Bundesverfassungsgericht: NPD-Anwalt beruft sich auf den liberalen Westen

Erstveröffentlicht: 
03.03.2016
Kann ein Parteienzwerg akut gefährlich für die Demokratie sein? Am zweiten Tag der Verhandlung über ein Verbot der NPD gibt es uneinige Experten und brillante Diskurse.
Von Heinrich Wefing, Karlsruhe

 

Ob das Bundesverfassungsgericht die rechtsextreme NPD verbieten wird, lässt sich auch nach dem zweiten Tag der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe noch kaum abschätzen. Es gibt allenfalls einen Zwischenstand: Sehr knapp gesagt lief der Vormittag gut für die Befürworter des Parteiverbots, die zweite Halbzeit, der Nachmittag, hingegen schlecht.

 

Gleich zu Beginn der Sitzung hatte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle mit einer nüchternen Bemerkung alle Hoffnungen der NPD abgeräumt, der Prozess könne, wie schon einmal 2003, aus formalen Gründen platzen. Damals hatte sich herausgestellt, dass die NPD-Führung mit V-Leuten der Sicherheitsbehörden durchsetzt war, ein massives Prozesshindernis, da der Staat eine Partei verbieten wollte, an deren Willensbildung er selbst mitwirkte, wenigstens indirekt.

 

Den ganzen ersten Verhandlungstag am Dienstag über hatte der Anwalt der NPD, Peter Richter, hartnäckig Zweifel gestreut, ob seine Partei heute denn wirklich "staatsfrei" sei. Doch um kurz nach zehn am Mittwoch zerstoben seine Hoffnungen. Voßkuhle verkündete, nach intensiver Beratung sei das Gericht mindestens vorläufig überzeugt, dass "keine Prozesshindernisse" bestünden. Ein wichtiger Erfolg für den Bundesrat, der das Parteiverbotsverfahren betreibt. Alle Geheimdienste und Polizeien und die Landesinnenminister hatten beteuert, ihre Spitzel in der NPD-Führung in den vergangenen Jahren mit enormem Aufwand "abgeschaltet" oder zurückgezogen zu haben. Das zahlte sich nun aus – wenngleich die Frage bleibt, wie gefährlich eine Partei denn wirklich ist, wenn es auch ganz ohne Infiltration geht.

 

Damit begann die Diskussion über das Eigentliche: die Voraussetzungen eines Parteiverbots und den politischen Charakter der NPD. Was genau nämlich ein Parteienverbot rechtfertigt, ist einigermaßen unklar. Das Grundgesetz sagt dazu nur einen einzigen, ziemlich auslegungsbedürftigen Satz, und seit 1949 hat es erst zwei Parteiverbote gegeben, in den 50er-Jahren, kurz nach dem Ende der NS-Herrschaft also und mitten im Kalten Krieg. Was damals galt, als die Demokratie in Deutschland noch reichlich wackelig war, taugt heute nicht mehr unbedingt als Maßstab.

 

Die bloßen Ziele reichen nicht für ein Verbot

 

In einem streckenweise brillanten, manchmal sogar witzigen Diskurs zwischen Richtern und Anwälten, den der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers, der Vertreter des Bundesrates, dominierte, schälten sich nach und nach ein paar unstrittige Punkte heraus. Bloße Absichten, Ziele oder Programmsätze einer Partei genügen nicht, um sie zu verbieten. Da waren sich alle einig. Andererseits muss eine Partei auch nicht kurz vor der Machtübernahme stehen, ehe sie verboten werden kann. Dann wäre es vermutlich schon zu spät.

 

Was aber muss zu den bösen Zielen noch hinzukommen? Braucht es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie auch durchgesetzt werden können, ein bestimmtes Maß an akuter Gefahr für die Demokratie? Und wenn ja, wie groß, wie konkret muss diese Gefahr sein? Eine Wahrscheinlichkeitsprognose sei heikel, meinte Möllers, niemand könne doch wissen, wie sich die politischen Verhältnisse entwickelten, schon heute sei die Lage ja völlig anders als 2013, als der Bundesrat den Antrag gegen die NPD stellte. Tatsächlich: damals brannten noch keine Asylbewerberunterkünfte, gab es keine Flüchtlingskrise, niemand baute Zäune in Europa.

 

NPD-Anwalt Richter versuchte zu argumentieren, eine Partei dürfe nur dann verboten werden, wenn sie Gewalt einsetze oder illegal handele. Das sei der Maßstab in allen liberalen, westlichen Demokratien (dass sich ausgerechnet der NPD-Mann auf den liberalen Westen berief, blieb nur eine Pointe am Rande). Dem entgegnete Verfassungsrichter Peter Müller, die historische Erfahrung des Grundgesetzes sei es ja aber gerade gewesen, dass die Nazis auf legalem Wege die Macht ergriffen hätten, und genau das solle ein Parteienverbot verhindern, Illegalität könne also nicht der einzige Maßstab sein

 

Rückzugsgefechte oder Ablenkungsmanöver?

 

Deshalb geriet die Frage nach der "Wesensverwandtschaft" einer Partei mit dem Nationalsozialismus in den Blick. Im Vereinsrecht reicht das regelmäßig für ein Vereinsverbot aus. Wenn eine Partei antisemitisch sei, rassistisch, den NS verherrliche und die Demokratie verächtlich mache, dann könne sie verboten werden, argumentierten die Vertreter des Bundesrates. Richter Müller aber fragte immer wieder skeptisch nach: Laufe das nicht doch darauf hinaus, bloße Überzeugungen mit dem Verbot zu belegen? Und wenn die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewollt hätten, dass NS-Nähe ausreiche, dann hätten sie das doch ins Grundgesetz schreiben können? Nichts dergleichen aber stehe in der Verfassung.

 

Kurioserweise war es der NPD-Anwalt, der noch einen ganz anderen Gedanken einführte. Man könne doch auch darüber nachdenken, schlug Richter vor, das harte Schwarz-Weiß, Ja oder Nein, Alles oder Nichts beim Verbot zu differenzieren: Könne eine Partei im Grenzbereich zwischen Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit nicht vielleicht auch bloß auf Zeit verboten werden? Oder von den Wahlen ausgeschlossen werden, ansonsten aber unangetastet bleiben? Oder könnte ihr lediglich die staatliche Finanzierung gestrichen werden? Schwer zu sagen, ob das schon Rückzugsgefechte der NPD sind oder bloße Ablenkungsmanöver.

 

In der Mittagspause jedenfalls hatten manche Beobachter den Eindruck, es laufe wohl doch auf ein Parteiverbot hinaus.

 

Nach der Unterbrechung hörte das Gericht vier Sachverständige an – und das Bild änderte sich ganz erheblich. Als erster trat der Chemnitzer Extremismusforscher Eckhard Jesse vor die Richter. Er plädierte vehement gegen ein Verbot der NPD. Die Partei sei ein "Zwerg", sie finde keinen Anklang in der Bevölkerung, verliere Zustimmung und Mitglieder, spiele im Westen der Republik keine Rolle, sei "schwächer denn je" und stelle keine Bedrohung für die Demokratie dar. Sie mache sich größer als sie sei, man dürfe ihr nicht auf den Leim gehen. Angesichts der Wucht des Auftritts blieb Christoph Möllers nur, methodische Zweifel an der Arbeit des renommierten Forschers zu formulieren – ein ziemlich seltener Vorgang vor dem Verfassungsgericht.

 

Auch der Dortmunder Politikwissenschaftler Dierk Borstel äußerte Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Verbots. Borstel schilderte eindrucksvoll, wie es die Partei geschafft habe, in bestimmten "abgehängten" Regionen Vorpommerns erheblichen politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Das sei aber eher auf die dort herrschende "Krise der Demokratie" und den Zusammenbruch der Lebenswelt nach 1989 zurückzuführen als auf die ideologische Attraktivität der NPD. Die Partei habe zudem nicht das Potential, sich aus ihren wenigen ländlichen Hochburgen in die ganze Republik auszudehnen. Er hätte sich gewünscht, sagte Borstel, der selbst jahrelang in der Region Anklam gelebt hat, "dass das Engagement, das jetzt in ein Parteiverbot gelegt wurde," in den vergangenen 15 Jahren in zivilgesellschaftliche Projekte gegen Rechts geflossen wäre. Ein scharfer Hieb gegen die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, die zu den Betreibern des NPD-Verbots gehört.

 

Die "Terrorspirale" der NPD

 

Hingegen plädierte der Dresdner Politikwissenschaftler Steffen Kailitz deutlich für ein Verbot. Er argumentierte, die NPD plane eindeutig "Staatsverbrechen", geradezu eine "Terrorspirale", die verharmlosend "Rückführung" genannte Vertreibung aller Nicht-Deutschen nämlich, samt ihrer Enteignung. Das ergebe sich zweifelsfrei aus ihren Programmen. Allerdings bewegte sich Kailitz damit im Bereich der bloßen Ziele und ideologischen Überzeugungen, die eben gerade nicht allein für ein Verbot ausreichen sollen. Welchen tatsächlichen Einfluss denn die NPD in der Bundesrepublik habe, fragte Richter Müller skeptisch nach. Das sei sehr schwer abzuschätzen, erwiderte Kailitz.

 

Schließlich, es war längst Abend geworden in Karlsruhe, trat die Journalistin Andrea Röpke auf, die seit Jahren in der Neonazi-Szene recherchiert. Sie schilderte, wie schwer, mitunter fast unmöglich es sei, über die NPD zu berichten, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, sie sprach von Angst, die erzeugt werde, von Einschüchterungen, von Bedrohungen und Gewalt. Sehr deutlich wurde dabei, wie eng die NPD längst mit einem unübersichtlichen Netzwerk von anderen rechten Gruppen, Kameradschaften, Jugendorganisationen, militanten Banden verflochten sei. Eine Führungsrolle der NPD in dieser "nationalen Bewegung" habe es einmal gegeben, ob sie noch immer bestehe, blieb hingegen offen, auch nach mehreren Nachfragen der Richter.

 

Dass die NPD eine widerliche rassistische Ideologie verfolgt, machten alle vier Vorträge deutlich. Eine akute Gefahr für die deutsche Demokratie allerdings stellt sie nicht dar. Aber vielleicht kommt es darauf ja auch gar nicht an. Am Donnerstag wollen die Richter die Verhandlung zu Ende bringen. Wann sie dann ihr Urteil fällen, ist noch nicht abzusehen.