Reinhard Mohr schrieb in einem Nachruf auf die „Modekrankheit“ „Burn-out ist out!“. Im Trendcheck gelangt er zum Ergebnis, dass Top-Manager in ihrer Rolle als „Helden“ abgedankt hätten. Dumm ist derjenige, der heute nicht auf seine Work-Life-Balance achtet, denn „einige Helden der selbstbestimmten Arbeit verfassen im Büro nebenbei eine Magisterarbeit oder nutzen jede freie Minute, um an der Komposition ihrer ersten Symphonie weiter zu arbeiten oder den nächsten Sommerurlaub auf Sardinien zu planen.“ Dem nächsten Manager, der sich in Hong Kong aus dem Fenster wirft, kann man also getrost nachrufen, dass er mit einem Orden nicht zu rechnen hat – hätte sich ja auch mal eine Stunde ans Piano setzen können. Klappt die Selbsthilfe nicht mehr, bringt der Verhaltenstherapeut die Zauberformel „Work-Life-Balance“ in den Phrasen der Autosuggestion auf den Punkt; fest steht: es kommt auf dich an!
Jedoch steht für alle fest, dass es auf sie nicht ankommt: Als Arbeitskraftbehälter ist jeder austauschbar – potentiell überflüssig, weil Maschinen übernehmen können, was wir am Markt feilbieten. Die Produktivkraftsteigerung würde eine Abkehr von dem Mühsal der Lohnarbeit ermöglichen. Der Zwang sich zu verdingen, um seinen Lebensunterhalt zu stemmen, hält an, wenngleich die Umstände dies überhaupt nicht verlangen. Längst lebt ein erheblicher Teil der Menschen von Leistungen des Staates, sei dies nun in Form von direkten Transferleistungen oder Jobs, die die reine Untätigkeit zementieren. Auf Gedeih und Verderb sind diese dem Wohlgefallen des Staates ausgeliefert, sie hängen ihm an und werden verwaltet. Das Hauen und Stechen auf dem Markt bildet sich hier fort.
ManagerInnen und TransferempfängerInnen mögen sich in ihrer finanziellen Lage unterscheiden, einen tut sie jedoch tägliche Erfahrung, in einer verwalteten Welt zu hausen, die sie in völligem Gehorsam gegenüber der Ökonomie zwingt sich zu verdingen. Was in der Work-Life-Balance zur Parole wird, ist blanke Ideologie, die die Last gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Einzelnen abwälzt. Die Kränkung des Ichs, welche sich in Schuldgefühlen gegen die Einzelnen richtet und in der Depression kulminieren, werden in der Verhaltenstherapie als Scheitern des Individuums attestiert, wo deren gesellschaftliche Ursache zu bekämpfen wäre.
Zieht man der Psychoanalyse den Stachel der Gesellschaftskritik, verkommt sie zum Instrument einer Welt der Knechtschaft. Eine Welt der Hiebe, die den Einzelnen die Versagung aufdrängt und zum Scheitern Verurteilt, weil sie gut daran tut, jegliche Blick auf einen Ort jenseits des Opfers zu verstellen. In ihr war die Zukunft gestern und heute ist morgen, weil sie nur einen Ausblick ermöglichen will: Herrschaft auf Dauer, Schrecken ohne Ende!
Referieren wird: Elyas Kamp. (Autor und Publizist aus Freiburg).