Mitten in Berlin "Luxuskarren entglast und warm verschrottet"

Erstveröffentlicht: 
07.02.2016

In Berlin demolieren Linksautonome Autos und verbreiten Angst und Schrecken. Ihr Zorn richtet sich nicht nur gegen die Gentrifizierung, sondern gegen Sozialdemokraten. Anwohner sind fassungslos. Die Berliner Flottwellstraße gehört zu den Flecken der Stadt, die Symbol für den Boom der Metropole sind – je nach Sichtweise im Guten oder im Schlechten.

Sie liegt mitten zwischen den zwei Gesichtern Berlins, dem armen und dem reichen. Wer von ihrem einen Ende aus die Kurfürstenstraße wenige Minuten lang in Richtung "Potse" (Potsdamer Straße) läuft, landet in einem der traurigsten Straßenstriche Deutschlands, wo ausgemergelte Drogensüchtige ihren Körper feilbieten. Vom anderen Ende der Flottwellstraße sind es wenige Gehminuten zum Potsdamer Platz, wo Heerscharen von Touristen zwischen mehr oder weniger gelungenen Neubauten Selfies schießen. Noch vor gar nicht so langer Zeit war die Flottwellstraße ein sehr hässliches Stück des alten Westberlins mit heruntergekommenen Häusern und vielen Gewerbebetrieben, ein Areal, das alles andere als zum Flanieren einlud. Lücken zwischen den einstigen Mietskasernen, die die Bomben des Zweiten Weltkriegs gerissen hatten, waren zu Westberliner Zeiten baulich nicht geschlossen worden. Die Polizei blitzte gern in der Tempo-30-Straße, weil es hier nun wirklich niemand vermutete. Die Flottwellstraße wirkte nicht wie das Ende der Welt, aber sehr wohl wie das Ende Berlins. Wäre da nicht das "90 Grad" gewesen, eine der besten, angesagtesten und viel besuchten Diskotheken in jenen Tagen, als Berlin noch nicht Investoren und Vermögende anlockte, die sich eine Wohnung in der Stadt halten, die sie einmal im Jahr nutzen. Die Wut auf Leute mit Geld Inzwischen hat sich das gewandelt. Das "90 Grad" hat vor etlichen Jahren dichtgemacht. Das Gelände, wo es sich befand, ist eines der ganz wenigen in dem Gebiet, das noch nicht neu bebaut wurde. Ansonsten hat die Straße ein komplett neues Gesicht. Ihre Lage ist spektakulär. Sie liegt auf der Grenze zwischen Schöneberg, Kreuzberg und Mitte, alles sehr beliebte Bezirke, wo die Mieten gerade in jüngerer Zeit drastisch stiegen und es teilweise zur Verdrängung alteingesessener Anwohner kam und kommt, die sich das Leben dort nicht mehr leisten können. Einige Hundert Miet- und Eigentumswohnungen entstanden an der Flottwellstraße. Wie so oft in Berlin, waren die meisten Bleiben verkauft, ehe sie fertig gebaut worden waren. Die Preise lagen im Sommer 2014, als eine größere Wohnanlage Richtfest feierte, bei mindestens 3200 Euro pro Quadratmeter. Heute dürfte der Wert schon darüber liegen. Linksextreme autonome Gruppierungen, die in Berlin in den vergangenen Jahren nach Beobachtungen des Verfassungsschutzes gefährlicher geworden sind, machen seit Jahren gegen die Gentrifizierung, also das neue, vermögende Gesicht Berlins, mobil. Dass Dutzende Mitglieder der Szene gerade die Flottwellstraße aussuchten, um ihrer Wut auf Leute mit Geld Ausdruck zu verleihen, wundert ebenso wenig wie die zynischen Begründungen, warum sie am Wochenende hier auf einen Schlag vier Autos niederbrannten, zwei Dutzend weitere beschädigten und Scheiben diverser Läden demolierten. Klassenkampf auf der Straße Auf der ultralinken Internetplattform Indymedia wurde erklärt, ein "sozialdemokratisches Volksfahrräderkommando ,Noske und Ebert'" – benannt nach den SPD-Urgesteinen Gustav Noske und Friedrich Ebert – habe in der Flottwellstraße "Luxuskarren entglast und warm verschrottet". Die SPD müsse "endlich den Klassenkampf wieder auf die Straße tragen", hieß es. "Als Sozialdemokrat_innen fühlen wir uns verpflichtet, die Stimmung anzuheizen, damit der Volksgenosse Tom Schreiber was zum Hetzen hat." Schreiber ist innenpolitischer Sprecher der Berliner SPD. Die linksautonome Szene hetzt seit Wochen gegen ihn sowie andere Sozialdemokraten. Sie verübte mutmaßlich auch Anschläge auf Büros diverser SPD-Parlamentarier. Aber es ist vor allem Schreiber, der den Zorn der Ultralinken auf sich gezogen hat, weil er ein ebenso entschlossenes Vorgehen des Staates gegen Links- wie gegen Rechtsextremisten fordert. Ein Blick auf Twitter-Beiträge zeigt, wo die Motivation für die jüngste Anschlagswelle zu suchen ist. Immer wieder wird behauptet, Schreiber finde es gut, "dass Menschen ihren Wohnraum verlieren". Dabei ist die Bebauung des Areals am Gleisdreieck ein Beispiel für lebendige Bürgerbeteiligung gewesen. Der Park zwischen dem alten Potsdamer Güterbahnhof und den Neubauten ist eine grüne Oase mitten in der Stadt, in der sich Kinder, ihre Eltern, Freizeitsportler und Erholungssuchende jeden Alters gleichsam tummeln. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der sich für das Projekt als Senator für Stadtentwicklung und Umwelt starkgemacht hatte, sagte nicht ohne Stolz, am Gleisdreieck hätten "sich die Berliner Bürgerinnen und Bürger letztendlich ihren eigenen Park gestaltet". Der Sozialdemokrat sprach von einem "Partizipationsprozess, der Maßstäbe gesetzt hat". Doch auf die Tatsache, dass es – im Gegensatz etwa zum Konflikt um den geplanten Abriss von Teilen der East Side Gallery, wo das weltberühmte Graffito "Erich Honecker und Leonid Breschnew beim Bruderkuss" zu sehen ist – nur sehr vereinzelte und eher leise Bürgerproteste gegen die Bauvorhaben gab, pfeift die ultralinke Szene. Zeugenaussagen von Anwohnern belegen, wie schnell und koordiniert die Linksautonomen vorgingen. Rund eine Stunde nach Mitternacht kamen zwischen 20 und 40 Maskierte mit Fahrrädern in die Flottwellstraße, zündeten vier Autos teurer Marken an und droschen auf weitere ein, angeblich sogar mit Spitzhacken. Die Fahrzeuge wurden bewusst ausgewählt, betroffen waren nur hochpreisige Wagen. Der RBB spricht von Terror Ein Video, das ein Anwohner mit dem Handy gefilmt hat, erinnert an Aufnahmen von Terroranschlägen. Man sieht brennende Autos, ab und an hört man eine kleinere Explosion. "Es brannte lichterloh", berichtete ein Mann, der nach eigener Aussage "mit Frau und Kindern erst seit wenigen Wochen" in der Flottwellstraße wohnt und "völlig platt ist, dass so etwas mitten in Berlin möglich ist". Eine junge Frau, noch immer sichtlich geschockt, meinte: "Ich musste an die Pariser Anschläge denken." Und selbst der Moderator der RBB-"Abendschau" sagte: "Wenn Islamisten in Berlin Autos anzünden würden, Barrikaden errichten, Steine auf Wohnhäuser werfen, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, dann würden wir vermutlich von Terrorismus reden. Also nennen wir doch das, was heute passiert ist, beim Namen: In Tiergarten hat der linke Terror zugeschlagen." Tiergarten und Mitte bilden einen Bezirk. "Konterrevolutionär und selten dämlich" Zwar ist der Anschlag offenbar in der Szene umstritten. So wird das Bekennerschreiben etwa als "scheiße" bezeichnet und sarkastisch erklärt: "herzlichen glückwunsch zur aktion. die ist, wie das kommando heißt, nämlich konterrevolutionär und selten dämlich zu gleich." Das bedeutet aber nicht, dass die ultralinken Gewalttäter nun aufhören. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. In dem Selbstbezichtigungsschreiben heißt es: "Heraus auf die Straße! Weitere Aktionen folgen." Die linksautonome Szene ist in Berlin so aktiv wie seit Jahren nicht mehr. Zwischen 2009 und 2013 zählte die Polizei 1523 Delikte aus dem Bereich "politisch motivierte Gewaltkriminalität – links". Laut einer erst im Januar vorgelegten Studie des Landesverfassungsschutzes waren es von 2003 bis 2008 lediglich 835. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte dazu: "Während die Ächtung politisch rechts motivierter Gewalt zu einem gesellschaftlichen Konsens geworden ist, steht eine ähnliche Übereinkunft für links motivierte Gewalt nach wie vor aus."