Gewalt gegen Journalisten - LEGIDA attackiert und die Polizei schaut zu

Erstveröffentlicht: 
15.02.2016

Am 19. März 2015, 14 Uhr, saßen alle im großen Versammlungsraum der Polizeidirektion Leipzig an der Dimitroffstraße 1 zusammen, der Polizeipräsident von Leipzig, Bernd Merbitz hatte sie eingeladen. Die Presse aus Sachsen, BILD, LVZ, Sächsische Zeitung und viele mehr. Das einzige Thema der vorab etwas diffus zur Aussprache angekündigten Runde: LEGIDA und die Medien. Binnen weniger Minuten wurde klar, worum es eigentlich ging. Merbitz warb um Vertrauen und versuchte die Regeln zwischen Presse, Polizei und Demonstranten aus Sicht seiner Beamten zu definieren.

 

Tenor damals: Wir können nicht jeden schützen, die Journalisten müssten sich doch zurückhalten. Dieser Tenor hat sich längst zu einer Haltung entwickelt, welche vor allem lokale Journalisten in Leipzig allein lässt, da sie schlicht oft erkannt werden. Bereits Anfang 2015 hatte es ausreichend Grund zum Treffen gegeben, denn bereits zu diesem Zeitpunkt hatten Einsatzbeamte am 21. Januar 2015 einen gezielten Angriff auf Fotojournalisten geschehen lassen und anschließend den Vorgang im Lagebericht an die zentrale Einsatzleitung vergessen zu erwähnen. Minutenlang konnten sich an der Spitze des Versammlungszuges teils vermummte Hooligans und Rechtsradikale ohne Eingreifen der Polizei auf die anwesenden Journalisten konzentrieren, kurz darauf kam es zu Jagdszenen, später flogen Steine. Bis heute ist keiner der Täter vor Gericht gestellt worden.

 

Ein Vorgang, welcher in über 10 Jahren Demonstrationsbeobachtungen der L-IZ nicht einmal auf NPD-Versammlungen möglich schien.

 

Ein Dauerzustand wird Normalität


Das Versprechen damals seitens der Leipziger Polizei lautete, Vermummte umgehend anzusprechen, notfalls aus der Versammlung auszuschließen und stärker auf die Sicherheit der anwesenden Journalisten zu achten. Was folgte, war eine endlose Aneinanderreihung von gezielten Beleidigungen, Bedrohungen, Tätlichkeiten und Übergriffe auf Journalisten durch verschiedene Teilnehmer der seit langer Zeit durch Markus Johnke angemeldeten Demonstrationen unter den Augen der Polizei.

 

Neben den Dauerrufen „Lügenpresse“ („auf die Fresse“) unter den Augen der zur Absicherung des friedlichen Verlaufes eingesetzten Polizeibeamten und Versuche rechtsextremer Teilnehmer, Journalisten in Portraitaufnahmen zu fotografieren und anschließend in den sozialen Netzwerken zu verunglimpfen, hat sich dabei in den vergangenen Monaten die Palette der Attacken weiter ausdifferenziert. Darunter auch gezieltes Sprühen mit Wasser, Limonaden oder ähnlichem, um Kameratechnik zu beschädigen, das Schlagen nach Kameratechnik, teils mit dem Ziel, auch die fotografierende Person an der Kamera zu verletzen.

 

Neue Varianten der Aggression


Die seit einigen Wochen neuere Variante ist zudem das Ausleuchten mittels transportabler Baulampen (blaues Blendlicht) in Richtung der Kameras, teils zur einfachen Behinderung der Berichterstattung bis hin zum Vertuschen von offensichtlich gemeinsam geplanten Straftaten. Neu auch ist das Mitbringen von Angelruten aus Fiberglas, neben Vermummungen und den Baulampen eher kein von den üblichen Demonstrationsauflagen gedecktes Mittel der friedlichen Meinungsäußerung unter freiem Himmel.

 

Während sich LEGIDA-Teilnehmer unter den Augen der eingesetzten Polizeibeamten erneut zunehmend aufmunitionieren und sich auch durch polizeiliches Handeln bestärkt sehen, gilt Markus Johnke der Stadt Leipzig, dem Ordnungsamt und der Polizeidirektion Leipzig offensichtlich nach wie vor als verlässlicher Anmelder der LEGIDA-Aufmärsche in Leipzig. Die gegebene Möglichkeit, die Anmeldetätigkeit von Markus Johnke aufgrund von Vorfällen auf seinen Demonstrationen einzuschränken oder zu unterbinden, hat bis heute nicht stattgefunden. Ebenso Fehlanzeige: Die konsequente Verfolgung der Täter trotz Strafanzeigen. Das Zeichen seitens derer, die es sich aufgrund der Rundfunkgebühr leisten können: seit Neuestem ist der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) dazu übergegangen, seinen Mitarbeitern gebührenfinanzierte Bodyguards an die Seite zu stellen.

 

Nicht zuletzt kam und kommt es darüber hinaus zu Behinderungen von Pressearbeit durch Polizeibeamte selbst. Hierbei ist zu beobachten, dass ein normales Vorgehen seitens der betroffenen Journalisten keine Ergebnisse zeitigt – die entsprechenden Einsatzbeamten werden gedeckt, immer wird versucht, im Falle eines Fehlverhaltens durch sogenannte „Gegenanzeigen“ Journalisten selbst zu kriminalisieren, wenn es um Polizeibeamte geht. Längst sind Vernetzungen von Polizeibeamten in die rechtsextreme Szene in Sachsen zu konstatieren – entgegen der politischen Neutralität der Polizei führen auch diese Vorgänge zu keinen nachvollziehbaren Reaktionen seitens der Polizeiführung Leipzigs. Denn auch diesen Vorgängen wird seitens der Polizei nicht konsequent nachgegangen, die Beamten werden offenbar geschützt und sind weiterhin im aktiven Dienst.

 

Keine Änderung in Sicht


Bislang richten sich regelmäßig Verwarnungen bis hin zu Platzverweisen unter den Augen von LEGIDA-Teilnehmern seitens der Polizei nach Bedrohungen vor allem gegen Journalisten. Das „Danke Polizei“ am Ende manches Aufmarsches ist neben der versuchten Solidarisierung seitens LEGIDA auch das Echo auf dieses Vorgehen. Umgekehrt weigern sich oft genug vor Ort eingesetzte Polizeibeamte, Strafanzeigen von Seiten der Journalisten aufzunehmen, das Fehlverhalten einiger Beamter wird hingegen nicht verfolgt, die Verfahren verlaufen intransparent im Sande.

 

Mittlerweile Normalität in Leipzig: Das Unterlassen von normalem polizeilichem Handeln wird zu einem vorgeblich unmöglichen Schutz von Journalisten uminterpretiert, da diese sich selbst in Gefahr bringen würden. Dies mag für Kriegs- und Krisengebiete gelten, in denen sich staatliche Gewalt bereits aufgelöst hat, Sicherheitskräfte nicht vorhanden oder heillos überfordert sind. Wie es in Leipzig auf Demonstrationen von LEGIDA aussieht, zeigt eine Chronik der Übergriffe, welche am Freitag, 12. Januar 2016, erstmals in der LEIPZIGER ZEITUNG veröffentlicht wurde und nun auch hier auf L-IZ.de nachzulesen ist.

 

Einzelne Drohungen, Beleidigungen und Verbalattacken von LEGIDA-Teilnehmern finden dabei keine Erwähnung. Weitere Fälle, in denen Polizeibeamte Informationen an Rechtsextreme weitergaben, bleiben ebenfalls unerwähnt und sind hier und hier auf L-IZ.de nachlesbar. Alle in der Chronik aufgeführten Fälle beschreiben nur berichtete Übergriffe und teilweise die Reaktionen seitens der Polizei direkt vor Ort.

 

Inwieweit die Pressefreiheit hierbei noch gewährleistet ist, bleibt vorerst unbeantwortet.


Weshalb es seitens der L-IZ.de derzeit und nach langen internen Debatten nur eine Antwort geben kann. Die Leipziger Polizeidirektion ist längst aufgefordert, geeignete Maßnahmen im Sinne einer Begleitung von Demonstrationen seitens LEGIDA durch die Presse vorzuschlagen. Und diese transparent darzulegen, damit sich Demonstrationsteilnehmer bei LEGIDA ebenso wie eigene Einsatzbeamte zukünftig im entsprechenden Maße daran halten.

 

Die Zeit für Beschwichtigungen ist jedenfalls seit dem 1. Februar 2016 und dem gezielten Angriff nach vorheriger Bedrohung auf einen unserer langjährig mit Demonstrationen erfahrenen Kollegen vorbei. Was die Journalisten der L-IZ.de zu einem Offenen Brief an die Polizeidirektion und eine notwendige Konsequenz veranlasst. Wir werden bis zum Vorliegen eines Maßnahmenkataloges mit präventiven Maßnahmen bei LEGIDA-Demonstrationen seitens der Polizeidirektion Leipzig, der Stadt Leipzig oder/und klarer Signale seitens der sächsischen Staatsregierung bis auf weiteres die Liveberichte vor Ort einstellen.

 

Ein einmaliger Vorgang nach nun knapp 11 Jahren Leipziger Internet Zeitung und unzähligen Demonstrationsbegleitungen in dieser Zeit. Ein Ergebnis anhaltender, polizeilich geduldeter Bedrohung und der Übergriffe seitens der LEGIDA-Demonstranten an nahezu jedem Montag, welchen wir in unserer Stadt berichteten. Wir werden auch beim Ausbleiben einer Reaktion neue Varianten finden. Doch besser wird es dadurch im Interesse einer aufgeklärten Gesellschaft nicht.

 

Legida, Pegida und die Polizei auf L-IZ.de