Jetzt fliehen Frauen und Kinder nach Europa

Erstveröffentlicht: 
15.02.2016

Ein europäisches Land nach dem anderen schliesst seine Grenzen für Flüchtlinge. Doch neue Zahlen der UNO zeigen: Aktuell sind die besonders Schutzbedürftigen unterwegs. Aus zwei Gründen.

 

Nach Europa fliehen vor allem junge starke Männer. Dieser vermeintliche Fakt hat in den vergangenen Monaten die Flüchtlingsdebatte geprägt – und wird als Argument für eine härtere Politik immer wieder angeführt. Doch auf der Hauptfluchtroute aus dem Nahen Osten nach Europa sind inzwischen Frauen und Kinder in der Mehrheit, wie neue Zahlen der UNO-Flüchtlingsorganisation belegen.

 

Waren im letzten Sommer noch beinahe drei Viertel der Flüchtlinge, die in Griechenland ankamen, Männer, ist deren Anteil inzwischen auf gut 40 Prozent gesunken. Frauen und Kinder machten gemäss der UNO im Januar fast 60 Prozent der Flüchtlinge aus. Vor allem der Anteil Minderjähriger unter den Flüchtlingen ist stark angestiegen.

 

Für diese Entwicklung werden zwei Gründe genannt:

 

Familiennachzug: Männer, die in den vergangenen Monaten in Europa angekommen sind, holen jetzt ihre Familien nach. Weil der reguläre Familiennachzug via Antrag bei den Behörden nicht funktioniert, wählen auch Frauen und Kinder die gefährliche Balkanroute.

 

Chancen auf Asyl: Frauen und Kinder haben eine grössere Chance, in Europa aufgenommen zu werden. Es ist denkbar, dass sich vor diesem Hintergrund mehr auf den Weg machen.

 

Trotz schlechterer Bedingungen sind in diesem Winter sehr viele Menschen auf der Balkanroute in Richtung Europa unterwegs. Seit dem 1. Januar sind in Griechenland fast 80'000 Menschen angekommen – oder etwa 2000 pro Tag. Das sind zwar klar weniger als noch im Herbst, aber viel höhere Werte, als die meisten Experten erwartet hatten.

 

Etwa die Hälfte der Ankommenden stammen aktuell aus Syrien und sind damit definitiv Kriegs- und nicht Wirtschaftsflüchtlinge. Mehr als 300 Menschen sind in diesem Jahr auf der Fahrt über die Ägäis gestorben. Das Winterwetter, die raue See und die beinahe täglichen Schiffsunglücke schreckten die verzweifelten Menschen nicht ab, schreibt die UNO. Und fordert zum wiederholten Mal eine sichere Möglichkeit für Flüchtlinge, um nach Europa zu gelangen.

 

Europa schliesst die Grenzen


Die Entwicklung in Europa geht allerdings in eine andere Richtung. Die Staaten, die an der Balkanroute liegen, erschweren die Flucht immer mehr. Schon seit Mitte November lässt beispielsweise Mazedonien nur noch Syrer, Afghanen und Iraker einreisen. Seit Januar dürfen gar nur noch jene Flüchtlinge die Grenze überqueren, die in Deutschland oder Österreich einen Asylantrag stellen wollen.

 

Slowenien wiederum hat heute bekannt gegeben, dass es ab sofort die Einreise von Flüchtlingen begrenzt. Details sind noch nicht bekannt. Eine Tageslimite von 1000 Personen steht aber im Raum. Slowenien reagiert damit auf einen anstehenden Entscheid Österreichs. Gemäss Medienberichten plant auch Österreich die Einführung einer Tageslimite.

 

Ausserdem wird in Kürze die Obergrenze erreicht, die das Land für dieses Jahr für die Aufnahme von Flüchtlingen gesetzt hat. Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz sagte am letzten Freitag nach einem Besuch in Mazedonien: «Österreich hat eine Obergrenze von 37'500 beschlossen – und diese wird im Laufe der nächsten Wochen erreicht sein. Darüber habe ich meine Gesprächspartner auf dem Westbalkan informiert.» Was nach dem Erreichen dieser Obergrenze passiert, ist weiterhin unklar. Das auf der Balkanroute vorgelagerte Serbien drohte heute vorsorglich mit der Schliessung seiner Grenzen, sollten dies andere Staaten entlang der Route tun.

 

Am Gipfel am Donnerstag diskutieren die Staats- und Regierungschefs der EU schliesslich einmal mehr den Plan der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Flüchtlinge mittels fixer Quoten auf ganz Europa zu verteilen. Es sieht momentan nicht danach aus, dass die Kanzlerin sich durchsetzen kann. Der Plan der EU, in grosser Zahl Flüchtlinge direkt aus den Lagern in der Türkei, dem Libanon und Jordanien nach Europa zu holen und ihnen so die gefährliche Flucht über die Balkanroute zu ersparen, lässt sich ohne Quoten jedoch nicht umsetzen.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)