Am Montag vergangene Woche wurde ein junger Mann tot in Kraichtal aufgefunden. Der Verstorbene war der Lebensgefährte einer verstorbenen NSU-Zeugin, sein Tod wirft viele Fragen auf. "Mein Glaube an das Erklärungsprinzip 'Zufall' schwindet mit jedem Todesfall", meint der Karlsruher Landtagsabgeordneter Alexander Salomon, der im NSU-Untersuchtungsausschuss sitzt. Im Interview mit ka-news spricht der 29-jährige Landtagsabgeordnete über den aktuellen Sachstand und Fehler der Ermittlungsbehörden.
Herr Salomon, wie nun bekannt wurde, gab es einen weiteren Todesfall im NSU-Umfeld. Sie sitzen im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages und befassen sich schon länger mit dem Thema. Was hat die neuste Meldung bei Ihnen ausgelöst?
Erschütterung und Beklemmung. Der Tod eines Menschen ist immer tragisch - so war es bereits beim Fall der 20-jährigen NSU-Zeugin, die vor dem Ausschuss ausgesagt hat. Ich habe zwar bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass der Tod etwas mit dem NSU-Komplex zu tun haben könnte, aber mein Glaube an das Erklärungsprinzip "Zufall" schwindet natürlich mit jedem Todesfall.
Es ist ja nicht der erste Todesfall seit der NSU aufgeflogen ist. Der jüngste Fall ist insgesamt der fünfte Todesfall. Kann man da Ihrer Meinung nach von schon von einem Muster sprechen?
Nein, ein Muster kann ich, zumindest für die Fälle, die ich überschauen kann, nicht erkennen. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Todesfälle und auch um Personen, die unterschiedlich nah an dem Ermittlungskomplex rund um den "Nationalsozialistischen Untergrund" dran waren.
Im Fall Florian H.hat unser NSU-Untersuchungsausschuss die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft überprüft. Dabei haben wir viele Fehler gefunden, aber am Ende trotzdem keine Hinweise auf einen Mord. Meiner Meinung nach ist es jedoch im Bereich des Möglichen, dass Florian H. von Rechtsextremisten bedroht und damit letztlich in den Tod getrieben wurde. Mehrere Zeugen haben berichtet, dass sich der junge Mann bedroht gefühlt habe und sein Szene-Ausstieg mit Ängsten verbunden gewesen sei.
In diesem Bereich hätte der Untersuchungsausschuss noch einigen Fragen nachgehen können, was aber nicht mehr geschehen ist. Hinzu kommt, dass manche etwaigen Beweismittel für immer verloren sind, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart 2013 kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, sondern gleich von einem Suizid ausgegangen ist. Der Mail-Account von Florian H. wurde beispielsweise nie auf Droh-Mails hin überprüft.
Der junge Mann aus Kraichtal soll nach aktuellem Ermittlungsstand Suizid begangen haben. Die Tageszeitung (taz) bezeichnet ihn als "potentiellen Zeugen". Welche Rolle hat der Tote für die NSU-Ermittlungen gespielt?
Also ich hatte ihn nicht als etwaigen Zeugen auf dem Schirm. Denn mir ist nicht bekannt, dass er entsprechende Kenntnisse gehabt hätte. Aber ausschließen kann ich das natürlich nicht. Gegenüber dem Ausschuss hat er auf jeden Fall keine Anmerkungen oder Hinweise gemacht.
Die im vergangenen Jahr verstorbene Zeugin hatte angegeben, dass sie Angst habe, allerdings nicht genau benennen konnte, wovor. Gab es in ihrem Umfeld Aussagen, dass auch ihre Angehörigen Angst hätten?
Das wäre mir zumindest nicht in Erinnerung. Aber falls es so wäre, wüsste ich das wahrscheinlich auch gar nicht. Denn ich habe mit keinen Verwandten von ihr gesprochen - dies ist nicht üblich.
Wie würden Sie Ermittlungen im Zuge der NSU-Morde bisher rückblickend beschreiben?
Die Ermittlungen sind noch lange nicht zu Ende. Wenn wir uns im Untersuchungsausschuss mit einer Frage befasst haben, kam es vor, dass gleich mehrere neue Fragen entstanden sind. Polizei und Politik müssen die Aufklärung fortsetzen. Wichtig wäre, dass dabei tatsächlich schonungslos gearbeitet wird. Insbesondere die Hintergründe des Mords und des versuchten Mords auf der Theresienwiese in Heilbronn sind bis heute offen. Hier müssen wir weiter arbeiten.
Am Donnerstag, 18. Februar, debattiert der Landtag den Abschlussbericht des NSU-Ausschusses. Konnten denn alle offenen Fragen beantwortet werden?
Nein, es gibt auf viele Fragen noch keine Antwort. In den meisten Fällen kann der Ausschuss nur Zwischenergebnisse vorlegen, auch wenn im fraktionsübergreifend und damit kompromissreich abgefassten Abschlussbericht teilweise ein anderer Eindruck erweckt wird. Deshalb habe ich ja auch nicht zugestimmt, sondern mich der Stimme enthalten.
Für mich gibt es in allen großen Themenfeldern, die wir bisher bearbeitet haben, weiteren Untersuchungsbedarf. Das betrifft den Mordfall "Kiesewetter", der Todesfall "Heilig" und insbesondere den Ku-Klux-Klan (KKK). Gerade beim KKK sind wir auf ein unübersichtliches Personengeflecht gestoßen, das aus Rechtsextremisten besteht, die vielfältig in der Nazi-Bewegung aktiv sind oder waren. Und wie wir wissen, waren auch die drei mutmaßlichen Haupttäter des NSU an Kreuzverbrennungen beteiligt.
Hier gibt es noch viel zu recherchieren und zwar länderübergreifend. Den Themenkomplex, in dem es um die Kontakte des Trios nach Baden-Württemberg geht, haben wir aus zeitlichen Gründen noch gar nicht behandelt. Der neue Landtag muss unbedingt wieder einen neuen Untersuchungsausschuss einrichten.
Die Fragen stellte Ramona Holdenried.
Hintergrund:
Vergangene Woche kam ein junger Mann mit Nähe zu NSU-Komplex ums Leben. Die Staatsanwaltschaft geht bislang von einem Suizid aus, ermittelt aber weiter. Es ist der dritte Todesfall im Zusammenhang der NSU-Morde innerhalb weniger Jahre. Die Lebensgefährtin des nun gefundenen Toten war vor nicht ganz einem Jahr unter zunächst unklaren Umständen gestorben. Die 20-Jährige hatte kurze Zeit zuvor noch vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags ausgesagt.
Ihr Lebensgefährte hatte sie dann Ende März mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung vorgefunden - die Ärzte hatten der jungen Frau nicht mehr helfen können. Ein Fremdverschulden wurde von den Behörden ausgeschlossen. Die Zeugin erlag nach Angaben der Polizei einer Lungenembolie.
Bei der 20-Jährigen aus Kraichtal aus dem Kreis Karlsruhe handelte es sich um eine Ex-Freundin von Florian H., einem ehemaligen Neonazi. Florian H. soll gewusst haben, wer die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn getötet hat. Der Mord wird den Rechtsterroristen des NSU zugerechnet. 2013 verbrannte der Zeuge in seinem Wagen in Stuttgart. Am Tag seines Todes hatte H. noch einmal von der Polizei befragt werden sollen.