NSU-Duo mordete auffallend oft mittwochs

Erstveröffentlicht: 
19.01.2016

Der NSU-Untersuchungsausschuss hält eine symbolhafte Tat auf Theresienwiese für möglich. Womöglich waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schon eine Woche vor den Kiesewetter-Mord auf der Theresienwiese.

 

Es ist eine bemerkenswerte Theorie zum Mordanschlag auf die zwei Polizisten auf der Heilbronner Theresienwiese. Und sie dreht nach jahrelanger Suche nach dem Motiv für den Mord an der jungen Beamtin Michèle Kiesewetter den Ansatz um. Weg von den Opfern, hin zu den Tätern.

Auffallend häufig erfolgten die Mordanschläge der Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mittwochs (sechs von zehn), stellt der Untersuchungsausschuss des Landtags abschließend fest. Auch die Tat in Heilbronn passierte an einem Mittwoch im April 2007. Ein Kalkül?

In der rechtsextremen Szene hat der Mittwoch als "Wotanstag" oder "Odinstag" der germanischen Mystik eine symbolische Bedeutung. An der Täterschaft der NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hat der Ausschuss nach den vielen Befragungen und Aktenprüfungen keine Zweifel mehr. Zunächst hatte das Duo ein Wohnmobil, mit dem es mutmaßlich auch in Heilbronn war, nur für den 16. bis 19. April 2007 angemietet, dann um rund eine Woche verlängert. Der 18. April war auch ein Mittwoch.

 

Verlängert

 

Für plausibel hält es der Ausschuss, dass das Duo diesen Tag zunächst für eine Tat auf der Theresienwiese auserkoren haben könnte. "Sie waren eventuell schon eine Woche vorher da", sagte CDU-Obmann Matthias Pröfrock.

Nur: An dem Tag machten nach Polizeiermittlungen dort gleich zwei Streifenwagenteams gleichzeitig Pause. War das den Rechtsextremen zu heikel und verschoben sie den Plan um eine Woche? Fakt ist, dass sie den Mietzeitraum des Wohnmobils um eine Woche verlängerten. In so einem Fall wäre klar, dass das Ziel der Täter nicht Michèle Kiesewetter und ihr Streifenkollege Martin A. gewesen sein können, sondern ein Anschlag gegen die Polizei.

Nimmt man die Theresienwiese als symbolträchtigen Ort der rechten Szene hinzu − das Oktoberfestattentat 1980 eines rechtsextremen Täters erfolgte in München auch auf der Theresienwiese − sei eine solche Tat im Sinn einer rechtsterroristischen Verbrecherlogik zumindest nachvollziehbar, folgert der Ausschuss. Mundlos und Böhnhardt sind tot. Die Theorie bleibt eine Spekulation.

In einigen weiteren Punkten ziehen die Parlamentarier klare Schlüsse zu kursierenen Theorien:

 

Ausspähen der Polizisten: Es gibt keine Hinweise auf technische Hilfsmittel am Streifenwagen. Gut eine halbe Stunde vor der Tat setzten die beiden Beamten zudem keine Funksprüche über den Polizeifunk ab. Wie sollen Dritte da Informationen von ihrem Pausenplatz auf der Theresienwiese erhalten haben?

Dienstpläne: Erst zwei Tage vor dem Tattag wurden die Dienstpläne für den Einsatz in Heilbronn ausgehängt. Eine lange Vorbereitungszeit war für Täter da nicht möglich. Zudem meldete sich Michèle Kiesewetter erst am 21. oder 22. April freiwillig für den außerplanmäßigen Dienst. Da hatte das NSU-Duo das Wohnmobil längst gemietet.

Ku-Klux-Klan: Kiesewetters Gruppenführer H. war 2001/2002 für kurze Zeit beim rechtsextremen Ku-Klux-Klan. Der Ausschuss sieht kein Motiv für einen Zusammenhang mit dem Mord in Heilbronn. Dass H. Kontakt zum NSU hatte, erscheint dem Gremium ausgeschlossen. Am Tattag sei der Polizist ununterbrochen mit seinem Streifenpartner unterwegs gewesen und erst nach Informationen über die Tat zur Theresienwiese gefahren.

Blutverschmierte Personen: Mehrere Zeugen berichteten von blutverschmierten Menschen im weiteren Umfeld der Theresienwiese am Tattag. Der Ausschuss hält es für sehr unwahrscheinlich, dass diese im Zusammenhang mit der Tat stehen. Einerseits wären die Täter sehr lange Wege geflohen (ein Fluchtweg über die nahe Neckar-Radbrücke ist viel plausibler) oder hätten sich eine halbe Stunde nach der Tat noch äußerst auffällig verhalten (Hechtsprung in ein Auto).

Phantombilder/E-Mails: Dass Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras ein Veröffentlichen einiger der 14 Phantombilder untersagte, ist für den Ausschuss nachvollziehbar. Ein rechtlich erforderlicher "hinreichender Verdacht" auf einen Tatverdächtigen habe nicht vorgelegen. Allerdings: Dass der Staatsanwalt das private E-Mail-Postfach von Michèle Kiesewetter beim Betreiber in den USA nicht untersuchen ließ, stuft der Ausschuss als klaren Fehler ein.

 

Kommentar: Überspannt

 

Es sind Spekulationen, die der NSU-Ausschuss zu den Beweggründen der Mörder von Michèle Kiesewetter und einer möglichen Symbolik auf der Theresienwiese anstellt. Der Ansatz, dass die Täter bewusst diesen Platz für einen Mord aussuchten, dass sie vielleicht schon eine Woche früher einen Versuch starteten, ist zumindest überlegenswert.
In jahrelangen Ermittlungen und Recherchen ist kein belastbares Indiz aufgetaucht, warum Kiesewetter und ihr Kollege geplant und gewollt sterben sollten. Der Ausschuss hat einen nachvollziehbaren Schluss gezogen: Eine gezielte Tat aus persönlichen Gründen ist nicht plausibel.

Verschwörungstheorien wird es weiter geben. Wenn sie aber in einen Vorwurf münden, hinter der Tat in Heilbronn könne ein Staatsverbrechen stecken, wird der Bogen überspannt.Viele der Theorien zeichnet eine große Schwäche aus, dass ein Motiv für einen wie auch immer gearteten Mordanschlag fehlt. Und: Die harten Fakten, die Tatwaffen, Dienstpistolen, Kiesewetters Blutspur, die Bekenner-DVD, die beim NSU-Duo Böhnhardt und Mundlos entdeckt wurden, können die Theorien nicht erklären − höchstens mit der Annahme, der Staat habe alles im Geheimen arrangiert. Für ein Warum aber gibt es keine Erklärung.

Der Polizistenmord ist nicht aufgeklärt, es werden wohl immer einige Fragezeichen bleiben. Die These, dass die Rechtsterroristen einen symbolhaften Anschlag auf die Staatsgewalt verübten, bleibt nach allem der schlüssigste Ansatz.

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Von unserem Redakteur Carsten Friese