Einig gegen Hitler - Verräter oder Patrioten? Neue Ausstellung in der Berliner Widerstands-Gedenkstätte

Erstveröffentlicht: 
17.04.2016

Unter dem Titel „Deutschland muss leben, deshalb muss Hitler fallen!“ zeigt die Berliner Gedenkstätte des Deutschen Widerstands Lebenswege von Widerständlern aus der weltweiten Bewegung „Freies Deutschland“.

 

Berlin. Im Frühsommer 1943 wollte die Sowjetregierung der Wehrmachtsführung ein Angebot machen: Zu jener Zeit nach der deutschen Niederlage von Stalingrad hätte es zu Friedensverhandlungen kommen können. Es gab eine Aufforderung zum Sturz Hitlers und zur Rückführung der deutschen Truppen an die Reichsgrenzen. Wenn es so gekommen wäre, dann hätte möglicherweise nie ein Rotarmist deutschen Boden betreten…

 

Das Sprachrohr, das Moskau für seine Offerte benutzte, war das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD). Am 12./13. Juli 1943 auf Initiative der Sowjets und mit dem Segen Stalins in Krasnogorsk bei Moskau gegründet, vereinte die Organisation Hitlergegner aller Couleur: kriegsgefangene Soldaten und Offiziere, kommunistische Emigranten, Schriftsteller, Theatermacher und andere Intellektuelle. Die 38 Gründungsmitglieder unterzeichneten ein Manifest, das den grundsätzlichen Kurs des Komitees definierte: Es rief alle Deutschen zum Kampf gegen Hitler auf und forderte mit patriotischen Leitsätzen die Gründung einer „starken demokratischen Staatsmacht“. Bewusst wurde kommunistische Phraseologie vermieden, und die Farben des Komitees zielten mit dem Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreichs eher auf nationalkonservative Assoziationen ab als auf die schwarz-rot-goldene Demokratie von Weimar.

 

Dieses Komitee, das im September 1943 noch durch den Bund deutscher Offiziere (BDO) erweitert wurde und in dem Stalin anfangs gar so etwas wie eine mögliche deutsche Exilregierung sah, ist seit 1945 Streitobjekt deutscher Geschichtsschreibung. Waren sie Verräter oder doch Patrioten? – diese Deutschen, die sich mit den Russen mitten im Krieg an einen Tisch setzten und einen Propagandafeldzug gegen Hitler entfachten, der es in sich hatte: Flugblätter in riesigen Auflagen, Lautsprecher-Appelle an der Front, ein Rundfunksender, eine eigene Zeitung, Agitation unter Kriegsgefangenen… War das Komitee letztlich gar Keimzelle der DDR? 

 

„Deutschland muss leben“


Eine neue Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin nimmt sich der Sache zum wiederholten Male an und versucht, vor allem über die Biografien einzelner Akteure, Motivation und Absicht der Bewegung deutlich zu machen. Unter dem Titel „Deutschland muss leben, deshalb muss Hitler fallen!“ werden auf 19 Schautafeln mit Fotos, ­Zeitungsausschnitten, Briefen, Flugblättern und anderen Dokumenten Lebenswege von Widerständlern aus der weltweiten Bewegung „Freies Deutschland“ gezeigt.

 

In der „Moskauer Ecke“ durfte natürlich Rudolf Herrnstadt (1903 – 1966) nicht fehlen –  der jüdische Intellektuelle aus Oberschlesien, seit 1929 KPD-Mitglied, Verfasser der NKFD-Manifests, Chefredakteur der Wochenzeitung „Freies Deutschland“, später bedeutendster Pressemann der DDR („Neues Deutschland“, „Berliner Zeitung“), der in Warschau vor dem Krieg für den russischen Militärgeheimdienst GRU arbeitete und in der DDR zum Kandidaten des Politbüros aufstieg. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 stürzte Herrnstadt tief; die SED-Führung hielt intellektuelle Freidenker nicht aus, die ihrer eigenen Partei kleinbürgerliche Engstirnigkeit vorhielten. Der in Leipzig gebürtige SED-Chef Walter Ulbricht (1893 – 1973), einst selbst NKFD-Mitglied, siegte nun im Machtkampf und verstieß Herrnstadt in ein staubiges Archiv nach Merseburg, wo er – aller Ämter und Funktionen enthoben – ein entwürdigendes  Dasein bis zu seinem Tod 1966 in Halle/Saale fristete.

 

Und da ist Walther von Seydlitz (1888 – 1976), alter deutscher Adel, General der Artillerie, der offenbar auch einsieht, dass es mit Hitler nicht weitergeht. Er wird Präsident des BDO und im September 1943 einer der fünf Vizepräsidenten des NKFD, und belässt es nicht bei Frontpropaganda. In zwei Memoranden bittet er die Sowjetführung, die Aufstellung eines deutschen Korps aus etwa 40 000 Freiwilligen zu genehmigen, die mit der Waffe in der Hand bei der Zerschlagung des Hitlerregimes helfen sollten. 

 

Breites Bündnis gegen Hitler


Seydlitz, der auf die Erhaltung Deutschlands in den Grenzen von 1937 und die Errichtung einer demokratischen Regierung hoffte, wurde für seine Kooperation mit Moskau in Deutschland zum Tode wegen Hochverrats verurteilt und seine Familie in Sippenhaft genommen. Die „Seydlitz-Armee“ wurde von Stalin nie genehmigt, der General nach dem Krieg nicht etwa freigelassen, sondern noch 1950 in der Sowjetunion u.a. wegen „Mordtaten an der Zivilbevölkerung“ angeklagt und verurteilt. Erst 1955 durfte er heimkehren und hatte in der alten Bundesrepublik als „Verräter“ keinen leichten Stand.

 

Der Wehrmachtsdeserteur Max Emendörfer (1911 – 1974) saß als NKFD-Vizepräsident mit Seydlitz von 1943 bis 1945 oft am Versammlungstisch. Der eine Schuhmacher und Kommunist, der andere Vollblut-Militär und Nationalkonservativer, fanden sie letztlich doch eine gemeinsame Sprache, wenn es gegen Hitler ging. Das will die Ausstellung in Berlin auch zeigen, dass das Bündnis breit war, quer durch verschiedene weltanschauliche Richtungen ging.

 

 Auch Emendörfer, der als Kommunist schon in den 1930er-Jahren in den KZ Esterwegen und Sachsenhausen in „Schutzhaft“ gesessen hatte, sich nach seiner Entlassung freiwillig zur Wehrmacht meldete und im Januar 1942 zur Roten Armee überlief, stürzte nach 1945 noch einmal tief. Unter dem Vorwurf, Agent der Gestapo gewesen zu sein, wurde er in Berlin vom russischen Geheimdienst verhaftet und in den Lagern Hohenschönhausen und Sachsenhausen inhaftiert. 1947 ging es zurück in die Sowjetunion, wo seine, wie er es nannte „Sibirische Odyssee“ begann, die 1953 in einer Verurteilung zu noch einmal zehn Jahren Verbannung mündete. Emendörfer kam im Januar 1956 frei, wurde von Berlin nach Halle abgeschoben, arbeitete dort als Redakteur der SED-Bezirkszeitung „Freiheit“  – und traf Rudolf Herrnstadt wieder... 

 

„Keimzelle der DDR“ greift zu kurz


 Wenn auch viele NKFD-Mitglieder später in der DDR relativ hohe Funktionen in Parteien, Massenorganisationen, Armee, Polizei und Verwaltung bekleideten, so zeigen die drei Beispiele Herrnstadt, Seydlitz und Emendörfer, und sie waren nicht Einzigen, die auf der Strecke blieben, dass die Definition „Keimzelle der DDR“ etwas kurz greift. Jedes Schicksal ist individuell, und es geht um Menschen und nicht nur um politische Strategie und Taktik. Und es geht bei der objektiven Bewertung auch um „historische Substanz“, wie Prof. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, zur Ausstellungseröffnung betonte.

 

 Das trifft auch auf die Bewegung „Freies Deutschland“ im Westen zu, die weniger ferngesteuerter Ableger Moskaus, als vielmehr ein von mutigen Enthusiasten in Frankreich, Griechenland und Lateinamerika vorangetriebenes Projekt war, das auf den Sturz Hitlers hinarbeitete. Ein Vertreter, den die Ausstellung würdigt, ist der Regisseur Falk Harnack (1913 – 1991), Bruder von Arvid Harnack (Rote Kapelle), der 1943 in München vor dem Volksgerichtshof steht und freigesprochen wird. Abkommandiert zum Strafbataillon 999 nach Griechenland, flieht Harnack, schließt sich der griechischen Partisanenbewegung ELAS an und gründet das Antifaschistische Komitee „Freies Deutschland“, dessen Leiter er wird. 

 

Der Fall Falk Harnack


Zum Kriegsende gelingt es Harnack, eine 114 Mann starke Widerstandsgruppe von Griechenland über Jugoslawien bis nach Wien und dort 1945 „zurück ins Leben zu führen“, wie es André Lohmar formuliert. Das Vorstandsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Kooperationspartner der Ausstellung ist, sieht gerade auch im „Fall“ Harnack ein gutes Beispiel für die „Breite und Tiefe“ der Bewegung „Freies Deutschland“. Harnack eckte übrigens auch in der DDR an. Von 1949 bis 1952 war er künstlerischer Direktor bei der DEFA. Im Streit mit der SED um den Film „Das Beil von Wandsbek“ nach Arnold Zweig ging Harnack in den Westen und avancierte dort neben Helmut Käutner und Wolfgang Staudte zum wichtigsten Regisseur des deutschen Nachkriegsfilms.

 

Von Jan Emendörfer


 „Deutschland muss leben, deshalb muss Hitler fallen!“ Die weltweite Bewegung „Freies Deutschland“ 1943–1945 – Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, Stauffenbergstr. 13–14; Mo–Mi und Fr 9–18 Uhr; Do 9–20 Uhr; Sa, So und Feiertags 10–18 Uhr (bis 14. Juli).