In der EU beginnt die Debatte um eine neue Agrarreform.
Die deutschen Landwirte müssten eigentlich jeden Tag Gerhard Schröder in ihr Nachtgebet einschließen. Der sozialdemokratische, der Landwirtschaft nicht sonderlich nahe stehende Kanzler traf 2002 mit seinem Freund Jacques Chirac, dem französischen Staatspräsidenten, ein Übereinkommen. Danach sollten die Gelder für die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union bis 2013 nicht gekürzt werden. Damit blockten die beiden den damaligen britischen Premierminister Tony Blair ab, dem schon vor acht Jahren die Landwirtschaftspolitik der EU zu teuer war.
56 Milliarden Euro macht die EU jedes Jahr zur Unterstützung ihrer
Landwirte locker. Mit neun Milliarden Euro ist Frankreich größter
Empfänger, die deutschen Bauern bekommen im Jahr rund sechs Milliarden
Euro aus Brüssel. Von der gesamten Summe fließen 38 Milliarden Euro den
Landwirten als Direktzahlungen zu. Das nennen Fachleute die erste
Säule. Sie macht, zumindest in Baden-Württemberg, für die meisten
Landwirte rund die Hälfte ihres Einkommens aus. Weitere 18 Milliarden
Euro aus Brüssel fließen in die sogenannte zweite Säule, die ländliche
Entwicklung. Diese Gelder sollen dafür sorgen, dass das Leben auf dem
Land attraktiv bleibt.
Allerdings wird das Geld aus Brüssel ziemlich ungleich verteilt. Die
neuen EU-Mitgliedsstaaten im Osten bekommen pro Hektar deutlich weniger
als ihre Berufskollegen im Westen.
Im Jahr 2013 beginnt in Brüssel ein neuer Finanzabschnitt. Die 27
EU-Staaten müssen erstens grundsätzlich entscheiden, wie viel Geld sie
der Union zur Verfügung stellen wollen. Bisher ist das ungefähr ein
Prozent des EU-Bruttosozialprodukts. Zweitens müssen sie klären, wie
diese Mittel auf Bereiche wie Forschung, Regionalförderung und
Agrarpolitik verteilt werden.
Der Mann, der in Brüssel die Richtung für die Agrarpolitik nach 2013
vorgibt, heißt Dacian Ciolos. Der Rumäne folgt der Dänin Mariann
Fischer Boel als neuer Agrarkommissar. Diese Personalentscheidung
provozierte zunächst hämische Kommentare, weil Rumäniens korrupter
Umgang mit Brüsseler Agrarsubventionen berüchtigt ist. Bei der Anhörung
im Europaparlament beeindruckte der gelernte Agrarökonom allerdings
durch sein Detailwissen der komplizierten Materie. Vor allem aber
gefiel den Abgeordneten des Agrarausschusses seine Zusicherung, der
Agrartopf werde nicht beschnitten und Direktzahlungen für Betriebe
würden auch nach 2013 ohne nationale Kofinanzierung gezahlt.
Doch der Applaus, den die 89 Mitglieder des Agrarausschusses spendeten,
ist kein Indikator dafür, welche Reform sich die Mehrheit des 734 Köpfe
zählenden EU-Parlaments wünscht. Im Agrarausschuss bleibt die
Bauernlobby weitgehend unter sich. Im Plenum gibt es hingegen viel
Sympathie für eine echte Agrarreform, die dafür sorgt, dass nicht mehr
wenige industrialisierte Großbetriebe den Löwenanteil der Subventionen
erhalten, während das Bauernsterben weitergeht.
Das ist deswegen bedeutsam, weil mit dem jetzt geltenden
Lissabon-Vertrag das EU-Parlament in der Agrarpolitik mitbestimmt. Die
Macht des neuen Agrarkommissars Ciolos liegt darin, dass nur er die
Reformvorschläge auf den Tisch legen kann. Welche Reformen er anstrebt,
verrät er aber nicht. Er versichert lediglich, die Mittelverteilung
müsse ausgeglichener werden zwischen alten und neuen Mitgliedsstaaten.
Verglichen mit seinen vorsichtigen Ansätzen erscheinen seine Vorgänger
Franz Fischler und Mariann Fischer Boel rückblickend wie kühne
Revolutionäre. Sie traten mit ehrgeizigen Reformideen an, scheiterten
jedoch am Besitzstandsdenken der Bauernlobby.
Ob es Ciolos besser ergeht, lässt sich noch nicht absehen. Harte Kämpfe
um die Verteilung der Mittel für die Landwirtschaft mit Nachtsitzungen
und Verhandlungsmarathons bis zur Erschöpfung haben in Brüssel
Tradition. Auch wie die Frontlinien verlaufen, ist im Prinzip klar: Auf
der einen Seite stehen marktorientierte Länder wie Großbritannien, aber
auch Schweden oder die Niederlande. Sie wollen weniger Geld in die
Landwirtschaft stecken. Auf der anderen Seite befinden sich
Schwergewichte wie Frankreich und Deutschland, die das bestehende
System nicht umkrempeln wollen.
CSU-Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat schon wissen
lassen, dass sie weitermachen will wie bisher. "Das Europäische
Landwirtschaftsmodell hat sich bewährt", heißt es in einem
Positionspapier des Ministeriums. Auch künftig seien stabile
Direktzahlungen erforderlich. Dass sie Unterstützung von Gerd
Sonnleitner bekam, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes,
versteht sich von selbst. Ebenso, dass die Grünen nichts von dieser
Politik halten. Aigner hat allerdings auch nicht die Unterstützung des
Koalitionspartners FDP. "Sie macht der Landwirtschaft etwas vor", sagte
die agrarpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christel
Happach-Kasan. "Man muss die Bauern auf Kürzungen vorbereiten."