei gleichzei­tiger „Freiheit der Agitation und Propagan­da“ der verschiedenen an einem „Block“ oder „Koordinierungsrat revolutionärer Gruppen“ Beteiligten gearbeitet werden.

 

systemcrash: In der Politischen Plattform von Perspektive Kommunismus heißt es: Nicht zuletzt gilt es auch, die eigenen Strukturen zu schützen, sowie – zumindest punktuell – die Macht des Gegners prak­tisch in Frage zu stellen. Dabei gehen wir davon aus, dass der Aufbau von revolutio­närer Gegenmacht ein kontinuierlicher Pro­zess sein muss, diese Frage also nicht erst in einer revolutionären Situation, sondern in jeder Entwicklungsphase der Organisation aktuell ist.“ Dies scheint mir doch sehr nach einer „Offensivtaktik“ der ultralinken „Dritte Periode“ zu klingen, was in letzter Instanz nichts anderes als politischer Harakiri be­deutet.

 

TaP: Ich habe meinerseits mit der Formulie­rung keine Schwierigkeiten. Diejenigen, die irgendwann einmal den bestehenden Staatsapparat zerschlagen wollen (und das wollen wir doch!), können die Vorbereitung darauf nicht auf „irgendwann“ vertagen. Dann wird aus dem „irgendwann“ nämlich ein „niemals“ der Zerschlagung. Ich hatte dazu ja kürzlich in meinem Teil unseres Hebel-Textes etwas geschrieben.

 

systemcrash: Gut, aber ich sehe da schon Probleme und ich hatte dazu auch einen kritischen Kommentar geschrieben und auch Soliparty hat sich skeptisch dazu ge­äussert. Aber sei es, wie es sei, innerhalb der Essentialmethode wäre dies ja auch kein wirkliches Hindernis, solange die we­sentlichen Schnittmengen ausreichend sind.

Um ehrlich zu sein, nachdem ich mir das Grundsatzpapier von Perspektive durchge­lesen habe, ist mein Eindruck, dass ich we­niger Probleme mit deren Positionen hätte als Du, denn ihr denken ist doch stark an der klassischen Klassenorientierung fixiert, was Du wahrscheinlich als „Nebenwider­spruchsdenken“ bezeichnen würdest. Trotz­dem macht mir dieser „ultralinke“ Einschlag, der aus meiner Sicht besteht, Sorgen.

Was mir auch auffällt ist, dass im Gegen­satz zu IL und selbst UG, die doch beide eine recht große (Medien)präsenz innerhalb der linken Öffentlichkeit besitzen, über Per­spektive kaum einer spricht. Ist das Zufall oder stecken dahinter auch unterschiedli­che Politik- und Strategiekonzepte? Und würdest Du die Schnittmengen, die aus Deiner Sicht bei Perspektive mit unserem Essentialkonzept bestehen, noch mal kon­kret aufführen?

 

TaP: Zunächst noch mal zur Klandestinität und zum bewaffneten Kampf. 1. Soliparty hat ja zunächst einmal nicht mehr gemacht, als zumindest großen Diskussionsbedarf“ zu den „den Fragen einer militanten revolutionären Strategie“ bekundet. Mehr als einen Diskussionsvorschlag habe ich ja auch nicht gemacht. 2. Ich bin sehr dafür, Öffentlichkeit als Raum für revolutionäre Politik zu nutzen und zu verteidigen. Das heißt m.E. aber nicht, dass auch Vorberei­tungsdiskussionen für (öffentliche und lega­le [für illegale bietet sich das ohnehin nicht an]) politische Aktionen den Geheimdiens­ten, die sich durchaus nicht nur für bewaff­nete Gruppen interessieren, frei Haus gelie­fert werden sollten (auch wenn ich mich selbst aus einer Mischung von Bequemlich­keit und Kenntnismangel um’s Verschlüs­seln drücke). Aber „eigenen Strukturen zu schützen“ (worauf Du Dich skeptisch bezo­gen hast) fängt m.E. beim Verschlüsseln an; und es sollten m.E. (was allerdings schon aus politischen Gründen klarsein sollte), in eine revolutionäre Gruppe auch nicht einfach deshalb Leute aufgenommen werden, weil sie ein Papier- oder internet-Formular ausfüllen und ggf. Beitrag zahlen. 3. Und hinsichtlich des bewaffnetes Kamp­fes möchte ich mich auf das beziehen, was in der Programmatische Deklaration der Bolschewistischen Tendenz von 1987 steht: „Wir lehnen Guerillakrieg als strategische Orientierung ab (wobei wir anerkennen, dass er manchmal als ergänzende Taktik von Wert sein kann)“. Das ist eine Formu­lierung, mit der ich durchaus mitgehen kann; das Primat des Politischen gegenü­ber dem Militärischen muß gewahrt bleiben.

Was die Medienpräsenz von Perspektive Kommunismus anbelangt, so weiß ich nicht, ob sie vielleicht auch ein anderes Konzept für ihre Pressearbeit haben als IL und UG. Jedenfalls dürfte es auch daran liegen, daß sie kleiner sind und weniger mobilisierungsfähiges Umfeld als IL und UG haben und daß Klassen-Themen in den Medien und der Bewegungs-Linken nicht soviel Konjunktur haben.

Und schließlich zur Schnittmenge von Per­spektive Kommunismus mit unserem Es­sentialkonzept: Das, was wir stichwortartig als revolutionären Minimalkonsens vor­schlagen, lautet ja: „1. Zustimmung zur Not­wendigkeit eines revolutionären Bruchs; 2. Keine Mitverwaltung von Herrschaft und Ausbeutung – weder als Regierungspartei, noch als sozial-bewegte Politikberatung; 3. Bündnispolitik statt Sektiererei; 4. Partei­lichkeit / antagonistische Orientierung; 5. Vom Netzwerk zum revolutionären Bündnis zur revolutionären Organisation.(http://www.nao-prozess.de/blog/nach-hannover-ii-essential-entwurf-2-2/)

Ich denke nicht, dass von diesen Stichwor­ten irgendetwas inhaltlich grundsätzlich un­vereinbar mit dem ist, was Perspektive Kommunismus schreibt, und Detaildifferen­zen müßten zwischen allen Beteiligten bei der konkreten Ausformulierung geklärt wer­den.

Und ob sie doch noch für die Methode „Es­sentialkonzept“ zu gewinnen sind... – keine Ahnung. Die Gruppe Revolutionäre Per­spektive Berlin hatte dem NaO-Prozeß da­mals ja u.a. mit folgender Begründung einen Korb gegeben: „Wir haben uns be­reits vor einigen Jahren entschieden, den notwendigen Organisierungsprozess nicht über theoretische Debatten, sondern primär über eine gemeinsame Praxis in die Gänge zu bringen. Zugegeben, das macht den Prozess nicht weniger problematisch und auch nicht schneller, aber sicherlich hand­fester.“ –

Die GAM hatte ja kürzlich einen theore­tisch-methodischen Block von RIO, Per­spektive Kommunismus und „Teile[n] des RSB“ konstruiert:

 

Ein anderer Teil der ‚radikalen’ Linken lehnt die politische Intervention in refor­mistische Parteien und tendenziell auch in Umgruppierungsprojekte mehr oder we­niger kategorisch ab. Er sucht vielmehr das Heil in der ‚Basisarbeit’ kombiniert mit ‚revolutionärer Propaganda’.

Er unterscheidet sich von einem reinen Syndikalismus vor allem dadurch, dass die Notwendigkeit einer revolutionären Organi­sierung anerkannt wird. Aus dem autono­men/anti-imperialistischen Spektrum gehört dazu u.a. ‚Perspektive Kommunismus’, von den ‚trotzkistischen’ Gruppierungen RIO und Teile des RSB.

Trotz ihrer enormen ideologischen Unter­schiede ist diesen Gruppierungen die Vor­stellung gemein, dass eine revolutionäre Organisation unabhängig von ihrem Auf­baustadium v.a. aus der Verankerung beim revolutionären Subjekt entstehen soll. Das betrifft vorwiegend rein ökonomische Klas­senkämpfe oder die ‚Verankerung im Stadtteil’ mittels ‚eigenem sozialen Zen­trum’. Die ‚Revolutionäre’ verschmelzen so mit der Klasse, den Massen oder ihrer ‚Avantgarde’.

Das ersetzt praktisch Forderungen an die Massenorganisationen der Klasse und an deren Führungen (die SPD wird ohne­dies in der Regel aus der Klasse ‚wegdefi­niert’). Die ‚Einheitsfronttaktik’ wird allen­falls auf ökonomische Forderungen be­schränkt, auf Wahlen nicht angewandt. Statt Einheitsfronten der Massenorganisa­tionen zu propagieren, wird das Konzept ‚revolutionäre Einheitsfront’ oder ‚Einheits­fronten mit der Basis’ (also die ‚Einheits­front von unten’ der Dritten Periode) wie­derbelebt.“ (http://arbeitermacht.de/ni/ni207/perspektiven.htm – meine Hv.)

 

Ich würde meinerseits sagen: Die Ableh­nung der Mitarbeit in reformistischen Partei­en ist für KommunistInnen richtig; diese Ab­lehnung ist sozusagen das Gründungsprin­zip der Kommunistische Internationale ge­wesen und ich sehe nicht, aus welchem Grund es falsch geworden sein soll. Dies schließt ja aber nicht aus, aus Anlaß von Bündnissen oder bei Demonstrationen das Gespräch mit Mitgliedern von reformisti­schen Organisationen zu suchen und zu versuchen, sie für revolutionäre Positionen zu gewinnen; und es schließt auch nicht aus, mit pubublizistischen Mitteln in solche Organisationen zu ‚intervenieren’. Aber es bringt m.E. überhaupt nichts, wenn (kleine) revolutionäre Gruppen von reformistischen Großorganisationen etwas ‚fordern’, was letztere in ihrer großen Mehrheit für falsch halten und die Ersteren – obwohl es für richtig halten – auch nicht hinbekommen. Und was speziell die SPD anbelangt, so sind, seitdem diese eine neoliberale Partei geworden ist, nunmehr auch im Bereich der Tagespolitik die inhaltichen Schnittmengen, die Grundlage von Bündnissen sein könn­ten, deutlich kleiner als noch in den 1920er Jahren. Einzig würde ich der GAM zustim­men, daß es falsch wäre, bei vorhandener Teil-Übereinstimmung Bündnisse mit der Vorstandsebene von reformistischen Orga­nisationen abzulehnen. Aber Perspektive Kommunismus beteiligt sind auch an von Gewerkschaftsvorständen organisierten Demonstrationen, z.B. am 1. Mai, und auch an Blockupy-Aktionen, obwohl die Vor­stands- und Fraktionsebene der Linkspartei am Blockupy-Bündnis beteiligt ist. –

Was ist Deine Auffassung zur GAM-Kritik an RIO, „Teilen des RSB“ und Perspektive Kommunismus?

 

systemcrash: Ich finde die Einschätzung und Kritik am „Halbsyndikalismus“ schon in­teressant und berechtigt, zumindest für RIO und RSB würde ich das aus meiner Sicht und Erfahrung auch bestätigen können. Schwieriger finde ich diese „Taktik“, Forde­rungen an „Massenorganisationen“ zu stel­len, denn dahinter steckt die Vorstellung, man könne politische (und gewerkschaftli­che) Formationen „entlarven“. Hat das denn schon jemals geklappt? Die Leute sind doch dort in der Regel organisiert, weil sie die Ziele und Praxis dieser Formationen tei­len. Diese Vorstellung scheint mir ein Relikt aus paternalistischen Zeiten zu sein, dass die „Massen“ von ihren „betrügerischen Führungen“ „weggebrochen“ werden müss­ten. In Wirklichkeit hat die „radikale Linke“ nur dann eine Chance, wenn sie argumen­tativ überlegen ist.

Ich würde sogar noch weiter gehen: Ich glaube, der Begriff „Einheitsfront“ ist insge­samt für die heutige Situation ungeeignet. Die KomIntern hatte es ja noch mit tatsäch­lich bestehenden Massenorganisationen der Arbeiterklasse (die auch das Klassen­paradigma teilten) zu tun. Dies ist heute mehr als fraglich. Für die SPD hast du dies bereits angedeutet, und ich sehe auch die Situation in den Gewerkschaften nicht viel besser. Und die PDL mag zwar eine linksre­formistsiche Partei sein, aber ihre Orientie­rung ist vorherrschend parlamentarisch, und sie sind wenig an Mobilisierungen „auf der Straße“ interessiert (und wenn, dann nur aus wahltaktischem Opportunismus heraus).

Was Du über die Möglichkeiten der Inter­vention in reformistische Organisationen gesagt hast, würde ich im wesentlichen tei­len. Allerdings scheint mir der „Entrismus“, wenn er wirklich als „Taktik“ (und nicht als langjähriges Eingraben) in einer Situation der „Linkspolarisierung“ angewendet wird, legitim zu sein; ob er dann tatsächlich auch organisatorische Vorteile einbringt, sei aller­dings dahingestellt.

Dass dies alles keine akademischen Fra­gen sind, zeigt sich meines Erachtens in der Debatte um die Wahlerfolge der AfD. Natürlich ist die Analogie zu 33 Blödsinn, aber die „radikale Linke“ scheint überwie­gend sehr ratlos zu sein, wenn es darum geht, konkrete Alternativen der „Rechtsver­schiebung“ entgegenzusetzen.

Meines Erachtens muss das „Klassenpara­digma“ vollständig vor dem Hintergrund der Globalisierung und des Neoliberalismus von der „radikalen Linken“ auf den Prüf­stand gestellt werden. Ansonsten wird selbst die elaborierteste „Strategiedebatte“ ins Leere verlaufen. Und dies scheint mir auch die wesentliche Schnittstelle zur post­autonomen „Bewegungslinken“ zu sein.

 

TaP: Wie passt das Letzte zu der von uns am Freitag an dem TTIP-Flugblatt von isl und RSB vorgebrachten Kritik (S. 4), dass dort der Klassenbegriff nicht vorkommt? Was meinst Du genau mit „Klassenparadig­ma“, das zu überprüfen sei?

 

systemcrash: Berechtigte Frage! ;) – Ich bin ja nicht dafür, den „Abschied vom Prole­tariat“ zu propagieren, wie das Thomas Sei­bert (IL) macht. Ich bin nur der Meinung, dass die 1 zu 1-Übertragung vom „Kommu­nistischen Manifest“ oder den politischen Verhältnissen in der Weimarer Republik auf „Heute“ einfach nicht mehr hinhaut. Von da­her meine ich mit „Überprüfung des Klas­senparadigmas“, dass zum einen der Struk­turwandel der Lohnabhängigen untersucht werden muss (soweit dieser politische Im­plikationen hat) und zum anderen, wie das „Lohnarbeits-Kapital-Verhaltnis“ zu anderen gesellschaftlichen Antagonismen sich ver­hält. Solange diese Fragen nicht wirklich ei­nigermassen fundiert geklärt sind, bleibt die „linke Krise“ eine permanente.

(Dass Gruppen wie isl und RSB lieber von „Demokratie“ als vom „Klassenkampf“ spre­chen, liegt ja nicht daran, dass sie ihre Marx- und Leninbücher aus dem Fenster geschmissen haben, sondern weil sie den­ken [mehr hoffen], dass „Demokratiefragen“ ein Hebel sind, um den „Massen“ die „Klas­senfrage“ [zumindest auf lange Sicht gese­hen] unterjubeln zu können. In dieser Hin­sicht unterscheiden sie sich methodisch kaum von der „Bewegungslinken“, nur mit dem Unterschied, dass die Postautonomen dies theoretisch reflektieren und die „Post­pabloisten/Mandelisten“ dies eher als im­pressionistisches „Bauchgefühl“ zum Aus­druck bringen.)



1 Der NaO-Prozess war ein Diskussionsprozess über die Gründung (irgend)einer neuen antikapitalistischen Organi­sation (NaO), die zugleich revolutionär sein sollte. Später wurde NAO zu einem Eigennamen einer tatsächlich ge­gründeten Gruppe, die nun auch für nicht-revolutionäre „AntikapitalistInnen“ offen ist/war und sich gerade im Pro­zeß der Auflösung befindet (siehe: http://plaene.blogsport.eu/2016/03/03/aus-dem-scheitern-lernen/). Der rund zweijährige Diskussionsprozess, der der Gründung vorausging, ist dort dokumentiert: http://www.nao-prozess.de/blog.