Sachsens GdP-Chef Hagen Husgen kritisiert den Sparkurs der Landesregierung
Dresden. Die Polizei kann die Kriminalität nur noch verwalten, statt sie zu bekämpfen – das sagt Sachsens Landeschef der Polizei-Gewerkschaft (GdP), Hagen Husgen (51). Den Grund sieht er im Spardiktat: Nicht die Fakten würden im Freistaat die Sicherheitspolitik bestimmen, sondern der Finanzminister.
Die Kommission zur Polizeireform hat ihre Ergebnisse vorgelegt. Demnach soll die Personalstärke bis 2022 um rund tausend Stellen auf 14 040 erhöht werden. Sind Ihre Mahnungen endlich erhört worden?
Mit den Ergebnissen darf man nicht zufrieden sein. Das einzige Positive ist, dass das Projekt Polizeireform überhaupt und auch frühzeitig evaluiert wurde. Die Ergebnisse entsprechen allerdings nicht den Tatsachen und sind auch nicht objektiv, sondern finanzgesteuert.
Ist es die hoheitliche Aufgabe der Gewerkschaften zu kritisieren?
Unser Anspruch ist ja nicht zu meckern. Wenn man die Fakten auf den Tisch legt, wird schnell klar, was in Sachsen schief läuft. Erlauben Sie mir drei Beispiele. Im Jahr 2009 hat der Freistaat auf der Sicherheits-Rangliste bundesweit noch auf Platz vier gelegen, war also im Spitzenfeld – heute sind wir auf Platz elf abgerutscht. Seit 2009 verzeichnen wir einen stetigen Anstieg der Kriminalität – bundesweit sind die Zuwachsraten in Sachsen am höchsten. Gleichzeitig ist seither die Aufklärungsquote immer weiter und sehr rapide gesunken. Auch hier ist der Freistaat trauriger Spitzenreiter. Das sind Fakten, die man nicht ignorieren darf und die beweisen: An der Polizeistärke in Sachsen stimmt etwas nicht. Daran sollten auch der Innenminister und die Fachkommission nicht vorbeikommen.
Ihre Gewerkschaft hat jetzt eigene, konkurrierende Berechnungen angestellt, wonach der Personalbedarf um rund 3200 Stellen auf 16 200 Beamte steigen müsste.
Wir machen keine Konkurrenz – sondern stellen die Ergebnisse grundlegend in Frage. Es gab vom Landtag den eindeutigen Auftrag an die Staatsregierung zu ermitteln, wie die Polizei künftig in Sachsen aufgestellt sein soll, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Fachkommission hat sich schlicht nicht an diese Forderung gehalten. Denn die Finanzen haben die Leitlinien vorgegeben. Deshalb müssen wir die Zahlen richtigstellen.
Sie werfen der Kommission also Versagen und der Regierung politische Einflussnahme vor?
Die Kommission hat hauptsächlich die Kriminalitätsstatistiken verglichen, das auch noch mit denen aus finanzschwachen Bundesländern. Und man hat die Unfallzahlen herangezogen. Viele andere Daten und Einsatzbereiche spielten gar keine Rolle. Hätte die Kommission tatsächlich eine objektive Analyse vorlegen dürfen, wäre sie zwangsläufig bei mindestens 16 000 Polizisten angekommen.
Im Umkehrschluss heißt das: Die Polizei kann ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen?
Ja, ganz eindeutig: Die Polizei kann schon heute in Sachsen ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Wir sind keine Präventivpolizei mehr und können auch nicht mehr verdachtsunabhängig arbeiten – aus der Polizei ist im Freistaat eine reine Auftragspolizei geworden. Eine Polizei, die von dem einen zum nächsten Auftrag rennt und gar nicht hinterherkommt, alles abzuarbeiten. Wir müssen immer mehr Aufgaben trotz weniger Personal erfüllen, unter anderem entstehen Mehrbelastungen durch die Absicherung von Demonstrationen und Fußballspielen sowie im Umfeld von Asylunterkünften. Daneben gibt es Straftaten neuer Dimension, ob es nun im Internet ist oder Vorfälle wie in Köln anbelangt.
Damit sprechen Sie sicherlich vielen Menschen aus der Seele. Sollten Sie nicht stärker gegen diese Ängste arbeiten?
Wie soll das denn noch möglich sein? Wir erleben, dass die Sicherheitssysteme kollabieren. Die Polizei kann die Kriminalität nur noch verwalten – nicht aber bearbeiten, so wie es eigentlich gedacht ist und notwendig wäre. Die Zahl der unbearbeiteten Fälle ist auf 70 000 Straftaten gestiegen. Und: Die hohe Belastung wirkt sich auf die Kollegen aus: Pro Tag fallen 1000 der knapp 11 000 Streifenbeamten wegen Krankheit aus, hinzu kommen weitere 1000, die nicht voll einsatzfähig fähig sind – das sind Polizisten, die auf der Straße sein sollten. Ich wehre mich dagegen, diese Zustände schön zu reden.
In der GdP-Analyse spielt eine wesentliche Rolle, dass mehr Polizisten auf die Straße kommen. Der Streifendienst für verdachtsunabhängige Kontrollen soll von Null auf 854 Stellen erhöht werden, die Zahl der Bürgerpolizisten um 290 auf 729 steigen. Haben Sie ausgerechnet, was das kostet?
Im Moment diktiert der Finanzminister die Sicherheitspolitik – davon müssen wir uns schnell lösen. Es geht um die Bedürfnisse der Bürger und darum, den täglichen Dienst überhaupt sicherstellen zu können. Die Polizei muss endlich wieder sichtbar werden. Nur so lassen sich zum Beispiel mehr Diebstähle und Einbrüche verhindern, kann die Kriminalität auch mal wieder sinken. Natürlich müssen die Bürger auch vorsorgen – originär ist aber der Freistaat zuständig. Genau diese Aufgabe erfüllt er seit Langem nicht mehr, weil die Regierung das entsprechende Geld nicht in die Hand nehmen will.
Ein weiteres Thema ist die Belastung der Bereitschaftspolizei, unter anderem durch die steigende Zahl von Demonstrationen oder die Absicherung von Fußballspielen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Die Stellenzahl muss unbedingt und so schnell wie möglich auf 1700 verdoppelt werden. Die geleisteten Einsatzzeiten und die Monatsplanung lässt überhaupt keinen anderen Schluss zu. Allein bei der Bereitschaftspolizei haben die 858 Kollegen aktuell über 30 000 Überstunden angehäuft. Diese Beamten kommen aus der Uniform gar nicht mehr raus, sehen ihre Familien kaum noch, können kaum noch gerade stehen. An diesem haltlosen Zustand muss sich dringend etwas ändern. Übrigens: Beim Bericht der Fachkommission kommt die völlig überlastete Bereitschaftspolizei ebenfalls nicht vor.
Nochmal zum Geld. Wie soll das alles finanziert werden?
Es liegen jetzt objektive Zahlen zur notwendigen Personalstärke vor. Natürlich lässt sich nur das Geld ausgeben, was in der Kasse ist. Wenn sich der Freistaat diese Ausgaben nicht leisten will, muss im Gegenzug gesagt werden, von welchen Aufgaben sich die Polizei verabschieden soll. Das wäre eine ehrliche Politik.
Interview: Andreas Debski
Das umfangreiche Interview können Sie auf www.lvz.de komplett lesen.