Hakenkreuze und NS-Parolen: Zwei Jahre lang verärgert ein 63-Jähriger die Bewohner der Mittelhöhe in Hessental. Das Haller Amtsgericht verurteilt den Mann zu sieben Monaten Haft auf Bewährung.
Auf der Anklagebank des Haller Amtsgerichts sitzt ein gepflegt angezogener 63-jähriger Mann, der jahrzehntelang als Beamter seine Pflicht getan hat. Nach einem schweren Herzinfarkt wurde er vor sechs Jahren frühpensioniert. Die Umstellung hat ihm zugesetzt. Er rutschte in eine Depression, die er mit ärztlicher Hilfe und verordneten Medikamenten bekämpft.
Um eine Aufgabe und etwas mehr Geld zu haben, suchte er sich eine Arbeit als Zeitungszusteller. Nachts um drei Uhr begann seine Schicht, gegen halb sechs Uhr war er wieder zu Hause. Sein Gebiet umfasste die Hessentaler Mittelhöhe. In seinem Zeitungswagen hatte er das HT und überregionale Presseerzeugnisse.
Eines Tages im August 2013 trägt er nicht nur die Zeitungen aus, sondern beginnt, auf Garagen, Fassaden, Zäune und Autos Hakenkreuze zu malen. Er benutzt überwiegend Kreide, aber auch Filzstifte und Schuhcreme. Er schreibt auch Parolen: "Ein Volk, ein Reich!"
Die Anwohner der Alten Hessentaler Straße, des Dinkelwegs und des Emmerwegs sind verunsichert, verärgert und teilweise auch geschädigt, weil sie die Schmierereien entfernen müssen.
Ein Jahr später, im August 2014, wird der Mann von der Polizei als Zeuge befragt. Er könnte verdächtige Personen gesehen haben. Keiner ahnt, dass er selbst der Täter ist.
Das Katz- und Maus-Spiel geht weiter. Die Polizei installiert schließlich verschiedene Kameras in dem Wohngebiet. Am 25. Juni 2015 gelingt der Treffer: Der 63-Jährige wird in seiner Signalweste, die er als Zusteller trägt, gefilmt, als er gerade ein Hakenkreuz auf ein Garagentor malt.
Wenig später steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Wohnung des Mannes. Die Beamten treffen den Pensionär und seine Ehefrau an. Die Frau ist entsetzt. Sie hat nichts gewusst.
In der Wohnung wird nichts gefunden, was für eine rechtsradikale Gesinnung des Mannes sprechen würde. Er gibt alle Tatvorwürfe zu.
Später schreibt er die geschädigten Hauseigentümer an. Er verspricht Schadenswiedergutmachung. Das bewahrt ihn aber nicht vor einer Anklage. Der Vorwurf lautet: "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" in 46 Fällen, teilweise mit gleichzeitig begangener Sachbeschädigung. Wenn ein Hakenkreuz in den Schnee gezeichnet wurde, so ist auch das strafbar, aber keine Sachbeschädigung.
In der Verhandlung vor dem Haller Schöffengericht spricht der Angeklagte von einem "Zwang", der ihn getrieben habe, immer neue Schmierereien zu anzubringen. Die Presse habe mehrfach berichtet, das habe ihm gefallen. Denn: "Keiner wusste, wer das war - außer ich!"
Heute allerdings begreife er nicht mehr, wie er auf den Gedanken kommen konnte, sich nachts in dieser Weise zu betätigen: "Ich hab' seit meiner Jugendzeit nie was verbrochen." Er beteuert, unpolitisch zu sein - er sei nie in einer Partei gewesen. Verteidiger Michael Fust lenkt den Blick auf den "bitteren Preis", den der 63-Jährige jetzt schon bezahlt habe: 5500 Euro hat er an die geschädigten Bewohner der Hessentaler Mittelhöhe überwiesen. Seinen Job als Zeitungszusteller hat er verloren. Und noch einschneidender: Die Ehe des Mannes drohe zu zerbrechen.
Eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird - so lautet der Antrag von Oberstaatsanwalt Peter Bracharz. Das Schöffengericht urteilt entsprechend. Souverän und einfühlsam spricht der Vorsitzende Richter Dr. Wolfgang Amendt auf den Angeklagten ein. Es komme nicht auf die Motivation an, wenn man rechtsradikale Parolen verbreite. Amendt: "Seien Sie vorsichtig, dass Sie sich mit diesem Gedankengut nicht identifizieren."